Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Unter einer Bedingung, Vetterchen: wenn Sie mir versprechen, keinerlei Scenen zu machen, keinerlei Wirrwarr anzurichten, sich immer still auf dem Fremdenstübchen zu halten und dort ruhig zu studiren, jetzt aber vor allen Dingen gleich zu Bett zu gehen -- Mit tausend Freuden -- eingeschlagen, Frau Conrectorin! Und sofort war er der braven Frau in das kleine Fremdenstübchen gefolgt, das nach der Kirche zu über dem Kuhstall an der Westseite des Hauses lag. Eine Stunde später schlief Isidor bereits den Schlaf des Gerechten, nachdem er zuvor noch eine Satte saure Milch, einige weiche Eier und ein umfangreiches Butterbrod verzehrt hatte. Vetter Isidor konnte trotz seiner leicht entzündlichen Seele jederzeit schlafen, wann er wollte, und er hatte sicher keine Ahnung davon, daß seine unvermuthete Zurückkunft und seine kühne Idee der guten Frau Conrectorin allen Schlaf genommen hatten. -- Daß ein fremder Mann -- wenngleich ein Verwandter -- als ungebetener Gast im Hause sei, daß es gerade Vetter Isidor sein mußte, der dies bisher noch nie gewagt hatte, und endlich, daß sie bei seiner steten Gegenwart gleichsam nicht mehr Herrin ihrer Entschlüsse war, die jeden Augenblick von dem Phantasten gekreuzt werden konnten: das Alles ließ die brave Frau nicht zur Ruhe kommen, und sie trippelte noch in später Abendstunde rastlos durch das Haus und den Garten. Die Nacht war inzwischen völlig hereingesunken. Schwarz standen die Wipfel der Obstbäume gegen das Unter einer Bedingung, Vetterchen: wenn Sie mir versprechen, keinerlei Scenen zu machen, keinerlei Wirrwarr anzurichten, sich immer still auf dem Fremdenstübchen zu halten und dort ruhig zu studiren, jetzt aber vor allen Dingen gleich zu Bett zu gehen — Mit tausend Freuden — eingeschlagen, Frau Conrectorin! Und sofort war er der braven Frau in das kleine Fremdenstübchen gefolgt, das nach der Kirche zu über dem Kuhstall an der Westseite des Hauses lag. Eine Stunde später schlief Isidor bereits den Schlaf des Gerechten, nachdem er zuvor noch eine Satte saure Milch, einige weiche Eier und ein umfangreiches Butterbrod verzehrt hatte. Vetter Isidor konnte trotz seiner leicht entzündlichen Seele jederzeit schlafen, wann er wollte, und er hatte sicher keine Ahnung davon, daß seine unvermuthete Zurückkunft und seine kühne Idee der guten Frau Conrectorin allen Schlaf genommen hatten. — Daß ein fremder Mann — wenngleich ein Verwandter — als ungebetener Gast im Hause sei, daß es gerade Vetter Isidor sein mußte, der dies bisher noch nie gewagt hatte, und endlich, daß sie bei seiner steten Gegenwart gleichsam nicht mehr Herrin ihrer Entschlüsse war, die jeden Augenblick von dem Phantasten gekreuzt werden konnten: das Alles ließ die brave Frau nicht zur Ruhe kommen, und sie trippelte noch in später Abendstunde rastlos durch das Haus und den Garten. Die Nacht war inzwischen völlig hereingesunken. Schwarz standen die Wipfel der Obstbäume gegen das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0071"/> <p>Unter einer Bedingung, Vetterchen: wenn Sie mir versprechen, keinerlei Scenen zu machen, keinerlei Wirrwarr anzurichten, sich immer still auf dem Fremdenstübchen zu halten und dort ruhig zu studiren, jetzt aber vor allen Dingen gleich zu Bett zu gehen —</p><lb/> <p>Mit tausend Freuden — eingeschlagen, Frau Conrectorin! Und sofort war er der braven Frau in das kleine Fremdenstübchen gefolgt, das nach der Kirche zu über dem Kuhstall an der Westseite des Hauses lag.</p><lb/> <p>Eine Stunde später schlief Isidor bereits den Schlaf des Gerechten, nachdem er zuvor noch eine Satte saure Milch, einige weiche Eier und ein umfangreiches Butterbrod verzehrt hatte. Vetter Isidor konnte trotz seiner leicht entzündlichen Seele jederzeit schlafen, wann er wollte, und er hatte sicher keine Ahnung davon, daß seine unvermuthete Zurückkunft und seine kühne Idee der guten Frau Conrectorin allen Schlaf genommen hatten. — Daß ein fremder Mann — wenngleich ein Verwandter — als ungebetener Gast im Hause sei, daß es gerade Vetter Isidor sein mußte, der dies bisher noch nie gewagt hatte, und endlich, daß sie bei seiner steten Gegenwart gleichsam nicht mehr Herrin ihrer Entschlüsse war, die jeden Augenblick von dem Phantasten gekreuzt werden konnten: das Alles ließ die brave Frau nicht zur Ruhe kommen, und sie trippelte noch in später Abendstunde rastlos durch das Haus und den Garten.</p><lb/> <p>Die Nacht war inzwischen völlig hereingesunken. Schwarz standen die Wipfel der Obstbäume gegen das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
Unter einer Bedingung, Vetterchen: wenn Sie mir versprechen, keinerlei Scenen zu machen, keinerlei Wirrwarr anzurichten, sich immer still auf dem Fremdenstübchen zu halten und dort ruhig zu studiren, jetzt aber vor allen Dingen gleich zu Bett zu gehen —
Mit tausend Freuden — eingeschlagen, Frau Conrectorin! Und sofort war er der braven Frau in das kleine Fremdenstübchen gefolgt, das nach der Kirche zu über dem Kuhstall an der Westseite des Hauses lag.
Eine Stunde später schlief Isidor bereits den Schlaf des Gerechten, nachdem er zuvor noch eine Satte saure Milch, einige weiche Eier und ein umfangreiches Butterbrod verzehrt hatte. Vetter Isidor konnte trotz seiner leicht entzündlichen Seele jederzeit schlafen, wann er wollte, und er hatte sicher keine Ahnung davon, daß seine unvermuthete Zurückkunft und seine kühne Idee der guten Frau Conrectorin allen Schlaf genommen hatten. — Daß ein fremder Mann — wenngleich ein Verwandter — als ungebetener Gast im Hause sei, daß es gerade Vetter Isidor sein mußte, der dies bisher noch nie gewagt hatte, und endlich, daß sie bei seiner steten Gegenwart gleichsam nicht mehr Herrin ihrer Entschlüsse war, die jeden Augenblick von dem Phantasten gekreuzt werden konnten: das Alles ließ die brave Frau nicht zur Ruhe kommen, und sie trippelte noch in später Abendstunde rastlos durch das Haus und den Garten.
Die Nacht war inzwischen völlig hereingesunken. Schwarz standen die Wipfel der Obstbäume gegen das
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/71>, abgerufen am 16.07.2024. |