Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. 'Weißt du,' rief er mit einer fürchterlichen Stimme, 'was dein Lohn dafür ist, daß du mich heraus gelassen hast?' 'Nein,' antwortete der Schüler ohne Furcht, 'wie soll ich das wissen?' 'So will ich dirs sagen,' rief der Geist, 'den Hals muß ich dir dafür brechen.' 'Das hättest du mir früher sagen sollen,' antwortete der Schüler, 'so hätte ich dich stecken lassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden.' 'Mehr Leute hin, mehr Leute her,' rief der Geist, 'deinen verdienten Lohn den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen.' 'Sachte,' antwortete der Schüler, 'so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist: kannst du auch wieder hinein, so will ichs glauben, und dann magst du mit mir anfangen was du willst.' Der Geist sprach voll Hochmuth 'das ist eine geringe Kunst,' zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe Öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hinein kroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen.

Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich 'ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus.' 'Nein,' antwortete der Schüler, 'zum zweitenmale nicht: wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe.' 'Wenn du mich frei machst,' rief der Geist, 'so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast.' 'Nein,' antwortete der Schüler, 'du würdest

Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. ‘Weißt du,’ rief er mit einer fürchterlichen Stimme, ‘was dein Lohn dafür ist, daß du mich heraus gelassen hast?’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler ohne Furcht, ‘wie soll ich das wissen?’ ‘So will ich dirs sagen,’ rief der Geist, ‘den Hals muß ich dir dafür brechen.’ ‘Das hättest du mir früher sagen sollen,’ antwortete der Schüler, ‘so hätte ich dich stecken lassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden.’ ‘Mehr Leute hin, mehr Leute her,’ rief der Geist, ‘deinen verdienten Lohn den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen.’ ‘Sachte,’ antwortete der Schüler, ‘so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist: kannst du auch wieder hinein, so will ichs glauben, und dann magst du mit mir anfangen was du willst.’ Der Geist sprach voll Hochmuth ‘das ist eine geringe Kunst,’ zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe Öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hinein kroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen.

Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich ‘ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus.’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler, ‘zum zweitenmale nicht: wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe.’ ‘Wenn du mich frei machst,’ rief der Geist, ‘so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast.’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler, ‘du würdest

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="74"/>
Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. &#x2018;Weißt du,&#x2019; rief er mit einer fürchterlichen Stimme, &#x2018;was dein Lohn dafür ist, daß du mich heraus gelassen hast?&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; antwortete der Schüler ohne Furcht, &#x2018;wie soll ich das wissen?&#x2019; &#x2018;So will ich dirs sagen,&#x2019; rief der Geist, &#x2018;den Hals muß ich dir dafür brechen.&#x2019; &#x2018;Das hättest du mir früher sagen sollen,&#x2019; antwortete der Schüler, &#x2018;so hätte ich dich stecken lassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden.&#x2019; &#x2018;Mehr Leute hin, mehr Leute her,&#x2019; rief der Geist, &#x2018;deinen verdienten Lohn den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen.&#x2019; &#x2018;Sachte,&#x2019; antwortete der Schüler, &#x2018;so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist: kannst du auch wieder hinein, so will ichs glauben, und dann magst du mit mir anfangen was du willst.&#x2019; Der Geist sprach voll Hochmuth &#x2018;das ist eine geringe Kunst,&#x2019; zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe Öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hinein kroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen.</p><lb/>
        <p>Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich &#x2018;ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus.&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; antwortete der Schüler, &#x2018;zum zweitenmale nicht: wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe.&#x2019; &#x2018;Wenn du mich frei machst,&#x2019; rief der Geist, &#x2018;so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast.&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; antwortete der Schüler, &#x2018;du würdest
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0086] Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. ‘Weißt du,’ rief er mit einer fürchterlichen Stimme, ‘was dein Lohn dafür ist, daß du mich heraus gelassen hast?’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler ohne Furcht, ‘wie soll ich das wissen?’ ‘So will ich dirs sagen,’ rief der Geist, ‘den Hals muß ich dir dafür brechen.’ ‘Das hättest du mir früher sagen sollen,’ antwortete der Schüler, ‘so hätte ich dich stecken lassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden.’ ‘Mehr Leute hin, mehr Leute her,’ rief der Geist, ‘deinen verdienten Lohn den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen.’ ‘Sachte,’ antwortete der Schüler, ‘so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist: kannst du auch wieder hinein, so will ichs glauben, und dann magst du mit mir anfangen was du willst.’ Der Geist sprach voll Hochmuth ‘das ist eine geringe Kunst,’ zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe Öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hinein kroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen. Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich ‘ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus.’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler, ‘zum zweitenmale nicht: wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe.’ ‘Wenn du mich frei machst,’ rief der Geist, ‘so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast.’ ‘Nein,’ antwortete der Schüler, ‘du würdest

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-08T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/86
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/86>, abgerufen am 23.11.2024.