abgezweckt war. Denn vermöge dieser übernommenen Advocatie musten die Kaiser die christliche Religion, alle Kirchen, Klöster etc. gegen innere und äussere Anfälle der Ungläubigen und Ketzer, selbst mit gewafneter Hand, wenn es nöthig war, vertheidigen und andere christliche Regenten zu gleicher Beihülfe anhalten. Eben dadurch aber ward die kaiserliche Herschaft mit der päpstlichen zugleich immer weiter ausgebreitet i].
Die Kaiser haben iedoch ihre angebliche Herschaft über die Welt, oder wenigstens über die Christenheit nie so weit getrieben, als die Päpste k]. Daß sie vielmehr selbst an der Richtigkeit dieses Vorgebens zuweilen noch gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiser Fridrich I. an die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarusl]. Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar- unter verstanden wissen. Daher schrenkte man auch in der Folge diese Herschaft gewönlich blos auf Schutz und algemeine Regierung ein, die aber alles umfassen solte, nicht nur die würklichen Lande des teutschen Reichs, son- dern auch alle dieienigen, worauf dasselbe iemals ein Recht gehabt, oder noch hätte m].
Indes wurden diese Vorrechte den Kaisern von den übrigen christlichen Regenten Europens fast durchgängig zugestanden. Läßt sich gleich wider die Meinung des Grotius, daß die christlichen Nazionen den Kaiser zu ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwählt hätten n], noch manches erinnern; so ist doch deren damalige stilschwei- gende Anerkennung desselben nicht zu bezweifeln. Einige Regenten hatten den Kaisern die königliche oder andere Würde zu verdanken und musten daher aus Dankbarkeit sich wilfährig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiser überwunden und dem Reiche gewissermaaßen verbindlich waren, als Dänemark, Polen, Ungarn etc. durften eben so wenig sich widersetzen, und die übrigen wurden theils durch die päpstliche und kaiserliche Macht, theils durch
den
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der Nazionen.
abgezweckt war. Denn vermoͤge dieſer uͤbernommenen Advocatie muſten die Kaiſer die chriſtliche Religion, alle Kirchen, Kloͤſter ꝛc. gegen innere und aͤuſſere Anfaͤlle der Unglaͤubigen und Ketzer, ſelbſt mit gewafneter Hand, wenn es noͤthig war, vertheidigen und andere chriſtliche Regenten zu gleicher Beihuͤlfe anhalten. Eben dadurch aber ward die kaiſerliche Herſchaft mit der paͤpſtlichen zugleich immer weiter ausgebreitet i].
Die Kaiſer haben iedoch ihre angebliche Herſchaft uͤber die Welt, oder wenigſtens uͤber die Chriſtenheit nie ſo weit getrieben, als die Paͤpſte k]. Daß ſie vielmehr ſelbſt an der Richtigkeit dieſes Vorgebens zuweilen noch gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiſer Fridrich I. an die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarusl]. Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar- unter verſtanden wiſſen. Daher ſchrenkte man auch in der Folge dieſe Herſchaft gewoͤnlich blos auf Schutz und algemeine Regierung ein, die aber alles umfaſſen ſolte, nicht nur die wuͤrklichen Lande des teutſchen Reichs, ſon- dern auch alle dieienigen, worauf daſſelbe iemals ein Recht gehabt, oder noch haͤtte m].
Indes wurden dieſe Vorrechte den Kaiſern von den uͤbrigen chriſtlichen Regenten Europens faſt durchgaͤngig zugeſtanden. Laͤßt ſich gleich wider die Meinung des Grotius, daß die chriſtlichen Nazionen den Kaiſer zu ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwaͤhlt haͤtten n], noch manches erinnern; ſo iſt doch deren damalige ſtilſchwei- gende Anerkennung deſſelben nicht zu bezweifeln. Einige Regenten hatten den Kaiſern die koͤnigliche oder andere Wuͤrde zu verdanken und muſten daher aus Dankbarkeit ſich wilfaͤhrig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiſer uͤberwunden und dem Reiche gewiſſermaaßen verbindlich waren, als Daͤnemark, Polen, Ungarn ꝛc. durften eben ſo wenig ſich widerſetzen, und die uͤbrigen wurden theils durch die paͤpſtliche und kaiſerliche Macht, theils durch
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der Nazionen.
abgezweckt war. Denn vermoͤge dieſer uͤbernommenen
Advocatie muſten die Kaiſer die chriſtliche Religion, alle
Kirchen, Kloͤſter ꝛc. gegen innere und aͤuſſere Anfaͤlle
der Unglaͤubigen und Ketzer, ſelbſt mit gewafneter Hand,
wenn es noͤthig war, vertheidigen und andere chriſtliche
Regenten zu gleicher Beihuͤlfe anhalten. Eben dadurch
aber ward die kaiſerliche Herſchaft mit der paͤpſtlichen
zugleich immer weiter ausgebreitet i].
Die Kaiſer haben iedoch ihre angebliche Herſchaft
uͤber die Welt, oder wenigſtens uͤber die Chriſtenheit nie
ſo weit getrieben, als die Paͤpſte k]. Daß ſie vielmehr
ſelbſt an der Richtigkeit dieſes Vorgebens zuweilen noch
gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiſer Fridrich I. an
die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarus l].
Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar-
unter verſtanden wiſſen. Daher ſchrenkte man auch in
der Folge dieſe Herſchaft gewoͤnlich blos auf Schutz und
algemeine Regierung ein, die aber alles umfaſſen ſolte,
nicht nur die wuͤrklichen Lande des teutſchen Reichs, ſon-
dern auch alle dieienigen, worauf daſſelbe iemals ein
Recht gehabt, oder noch haͤtte m].
Indes wurden dieſe Vorrechte den Kaiſern von den
uͤbrigen chriſtlichen Regenten Europens faſt durchgaͤngig
zugeſtanden. Laͤßt ſich gleich wider die Meinung des
Grotius, daß die chriſtlichen Nazionen den Kaiſer zu
ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwaͤhlt haͤtten n], noch
manches erinnern; ſo iſt doch deren damalige ſtilſchwei-
gende Anerkennung deſſelben nicht zu bezweifeln. Einige
Regenten hatten den Kaiſern die koͤnigliche oder andere
Wuͤrde zu verdanken und muſten daher aus Dankbarkeit
ſich wilfaͤhrig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiſer
uͤberwunden und dem Reiche gewiſſermaaßen verbindlich
waren, als Daͤnemark, Polen, Ungarn ꝛc. durften eben
ſo wenig ſich widerſetzen, und die uͤbrigen wurden theils
durch die paͤpſtliche und kaiſerliche Macht, theils durch
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/203>, abgerufen am 16.02.2025.
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