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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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und nicht weniger eine Reihe der besten Volkslieder, als zwi-
schen dem Buchsbaum und Felbinger, dem Wasser und Wein etc.
Die Concurrenz der späteren Meister mit ihren Liedern zu ei-
nem gewissen Preis (nach dem Memminger Bericht S. 52.
Gleichen, d. h. mit Liedersingen um die Gabe streiten) ist
etwas Verschiedenes und doch etwa damit Verwandtes. Es
wurde in den Liedern aber selbst nichts bestritten, sondern das
formell beste des Preises würdig erkannt.

2. Wolfram in der letzten Strophe des vierten Cap. im
Titurel (oder in der 542sten) sagt:


mit reymen schon zwigenge
seint dise lieder worden
gemeßen recht die lenge
gar in ir don nach meistersanges orden
zu vil zu klain das tuot ein lied verswachet
ich wolfram bin unschuldig
ob schreiber dicke recht unrichtig machet.

Das erkläre ich so: "schon zweimal sind diese Lieder, d. h.
Strophen in ihrem Ton, wie ihn die Regel des Meistersangs
mit sich bringt, nachgemessen teorden; die Abschreiber aber
machen die rechten Lieder häufig unrichtig, indem sie Silben
auslassen oder zufügen, daran bin ich ohne Schuld."

Die Stelle beweist unwiderleglich die Existenz des Mei-
stersangs zu Wolframs Zeit und daß der Titurel ein Meister-
gesang 69) sey. Dieser Sinn besteht bei jeder Erklärung und
jeder Variante. Die richtige Lesart enthält sogar unser ei-
gentliches Wort, wie es später üblich war. Püterich führt die
Stelle in der Hauptsache eben so an, statt "in ihr Ton" hat
er "vil jar gerecht" -- hinten im Druck ist die Strophe zum

69) Herr D. hat hernach selbst im Museum S. 149. einen Ton,
der in Conrad von Megenbergs Prolog vorkommt, dem Meister-
sang zugesprochen, obwohl dabei alles zweifelhafter aussteht.
F 2

und nicht weniger eine Reihe der beſten Volkslieder, als zwi-
ſchen dem Buchsbaum und Felbinger, dem Waſſer und Wein ꝛc.
Die Concurrenz der ſpaͤteren Meiſter mit ihren Liedern zu ei-
nem gewiſſen Preis (nach dem Memminger Bericht S. 52.
Gleichen, d. h. mit Liederſingen um die Gabe ſtreiten) iſt
etwas Verſchiedenes und doch etwa damit Verwandtes. Es
wurde in den Liedern aber ſelbſt nichts beſtritten, ſondern das
formell beſte des Preiſes wuͤrdig erkannt.

2. Wolfram in der letzten Strophe des vierten Cap. im
Titurel (oder in der 542ſten) ſagt:


mit reymen ſchon zwigenge
ſeint diſe lieder worden
gemeßen recht die lenge
gar in ir don nach meiſterſanges orden
zu vil zu klain das tuot ein lied verſwachet
ich wolfram bin unſchuldig
ob ſchreiber dicke recht unrichtig machet.

Das erklaͤre ich ſo: „ſchon zweimal ſind dieſe Lieder, d. h.
Strophen in ihrem Ton, wie ihn die Regel des Meiſterſangs
mit ſich bringt, nachgemeſſen teorden; die Abſchreiber aber
machen die rechten Lieder haͤufig unrichtig, indem ſie Silben
auslaſſen oder zufuͤgen, daran bin ich ohne Schuld.“

Die Stelle beweiſt unwiderleglich die Exiſtenz des Mei-
ſterſangs zu Wolframs Zeit und daß der Titurel ein Meiſter-
geſang 69) ſey. Dieſer Sinn beſteht bei jeder Erklaͤrung und
jeder Variante. Die richtige Lesart enthaͤlt ſogar unſer ei-
gentliches Wort, wie es ſpaͤter uͤblich war. Puͤterich fuͤhrt die
Stelle in der Hauptſache eben ſo an, ſtatt „in ihr Ton“ hat
er „vil jar gerecht“ — hinten im Druck iſt die Strophe zum

69) Herr D. hat hernach ſelbſt im Muſeum S. 149. einen Ton,
der in Conrad von Megenbergs Prolog vorkommt, dem Meiſter-
ſang zugeſprochen, obwohl dabei alles zweifelhafter ausſteht.
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[83/0093] und nicht weniger eine Reihe der beſten Volkslieder, als zwi- ſchen dem Buchsbaum und Felbinger, dem Waſſer und Wein ꝛc. Die Concurrenz der ſpaͤteren Meiſter mit ihren Liedern zu ei- nem gewiſſen Preis (nach dem Memminger Bericht S. 52. Gleichen, d. h. mit Liederſingen um die Gabe ſtreiten) iſt etwas Verſchiedenes und doch etwa damit Verwandtes. Es wurde in den Liedern aber ſelbſt nichts beſtritten, ſondern das formell beſte des Preiſes wuͤrdig erkannt. 2. Wolfram in der letzten Strophe des vierten Cap. im Titurel (oder in der 542ſten) ſagt: mit reymen ſchon zwigenge ſeint diſe lieder worden gemeßen recht die lenge gar in ir don nach meiſterſanges orden zu vil zu klain das tuot ein lied verſwachet ich wolfram bin unſchuldig ob ſchreiber dicke recht unrichtig machet. Das erklaͤre ich ſo: „ſchon zweimal ſind dieſe Lieder, d. h. Strophen in ihrem Ton, wie ihn die Regel des Meiſterſangs mit ſich bringt, nachgemeſſen teorden; die Abſchreiber aber machen die rechten Lieder haͤufig unrichtig, indem ſie Silben auslaſſen oder zufuͤgen, daran bin ich ohne Schuld.“ Die Stelle beweiſt unwiderleglich die Exiſtenz des Mei- ſterſangs zu Wolframs Zeit und daß der Titurel ein Meiſter- geſang 69) ſey. Dieſer Sinn beſteht bei jeder Erklaͤrung und jeder Variante. Die richtige Lesart enthaͤlt ſogar unſer ei- gentliches Wort, wie es ſpaͤter uͤblich war. Puͤterich fuͤhrt die Stelle in der Hauptſache eben ſo an, ſtatt „in ihr Ton“ hat er „vil jar gerecht“ — hinten im Druck iſt die Strophe zum 69) Herr D. hat hernach ſelbſt im Muſeum S. 149. einen Ton, der in Conrad von Megenbergs Prolog vorkommt, dem Meiſter- ſang zugeſprochen, obwohl dabei alles zweifelhafter ausſteht. F 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/93>, abgerufen am 05.05.2024.