Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fürchteten es könnte ihnen gestohlen werden, oder die Mäuse könnten darüber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnöthigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gäste von dem Bette aus verjagen könnte. Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: 'Wer früh aufsteht,' sprach er, 'sein Gut verzehrt.' Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau 'die Weiber lieben die Süßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafür eine Gans mit einem jungen Gänslein erhandeln.' 'Aber nicht eher,' erwiderte Trine, 'als bis wir ein Kind haben, das sie hütet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gänsen plagen, und meine Kräfte unnöthigerweise dabei zusetzen?' 'Meinst du,' sagte Heinz, 'der Junge werde Gänse hüten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich klüger dünken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.' 'O', antwortete Trine, 'dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezählten Schlägen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,' rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Mäuse verjagen wollte, 'siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.' Sie Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fuͤrchteten es koͤnnte ihnen gestohlen werden, oder die Maͤuse koͤnnten daruͤber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnoͤthigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gaͤste von dem Bette aus verjagen koͤnnte. Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: ‘Wer fruͤh aufsteht,’ sprach er, ‘sein Gut verzehrt.’ Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau ‘die Weiber lieben die Suͤßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafuͤr eine Gans mit einem jungen Gaͤnslein erhandeln.’ ‘Aber nicht eher,’ erwiderte Trine, ‘als bis wir ein Kind haben, das sie huͤtet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gaͤnsen plagen, und meine Kraͤfte unnoͤthigerweise dabei zusetzen?’ ‘Meinst du,’ sagte Heinz, ‘der Junge werde Gaͤnse huͤten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich kluͤger duͤnken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.’ ‘O’, antwortete Trine, ‘dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezaͤhlten Schlaͤgen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,’ rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Maͤuse verjagen wollte, ‘siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.’ Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0358" n="342"/> <p>Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fuͤrchteten es koͤnnte ihnen gestohlen werden, oder die Maͤuse koͤnnten daruͤber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnoͤthigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gaͤste von dem Bette aus verjagen koͤnnte.</p><lb/> <p>Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: ‘Wer fruͤh aufsteht,’ sprach er, ‘sein Gut verzehrt.’ Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau ‘die Weiber lieben die Suͤßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafuͤr eine Gans mit einem jungen Gaͤnslein erhandeln.’ ‘Aber nicht eher,’ erwiderte Trine, ‘als bis wir ein Kind haben, das sie huͤtet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gaͤnsen plagen, und meine Kraͤfte unnoͤthigerweise dabei zusetzen?’ ‘Meinst du,’ sagte Heinz, ‘der Junge werde Gaͤnse huͤten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich kluͤger duͤnken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.’ ‘O’, antwortete Trine, ‘dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezaͤhlten Schlaͤgen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,’ rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Maͤuse verjagen wollte, ‘siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.’ Sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [342/0358]
Sie stellten den Krug auf ein Brett, das oben an der Wand in ihrer Schlafkammer befestigt war, und weil sie fuͤrchteten es koͤnnte ihnen gestohlen werden, oder die Maͤuse koͤnnten daruͤber gerathen, so holte Trine einen starken Haselstock herbei, und legte ihn neben ihr Bett, damit sie ihn, ohne unnoͤthigerweise aufzustehen, mit der Hand erreichen und die ungebetenen Gaͤste von dem Bette aus verjagen koͤnnte.
Der faule Heinz verließ das Bett nicht gerne vor Mittag: ‘Wer fruͤh aufsteht,’ sprach er, ‘sein Gut verzehrt.’ Eines Morgens, als er so am hellen Tage noch in den Federn lag, und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zu seiner Frau ‘die Weiber lieben die Suͤßigkeit, und du naschest von dem Honig, es ist besser, ehe er von dir allein ausgegessen wird, daß wir dafuͤr eine Gans mit einem jungen Gaͤnslein erhandeln.’ ‘Aber nicht eher,’ erwiderte Trine, ‘als bis wir ein Kind haben, das sie huͤtet. Soll ich mich etwa mit den jungen Gaͤnsen plagen, und meine Kraͤfte unnoͤthigerweise dabei zusetzen?’ ‘Meinst du,’ sagte Heinz, ‘der Junge werde Gaͤnse huͤten? heutzutage gehorchen die Kinder nicht mehr: sie thun nach ihrem eigenen Willen, weil sie sich kluͤger duͤnken als die Eltern, gerade wie jener Knecht, der die Kuh suchen sollte, und drei Amseln nachjagte.’ ‘O’, antwortete Trine, ‘dem soll es schlecht bekommen, wenn er nicht thut was ich sage. Einen Stock will ich nehmen, und mit ungezaͤhlten Schlaͤgen ihm die Haut gerben. Siehst du, Heinz,’ rief sie in ihrem Eifer, und faßte den Stock, mit dem sie die Maͤuse verjagen wollte, ‘siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.’ Sie
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/358>, abgerufen am 17.06.2024. |