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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Schluß des Ganzen wiederhohlt und mit einigen andern Ab-
weichungen. Dreigeng statt zweigeng, und in der vierten Zeile:
"weise und Wort mach meisterlichen orden." 70) Ich werde
nachher ausführen, daß das Adjectiv meisterlich hier nothwen-
dig dasse[l]be aussage, was in dem Substantiv Meistersang
liegt; gern aber möchte Docen der ohne Zweifel entstellten
und durch Püterich widerlegten Lesart anhangen, um dann
etwa: "nach vollkommenster Ordnung" allgemein zu interpre-
tiren; wie gezwungen und uncritisch, gebe ich jedem anheim.

Vielleicht könnte man noch bestimmter so übersetzen: zwei-
mal hab ich nun schon all diese Lieder der Regel unseres Mei-
stersangs nachmessen lassen, -- da man weiß, daß reiche oder
berühmte Dichter diese Arbeit andern, etwa ihren Dienern,
übertrugen. Man sehe Adelung 2. 235. (anno 1410.)

Inzwischen läßt sich gegen meine Auslegung eine weitere
Stelle des Titurel einwerfen. Str. 1140 erwähnt der Dich-
ter: "zweifalt Rede war dies Mär gesaümt, wenn ein Mei-
ster stirbt, so nimmt es der andere auf." Das heißt: diese
Geschichte ist nun zweimal bearbeitet worden, nach dem Tod
des ersten Dichters, habe ich sie neuerdings übernommen.
Scheint aber nun nicht unser obiges "zwigenge" mit diesem
"zwifalt" zusammenzuhängen, und ersteres so erklärt werden zu
müssen: "schon zweimal ist diese Geschichte gereimt oder bear-
beitet worden"? Dann zwar ginge die gegebene Erläuterung
vom Messen verloren und man hätte auch die andere Arbeit
für meisterfängerisch erklärt. Allein hier spricht ja der Meister
gerade nur von seiner neuen Bearbeitung, die zu bestimmten
Worte: "diese Lieder" schließen allen Zweifel aus, das kann
nicht heißen: diese Geschichte, sondern nur: diese meine Bear-
beitung. Eschenbach hat hier keinen Anlaß von der Geschichte
der Bearbeitungen zu reden, vielmehr will er bloß der schlech-

70) Hiernach citirt offenbar auch Hanemann zu Opiz.

Schluß des Ganzen wiederhohlt und mit einigen andern Ab-
weichungen. Dreigeng ſtatt zweigeng, und in der vierten Zeile:
„weiſe und Wort mach meiſterlichen orden.“ 70) Ich werde
nachher ausfuͤhren, daß das Adjectiv meiſterlich hier nothwen-
dig dasſe[l]be ausſage, was in dem Subſtantiv Meiſterſang
liegt; gern aber moͤchte Docen der ohne Zweifel entſtellten
und durch Puͤterich widerlegten Lesart anhangen, um dann
etwa: „nach vollkommenſter Ordnung“ allgemein zu interpre-
tiren; wie gezwungen und uncritiſch, gebe ich jedem anheim.

Vielleicht koͤnnte man noch beſtimmter ſo uͤberſetzen: zwei-
mal hab ich nun ſchon all dieſe Lieder der Regel unſeres Mei-
ſterſangs nachmeſſen laſſen, — da man weiß, daß reiche oder
beruͤhmte Dichter dieſe Arbeit andern, etwa ihren Dienern,
uͤbertrugen. Man ſehe Adelung 2. 235. (anno 1410.)

Inzwiſchen laͤßt ſich gegen meine Auslegung eine weitere
Stelle des Titurel einwerfen. Str. 1140 erwaͤhnt der Dich-
ter: „zweifalt Rede war dies Maͤr geſauͤmt, wenn ein Mei-
ſter ſtirbt, ſo nimmt es der andere auf.“ Das heißt: dieſe
Geſchichte iſt nun zweimal bearbeitet worden, nach dem Tod
des erſten Dichters, habe ich ſie neuerdings uͤbernommen.
Scheint aber nun nicht unſer obiges “zwigenge” mit dieſem
„zwifalt“ zuſammenzuhaͤngen, und erſteres ſo erklaͤrt werden zu
muͤſſen: „ſchon zweimal iſt dieſe Geſchichte gereimt oder bear-
beitet worden“? Dann zwar ginge die gegebene Erlaͤuterung
vom Meſſen verloren und man haͤtte auch die andere Arbeit
fuͤr meiſterfaͤngeriſch erklaͤrt. Allein hier ſpricht ja der Meiſter
gerade nur von ſeiner neuen Bearbeitung, die zu beſtimmten
Worte: „dieſe Lieder“ ſchließen allen Zweifel aus, das kann
nicht heißen: dieſe Geſchichte, ſondern nur: dieſe meine Bear-
beitung. Eſchenbach hat hier keinen Anlaß von der Geſchichte
der Bearbeitungen zu reden, vielmehr will er bloß der ſchlech-

70) Hiernach citirt offenbar auch Hanemann zu Opiz.
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[84/0094] Schluß des Ganzen wiederhohlt und mit einigen andern Ab- weichungen. Dreigeng ſtatt zweigeng, und in der vierten Zeile: „weiſe und Wort mach meiſterlichen orden.“ 70) Ich werde nachher ausfuͤhren, daß das Adjectiv meiſterlich hier nothwen- dig dasſelbe ausſage, was in dem Subſtantiv Meiſterſang liegt; gern aber moͤchte Docen der ohne Zweifel entſtellten und durch Puͤterich widerlegten Lesart anhangen, um dann etwa: „nach vollkommenſter Ordnung“ allgemein zu interpre- tiren; wie gezwungen und uncritiſch, gebe ich jedem anheim. Vielleicht koͤnnte man noch beſtimmter ſo uͤberſetzen: zwei- mal hab ich nun ſchon all dieſe Lieder der Regel unſeres Mei- ſterſangs nachmeſſen laſſen, — da man weiß, daß reiche oder beruͤhmte Dichter dieſe Arbeit andern, etwa ihren Dienern, uͤbertrugen. Man ſehe Adelung 2. 235. (anno 1410.) Inzwiſchen laͤßt ſich gegen meine Auslegung eine weitere Stelle des Titurel einwerfen. Str. 1140 erwaͤhnt der Dich- ter: „zweifalt Rede war dies Maͤr geſauͤmt, wenn ein Mei- ſter ſtirbt, ſo nimmt es der andere auf.“ Das heißt: dieſe Geſchichte iſt nun zweimal bearbeitet worden, nach dem Tod des erſten Dichters, habe ich ſie neuerdings uͤbernommen. Scheint aber nun nicht unſer obiges “zwigenge” mit dieſem „zwifalt“ zuſammenzuhaͤngen, und erſteres ſo erklaͤrt werden zu muͤſſen: „ſchon zweimal iſt dieſe Geſchichte gereimt oder bear- beitet worden“? Dann zwar ginge die gegebene Erlaͤuterung vom Meſſen verloren und man haͤtte auch die andere Arbeit fuͤr meiſterfaͤngeriſch erklaͤrt. Allein hier ſpricht ja der Meiſter gerade nur von ſeiner neuen Bearbeitung, die zu beſtimmten Worte: „dieſe Lieder“ ſchließen allen Zweifel aus, das kann nicht heißen: dieſe Geſchichte, ſondern nur: dieſe meine Bear- beitung. Eſchenbach hat hier keinen Anlaß von der Geſchichte der Bearbeitungen zu reden, vielmehr will er bloß der ſchlech- 70) Hiernach citirt offenbar auch Hanemann zu Opiz.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/94>, abgerufen am 25.11.2024.