Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Weg weiter fort. Einige Tage später sah ich abermals die schöne, junge Dame, aber auf einer anderen Bank. Ich muß es gestehen, daß mir dies höchst gleichgültig war, Sie kennen ja meine Ansichten über die modernen Frauen, aber nicht gleichgültig war mir der kleine, weiße Köter, der mir jedesmal kläffend entgegenfuhr -- nun habe ich aber von Natur aus dieselbe Aversion gegen Hundegebell, wie der große Goethe -- Sie wissen Frau Conrectorin, der Dichterfürst konnte drei Dinge nicht leiden -- -- Bitte, keine Literaturgeschichte, Vetterchen, nur bei der Sache geblieben -- Gut also, um auf besagtes Hündchen zurückzukommen, so trug ich glücklicherweise ein Stückchen Zucker bei mir. Sie wissen, Frau Conrectorin, ich nehme niemals den ganzen Zucker, den man so verschwenderisch in den Kaffeehäusern vergeudet -- denn der allzusüße Trank verursacht mir leicht Zahnweh -- gut also, ich nahm das Stückchen Zucker und warf es dem kleinen, kläffenden Köter hin, der es begierig verschlang. Den zweiten Tag versuchte ich denselben Kunstgriff mit etwas Semmel, und ich kann sagen, mit nicht viel weniger Glück, o man muß nur die Eigenthümlichkeiten der Thiere studieren -- ein jegliches Thier hat seine individuellen, man könnte sagen, persönlichen Qualitäten -- -- Ich bitte Sie, Vetterchen, um des Himmels willen keine Naturgeschichte. Wie benahm sich denn Frau Julia dabei? Weg weiter fort. Einige Tage später sah ich abermals die schöne, junge Dame, aber auf einer anderen Bank. Ich muß es gestehen, daß mir dies höchst gleichgültig war, Sie kennen ja meine Ansichten über die modernen Frauen, aber nicht gleichgültig war mir der kleine, weiße Köter, der mir jedesmal kläffend entgegenfuhr — nun habe ich aber von Natur aus dieselbe Aversion gegen Hundegebell, wie der große Goethe — Sie wissen Frau Conrectorin, der Dichterfürst konnte drei Dinge nicht leiden — — Bitte, keine Literaturgeschichte, Vetterchen, nur bei der Sache geblieben — Gut also, um auf besagtes Hündchen zurückzukommen, so trug ich glücklicherweise ein Stückchen Zucker bei mir. Sie wissen, Frau Conrectorin, ich nehme niemals den ganzen Zucker, den man so verschwenderisch in den Kaffeehäusern vergeudet — denn der allzusüße Trank verursacht mir leicht Zahnweh — gut also, ich nahm das Stückchen Zucker und warf es dem kleinen, kläffenden Köter hin, der es begierig verschlang. Den zweiten Tag versuchte ich denselben Kunstgriff mit etwas Semmel, und ich kann sagen, mit nicht viel weniger Glück, o man muß nur die Eigenthümlichkeiten der Thiere studieren — ein jegliches Thier hat seine individuellen, man könnte sagen, persönlichen Qualitäten — — Ich bitte Sie, Vetterchen, um des Himmels willen keine Naturgeschichte. Wie benahm sich denn Frau Julia dabei? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0052"/> Weg weiter fort. Einige Tage später sah ich abermals die schöne, junge Dame, aber auf einer anderen Bank. Ich muß es gestehen, daß mir dies höchst gleichgültig war, Sie kennen ja meine Ansichten über die modernen Frauen, aber nicht gleichgültig war mir der kleine, weiße Köter, der mir jedesmal kläffend entgegenfuhr — nun habe ich aber von Natur aus dieselbe Aversion gegen Hundegebell, wie der große Goethe — Sie wissen Frau Conrectorin, der Dichterfürst konnte drei Dinge nicht leiden — —</p><lb/> <p>Bitte, keine Literaturgeschichte, Vetterchen, nur bei der Sache geblieben —</p><lb/> <p>Gut also, um auf besagtes Hündchen zurückzukommen, so trug ich glücklicherweise ein Stückchen Zucker bei mir. Sie wissen, Frau Conrectorin, ich nehme niemals den ganzen Zucker, den man so verschwenderisch in den Kaffeehäusern vergeudet — denn der allzusüße Trank verursacht mir leicht Zahnweh — gut also, ich nahm das Stückchen Zucker und warf es dem kleinen, kläffenden Köter hin, der es begierig verschlang. Den zweiten Tag versuchte ich denselben Kunstgriff mit etwas Semmel, und ich kann sagen, mit nicht viel weniger Glück, o man muß nur die Eigenthümlichkeiten der Thiere studieren — ein jegliches Thier hat seine individuellen, man könnte sagen, persönlichen Qualitäten — —</p><lb/> <p>Ich bitte Sie, Vetterchen, um des Himmels willen keine Naturgeschichte. Wie benahm sich denn Frau Julia dabei?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Weg weiter fort. Einige Tage später sah ich abermals die schöne, junge Dame, aber auf einer anderen Bank. Ich muß es gestehen, daß mir dies höchst gleichgültig war, Sie kennen ja meine Ansichten über die modernen Frauen, aber nicht gleichgültig war mir der kleine, weiße Köter, der mir jedesmal kläffend entgegenfuhr — nun habe ich aber von Natur aus dieselbe Aversion gegen Hundegebell, wie der große Goethe — Sie wissen Frau Conrectorin, der Dichterfürst konnte drei Dinge nicht leiden — —
Bitte, keine Literaturgeschichte, Vetterchen, nur bei der Sache geblieben —
Gut also, um auf besagtes Hündchen zurückzukommen, so trug ich glücklicherweise ein Stückchen Zucker bei mir. Sie wissen, Frau Conrectorin, ich nehme niemals den ganzen Zucker, den man so verschwenderisch in den Kaffeehäusern vergeudet — denn der allzusüße Trank verursacht mir leicht Zahnweh — gut also, ich nahm das Stückchen Zucker und warf es dem kleinen, kläffenden Köter hin, der es begierig verschlang. Den zweiten Tag versuchte ich denselben Kunstgriff mit etwas Semmel, und ich kann sagen, mit nicht viel weniger Glück, o man muß nur die Eigenthümlichkeiten der Thiere studieren — ein jegliches Thier hat seine individuellen, man könnte sagen, persönlichen Qualitäten — —
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