German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Deß Abenth. Simplicissimi nicht verwunderns würdig wäre/ sagte ich zu ihm:Ob sie sich denn nit auch verwunderten/ da sie etwas seltenes und ungewöhnliches von uns Menschen se- ben? Hierauff antwortet er: Wir verwundern uns an euch nichts mehrers/ als daß ihr euch/ da ihr doch zum ewigen seeligen Leben/ und den unendlichen himmlischen Freuden erschaffen/ durch die zeitliche und irdische Wollüste/ die doch so wenig ohne Unlust und Schmertzen/ als die Rosen ohne Dörner sind/ dergestalt bethören last/ daß ihr dadurch euer Gerech- tigkeit am Himmel verlieret/ euch der frölichen An- schauung deß Allerheiligsten Angesichts GOttes be- raubt/ und zu den verstossenen Engeln in die ewige Verdammnus stürtzet! Ach möchte unser Geschlecht an eurer Stell seyn/ wie würde sich jeder befleissen/ in dem Augenblick eurer nichtigen und flüchtigen Zeit- lichkeit die Prob besser zu halten/ als ihr/ denn das Leben so ihr habt/ ist nit euer Leben/ sondern euer Le- ben oder der Todt wird euch erst gegeben/ wenn ihr die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben nennet/ ist gleichsam nur ein Moment und Augen- blick/ so euch verliehen ist/ GOtt darin zu erkennen/ und ihme euch zu nähern/ damit er euch zu sich nem- men möge/ dannenhero halten wir die Welt vor ei- nen Probierstein Gottes/ auff welcher der Allmäch- tige die Menschen/ gleich wie sonst ein reicher Mann das Gold und Silber probiert/ und nachdem er ihren Valor am Strich befindet/ oder nachdem sie sich durchs Feuer läutern lassen/ die gute und feine Gold- und Silbersorden in seinen himmlischen Schatz leget/ die böse und falsche aber ins ewige Feuer wirfft/ wel- ches euch dann euer Heyland und unser Schöpffer mit
Deß Abenth. Simpliciſſimi nicht verwunderns wuͤrdig waͤre/ ſagte ich zu ihm:Ob ſie ſich denn nit auch verwunderten/ da ſie etwas ſeltenes und ungewoͤhnliches von uns Menſchen ſe- ben? Hierauff antwortet er: Wir verwundern uns an euch nichts mehrers/ als daß ihr euch/ da ihr doch zum ewigen ſeeligen Leben/ und den unendlichen himmliſchen Freuden erſchaffen/ durch die zeitliche und irdiſche Wolluͤſte/ die doch ſo wenig ohne Unluſt und Schmertzen/ als die Roſen ohne Doͤrner ſind/ dergeſtalt bethoͤren laſt/ daß ihr dadurch euer Gerech- tigkeit am Himmel verlieret/ euch der froͤlichen An- ſchauung deß Allerheiligſten Angeſichts GOttes be- raubt/ und zu den verſtoſſenen Engeln in die ewige Verdam̃nus ſtuͤrtzet! Ach moͤchte unſer Geſchlecht an eurer Stell ſeyn/ wie wuͤrde ſich jeder befleiſſen/ in dem Augenblick eurer nichtigen und fluͤchtigen Zeit- lichkeit die Prob beſſer zu halten/ als ihr/ denn das Leben ſo ihr habt/ iſt nit euer Leben/ ſondern euer Le- ben oder der Todt wird euch erſt gegeben/ wenn ihr die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben nennet/ iſt gleichſam nur ein Moment und Augen- blick/ ſo euch verliehen iſt/ GOtt darin zu erkennen/ und ihme euch zu naͤhern/ damit er euch zu ſich nem- men moͤge/ dannenhero halten wir die Welt vor ei- nen Probierſtein Gottes/ auff welcher der Allmaͤch- tige die Menſchen/ gleich wie ſonſt ein reicher Mann das Gold und Silber probiert/ und nachdem er ihren Valor am Strich befindet/ oder nachdem ſie ſich durchs Feuer laͤutern laſſen/ die gute und feine Gold- und Silberſorden in ſeinen him̃liſchen Schatz leget/ die boͤſe und falſche aber ins ewige Feuer wirfft/ wel- ches euch dann euer Heyland und unſer Schoͤpffer mit
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0568" n="562"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Deß Abenth. <hi rendition="#aq">Simpliciſſimi</hi></hi></fw><lb/> nicht verwunderns wuͤrdig waͤre/ ſagte ich zu ihm:<lb/> Ob ſie ſich denn nit auch verwunderten/ da ſie etwas<lb/> ſeltenes und ungewoͤhnliches von uns Menſchen ſe-<lb/> ben? Hierauff antwortet er: Wir verwundern uns<lb/> an euch nichts mehrers/ als daß ihr euch/ da ihr doch<lb/> zum ewigen ſeeligen Leben/ und den unendlichen<lb/> himmliſchen Freuden erſchaffen/ durch die zeitliche<lb/> und irdiſche Wolluͤſte/ die doch ſo wenig ohne Unluſt<lb/> und Schmertzen/ als die Roſen ohne Doͤrner ſind/<lb/> dergeſtalt bethoͤren laſt/ daß ihr dadurch euer Gerech-<lb/> tigkeit am Himmel verlieret/ euch der froͤlichen An-<lb/> ſchauung deß Allerheiligſten Angeſichts GOttes be-<lb/> raubt/ und zu den verſtoſſenen Engeln in die ewige<lb/> Verdam̃nus ſtuͤrtzet! Ach moͤchte unſer Geſchlecht<lb/> an eurer Stell ſeyn/ wie wuͤrde ſich jeder befleiſſen/ in<lb/> dem Augenblick eurer nichtigen und fluͤchtigen Zeit-<lb/> lichkeit die Prob beſſer zu halten/ als ihr/ denn das<lb/> Leben ſo ihr habt/ iſt nit euer Leben/ ſondern euer Le-<lb/> ben oder der Todt wird euch erſt gegeben/ wenn ihr<lb/> die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben<lb/> nennet/ iſt gleichſam nur ein <hi rendition="#aq">Moment</hi> und Augen-<lb/> blick/ ſo euch verliehen iſt/ GOtt darin zu erkennen/<lb/> und ihme euch zu naͤhern/ damit er euch zu ſich nem-<lb/> men moͤge/ dannenhero halten wir die Welt vor ei-<lb/> nen Probierſtein Gottes/ auff welcher der Allmaͤch-<lb/> tige die Menſchen/ gleich wie ſonſt ein reicher Mann<lb/> das Gold und Silber probiert/ und nachdem er ihren<lb/><hi rendition="#aq">Valor</hi> am Strich befindet/ oder nachdem ſie ſich<lb/> durchs Feuer laͤutern laſſen/ die gute und feine Gold-<lb/> und Silberſorden in ſeinen him̃liſchen Schatz leget/<lb/> die boͤſe und falſche aber ins ewige Feuer wirfft/ wel-<lb/> ches euch dann euer Heyland und unſer Schoͤpffer<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [562/0568]
Deß Abenth. Simpliciſſimi
nicht verwunderns wuͤrdig waͤre/ ſagte ich zu ihm:
Ob ſie ſich denn nit auch verwunderten/ da ſie etwas
ſeltenes und ungewoͤhnliches von uns Menſchen ſe-
ben? Hierauff antwortet er: Wir verwundern uns
an euch nichts mehrers/ als daß ihr euch/ da ihr doch
zum ewigen ſeeligen Leben/ und den unendlichen
himmliſchen Freuden erſchaffen/ durch die zeitliche
und irdiſche Wolluͤſte/ die doch ſo wenig ohne Unluſt
und Schmertzen/ als die Roſen ohne Doͤrner ſind/
dergeſtalt bethoͤren laſt/ daß ihr dadurch euer Gerech-
tigkeit am Himmel verlieret/ euch der froͤlichen An-
ſchauung deß Allerheiligſten Angeſichts GOttes be-
raubt/ und zu den verſtoſſenen Engeln in die ewige
Verdam̃nus ſtuͤrtzet! Ach moͤchte unſer Geſchlecht
an eurer Stell ſeyn/ wie wuͤrde ſich jeder befleiſſen/ in
dem Augenblick eurer nichtigen und fluͤchtigen Zeit-
lichkeit die Prob beſſer zu halten/ als ihr/ denn das
Leben ſo ihr habt/ iſt nit euer Leben/ ſondern euer Le-
ben oder der Todt wird euch erſt gegeben/ wenn ihr
die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben
nennet/ iſt gleichſam nur ein Moment und Augen-
blick/ ſo euch verliehen iſt/ GOtt darin zu erkennen/
und ihme euch zu naͤhern/ damit er euch zu ſich nem-
men moͤge/ dannenhero halten wir die Welt vor ei-
nen Probierſtein Gottes/ auff welcher der Allmaͤch-
tige die Menſchen/ gleich wie ſonſt ein reicher Mann
das Gold und Silber probiert/ und nachdem er ihren
Valor am Strich befindet/ oder nachdem ſie ſich
durchs Feuer laͤutern laſſen/ die gute und feine Gold-
und Silberſorden in ſeinen him̃liſchen Schatz leget/
die boͤſe und falſche aber ins ewige Feuer wirfft/ wel-
ches euch dann euer Heyland und unſer Schoͤpffer
mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/568 |
Zitationshilfe: | German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/568>, abgerufen am 03.07.2024. |