Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von den geselschaftlichen Verbindungen komnung erheischt, allein durch sich selbst sattsam befrie-digen, noch entblößt von allen Vertheidigungsmitteln sich allein gegen die vielen Gefahren des menschlichen Lebens hinlänglich schützen. Ein offenbarer Beweis, daß wir der Hülfe und Unterstützung anderer bedürfen, und sie, der Absicht unsers Urhebers gemäs, suchen sol- len! a] Aber aus diesen und allen andern Gründen, die gewönlich hierbey angeführt werden, so scheinbar sie auch sind, läßt sich eine algemeine Geselschaft unter allen Menschen gleichwohl schwerlich erweisen. Der vorgeb- liche Geselligkeitstrieb erstreckt sich, wenn man ihn genau untersucht, kaum weiter, als auf eheliche und häußliche Verbindungen, und diese würden auch, wenn man sich mit der einfachen Natur begnügt hätte, zu Beförderung unsrer wahren Glückseligkeit hinlänglich gewesen seyn b]. Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menschen, theils ihre wenigstens eingebildeten Bedürfnisse immer größer wurden, theils die blos häußlichen Verbindungen gegen die sich mehrenden Gefahren und Besorgnisse nicht mehr Sicherheit genug gewährten; so musten die Men- schen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und Vortheile wegen durften sie einander ihre Hülfe nicht versagen. Also wird von der Natur unmittelbar nicht eine algemeine Geselschaft befohlen, sondern nur die Lei- stung wechselseitigen Beistands zu Abhelfung der zufälli- gen nach und nach entstandenen Bedürfnisse angerathen. a] Grotius Proleg. §. 6. 7. 14. etc. Real T. I. p. 2. u. f. Vattel prelim. §. 10. u. f. b] Die Unerweißlichkeit der algemeinen Naturgeselschaft zeigt weitläuftig Sam. L. B. de Cocceji in Grot. illustr. diß. prooem. I. de jure naturae sociali, besonders c. I. Sect. II. §. XI. Zugleich bemerkt er c. II. Sect. I. §. 19. u. f. daß die Meinung von einer unter allen Menschen von Von den geſelſchaftlichen Verbindungen komnung erheiſcht, allein durch ſich ſelbſt ſattſam befrie-digen, noch entbloͤßt von allen Vertheidigungsmitteln ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ein offenbarer Beweis, daß wir der Huͤlfe und Unterſtuͤtzung anderer beduͤrfen, und ſie, der Abſicht unſers Urhebers gemaͤs, ſuchen ſol- len! a] Aber aus dieſen und allen andern Gruͤnden, die gewoͤnlich hierbey angefuͤhrt werden, ſo ſcheinbar ſie auch ſind, laͤßt ſich eine algemeine Geſelſchaft unter allen Menſchen gleichwohl ſchwerlich erweiſen. Der vorgeb- liche Geſelligkeitstrieb erſtreckt ſich, wenn man ihn genau unterſucht, kaum weiter, als auf eheliche und haͤußliche Verbindungen, und dieſe wuͤrden auch, wenn man ſich mit der einfachen Natur begnuͤgt haͤtte, zu Befoͤrderung unſrer wahren Gluͤckſeligkeit hinlaͤnglich geweſen ſeyn b]. Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menſchen, theils ihre wenigſtens eingebildeten Beduͤrfniſſe immer groͤßer wurden, theils die blos haͤußlichen Verbindungen gegen die ſich mehrenden Gefahren und Beſorgniſſe nicht mehr Sicherheit genug gewaͤhrten; ſo muſten die Men- ſchen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und Vortheile wegen durften ſie einander ihre Huͤlfe nicht verſagen. Alſo wird von der Natur unmittelbar nicht eine algemeine Geſelſchaft befohlen, ſondern nur die Lei- ſtung wechſelſeitigen Beiſtands zu Abhelfung der zufaͤlli- gen nach und nach entſtandenen Beduͤrfniſſe angerathen. a] Grotius Proleg. §. 6. 7. 14. etc. Real T. I. p. 2. u. f. Vattel prélim. §. 10. u. f. b] Die Unerweißlichkeit der algemeinen Naturgeſelſchaft zeigt weitlaͤuftig Sam. L. B. de Cocceji in Grot. illuſtr. diß. prooem. I. de jure naturae ſociali, beſonders c. I. Sect. II. §. XI. Zugleich bemerkt er c. II. Sect. I. §. 19. u. f. daß die Meinung von einer unter allen Menſchen von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0174" n="148"/><fw place="top" type="header">Von den geſelſchaftlichen Verbindungen</fw><lb/> komnung erheiſcht, allein durch ſich ſelbſt ſattſam befrie-<lb/> digen, noch entbloͤßt von allen Vertheidigungsmitteln<lb/> ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen<lb/> Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. 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Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
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ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen
Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ein offenbarer Beweis,
daß wir der Huͤlfe und Unterſtuͤtzung anderer beduͤrfen,
und ſie, der Abſicht unſers Urhebers gemaͤs, ſuchen ſol-
len! a] Aber aus dieſen und allen andern Gruͤnden, die
gewoͤnlich hierbey angefuͤhrt werden, ſo ſcheinbar ſie auch
ſind, laͤßt ſich eine algemeine Geſelſchaft unter allen
Menſchen gleichwohl ſchwerlich erweiſen. Der vorgeb-
liche Geſelligkeitstrieb erſtreckt ſich, wenn man ihn genau
unterſucht, kaum weiter, als auf eheliche und haͤußliche
Verbindungen, und dieſe wuͤrden auch, wenn man ſich
mit der einfachen Natur begnuͤgt haͤtte, zu Befoͤrderung
unſrer wahren Gluͤckſeligkeit hinlaͤnglich geweſen ſeyn b].
Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menſchen,
theils ihre wenigſtens eingebildeten Beduͤrfniſſe immer
groͤßer wurden, theils die blos haͤußlichen Verbindungen
gegen die ſich mehrenden Gefahren und Beſorgniſſe nicht
mehr Sicherheit genug gewaͤhrten; ſo muſten die Men-
ſchen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen
ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und
Vortheile wegen durften ſie einander ihre Huͤlfe nicht
verſagen. Alſo wird von der Natur unmittelbar nicht
eine algemeine Geſelſchaft befohlen, ſondern nur die Lei-
ſtung wechſelſeitigen Beiſtands zu Abhelfung der zufaͤlli-
gen nach und nach entſtandenen Beduͤrfniſſe angerathen.
a] Grotius Proleg. §. 6. 7. 14. etc. Real T. I. p. 2. u. f.
Vattel prélim. §. 10. u. f.
b] Die Unerweißlichkeit der algemeinen Naturgeſelſchaft zeigt
weitlaͤuftig Sam. L. B. de Cocceji in Grot. illuſtr. diß.
prooem. I. de jure naturae ſociali, beſonders c. I.
Sect. II. §. XI. Zugleich bemerkt er c. II. Sect. I. §. 19.
u. f. daß die Meinung von einer unter allen Menſchen von
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