Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Darauf wollte ich eben kommen; sie rief jedesmal das Hündchen zurück und wollte es nicht leiden, daß es etwas aus fremder Hand annähme. Da mußte ich denn natürlicher Weise das Hündchen vertheidigen, und so kamen wir allmählich in das Gespräch -- zuerst einige gleichgültige Worte, das nächstemal wurden es mehr -- Sie sind köstlich, Vetterchen, rief die Conrectorin; was gäbe ich darum, wenn ich Sie hätte sehen können in dieser romantischen Situation! Wovon haben Sie denn gesprochen? -- O von allerhand, von Hunden und Eichhörnchen, von Shakespeare und Linne und so weiter. Die Dame war unendlich gütig, aber sie schien auch unendlich traurig zu sein. Ein süßes, dunkles Geheimniß schien um ihre Gestalt zu schweben, und jedes Wiedersehen hatte einen unsagbaren magischen Reiz für mich. Sie war nicht täglich dort, nur zuweilen, und immer schien es ein holder Zufall zu sein, der uns wieder zusammenführte, denn fast niemals traf ich sie auf derselben Bank wieder. -- Einmal wagte ich es, neben ihr Platz zu nehmen, da erhob sie sich sofort, ein andermal bat ich sie um die Gunst, meine Begleitung anzunehmen -- da sagte sie mit entschiedenster Zurückweisung: Ich muß bitten, mein Herr, mich zu verlassen. O wenn Ihnen diese Begegnung unangenehm ist, mein Fräulein, sagte ich, so kostet es Ihnen nur ein Wort, mich nie wiederzusehen. Da sah sie mich mit einem Blicke an, Frau Conrectorin, mit einem Blicke, so wehmüthig und innig, so vertraut, Darauf wollte ich eben kommen; sie rief jedesmal das Hündchen zurück und wollte es nicht leiden, daß es etwas aus fremder Hand annähme. Da mußte ich denn natürlicher Weise das Hündchen vertheidigen, und so kamen wir allmählich in das Gespräch — zuerst einige gleichgültige Worte, das nächstemal wurden es mehr — Sie sind köstlich, Vetterchen, rief die Conrectorin; was gäbe ich darum, wenn ich Sie hätte sehen können in dieser romantischen Situation! Wovon haben Sie denn gesprochen? — O von allerhand, von Hunden und Eichhörnchen, von Shakespeare und Linné und so weiter. Die Dame war unendlich gütig, aber sie schien auch unendlich traurig zu sein. Ein süßes, dunkles Geheimniß schien um ihre Gestalt zu schweben, und jedes Wiedersehen hatte einen unsagbaren magischen Reiz für mich. Sie war nicht täglich dort, nur zuweilen, und immer schien es ein holder Zufall zu sein, der uns wieder zusammenführte, denn fast niemals traf ich sie auf derselben Bank wieder. — Einmal wagte ich es, neben ihr Platz zu nehmen, da erhob sie sich sofort, ein andermal bat ich sie um die Gunst, meine Begleitung anzunehmen — da sagte sie mit entschiedenster Zurückweisung: Ich muß bitten, mein Herr, mich zu verlassen. O wenn Ihnen diese Begegnung unangenehm ist, mein Fräulein, sagte ich, so kostet es Ihnen nur ein Wort, mich nie wiederzusehen. Da sah sie mich mit einem Blicke an, Frau Conrectorin, mit einem Blicke, so wehmüthig und innig, so vertraut, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0053"/> <p>Darauf wollte ich eben kommen; sie rief jedesmal das Hündchen zurück und wollte es nicht leiden, daß es etwas aus fremder Hand annähme. Da mußte ich denn natürlicher Weise das Hündchen vertheidigen, und so kamen wir allmählich in das Gespräch — zuerst einige gleichgültige Worte, das nächstemal wurden es mehr —</p><lb/> <p>Sie sind köstlich, Vetterchen, rief die Conrectorin; was gäbe ich darum, wenn ich Sie hätte sehen können in dieser romantischen Situation! Wovon haben Sie denn gesprochen? —</p><lb/> <p>O von allerhand, von Hunden und Eichhörnchen, von Shakespeare und Linné und so weiter. Die Dame war unendlich gütig, aber sie schien auch unendlich traurig zu sein. Ein süßes, dunkles Geheimniß schien um ihre Gestalt zu schweben, und jedes Wiedersehen hatte einen unsagbaren magischen Reiz für mich. Sie war nicht täglich dort, nur zuweilen, und immer schien es ein holder Zufall zu sein, der uns wieder zusammenführte, denn fast niemals traf ich sie auf derselben Bank wieder. — Einmal wagte ich es, neben ihr Platz zu nehmen, da erhob sie sich sofort, ein andermal bat ich sie um die Gunst, meine Begleitung anzunehmen — da sagte sie mit entschiedenster Zurückweisung: Ich muß bitten, mein Herr, mich zu verlassen. O wenn Ihnen diese Begegnung unangenehm ist, mein Fräulein, sagte ich, so kostet es Ihnen nur ein Wort, mich nie wiederzusehen. Da sah sie mich mit einem Blicke an, Frau Conrectorin, mit einem Blicke, so wehmüthig und innig, so vertraut,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Darauf wollte ich eben kommen; sie rief jedesmal das Hündchen zurück und wollte es nicht leiden, daß es etwas aus fremder Hand annähme. Da mußte ich denn natürlicher Weise das Hündchen vertheidigen, und so kamen wir allmählich in das Gespräch — zuerst einige gleichgültige Worte, das nächstemal wurden es mehr —
Sie sind köstlich, Vetterchen, rief die Conrectorin; was gäbe ich darum, wenn ich Sie hätte sehen können in dieser romantischen Situation! Wovon haben Sie denn gesprochen? —
O von allerhand, von Hunden und Eichhörnchen, von Shakespeare und Linné und so weiter. Die Dame war unendlich gütig, aber sie schien auch unendlich traurig zu sein. Ein süßes, dunkles Geheimniß schien um ihre Gestalt zu schweben, und jedes Wiedersehen hatte einen unsagbaren magischen Reiz für mich. Sie war nicht täglich dort, nur zuweilen, und immer schien es ein holder Zufall zu sein, der uns wieder zusammenführte, denn fast niemals traf ich sie auf derselben Bank wieder. — Einmal wagte ich es, neben ihr Platz zu nehmen, da erhob sie sich sofort, ein andermal bat ich sie um die Gunst, meine Begleitung anzunehmen — da sagte sie mit entschiedenster Zurückweisung: Ich muß bitten, mein Herr, mich zu verlassen. O wenn Ihnen diese Begegnung unangenehm ist, mein Fräulein, sagte ich, so kostet es Ihnen nur ein Wort, mich nie wiederzusehen. Da sah sie mich mit einem Blicke an, Frau Conrectorin, mit einem Blicke, so wehmüthig und innig, so vertraut,
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/53>, abgerufen am 22.07.2024. |