Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den Zwölfen dann nachschleichen." Wie der Soldat so guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er sich ein Herz faßte, vor den König ging, und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm königliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein, aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden und ließ den Wein da hineinlaufen und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten und die älteste sprach: "der hätte auch sein Leben sparen können!" Darnach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige Kleider heraus, putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die jüngste sagte: "ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfährt uns ein Unglück." -- "Du Schneegans, sagte die älteste, du fürchtest dich immer, hast du vergessen, wie viel Königssöhne schon umsonst da gewesen sind; dem Soldaten hätt' ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, er wär' doch nicht aufgewacht." Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der rührte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die älteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und öffnete sich eine Fallthür.

umhaͤngst, so bist du unsichtbar und kannst den Zwoͤlfen dann nachschleichen.“ Wie der Soldat so guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er sich ein Herz faßte, vor den Koͤnig ging, und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm koͤnigliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in das Vorzimmer gefuͤhrt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die aͤlteste und brachte ihm einen Becher Wein, aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden und ließ den Wein da hineinlaufen und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das hoͤrten die zwoͤlf Koͤnigstoͤchter, lachten und die aͤlteste sprach: „der haͤtte auch sein Leben sparen koͤnnen!“ Darnach standen sie auf, oͤffneten Schraͤnke, Kisten und Kasten, und holten praͤchtige Kleider heraus, putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die juͤngste sagte: „ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfaͤhrt uns ein Ungluͤck.“ — „Du Schneegans, sagte die aͤlteste, du fuͤrchtest dich immer, hast du vergessen, wie viel Koͤnigssoͤhne schon umsonst da gewesen sind; dem Soldaten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“ Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der ruͤhrte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die aͤlteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und oͤffnete sich eine Fallthuͤr.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0305" n="227"/>
umha&#x0364;ngst, so bist du unsichtbar und kannst den Zwo&#x0364;lfen dann nachschleichen.&#x201C; Wie der Soldat so guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er sich ein Herz faßte, vor den Ko&#x0364;nig ging, und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm ko&#x0364;nigliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in das Vorzimmer gefu&#x0364;hrt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die a&#x0364;lteste und brachte ihm einen Becher Wein, aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden und ließ den Wein da hineinlaufen und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das ho&#x0364;rten die zwo&#x0364;lf Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter, lachten und die a&#x0364;lteste sprach: &#x201E;der ha&#x0364;tte auch sein Leben sparen ko&#x0364;nnen!&#x201C; Darnach standen sie auf, o&#x0364;ffneten Schra&#x0364;nke, Kisten und Kasten, und holten pra&#x0364;chtige Kleider heraus, putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die ju&#x0364;ngste sagte: &#x201E;ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfa&#x0364;hrt uns ein Unglu&#x0364;ck.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Du Schneegans, sagte die a&#x0364;lteste, du fu&#x0364;rchtest dich immer, hast du vergessen, wie viel Ko&#x0364;nigsso&#x0364;hne schon umsonst da gewesen sind; dem Soldaten ha&#x0364;tt&#x2019; ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, er wa&#x0364;r&#x2019; doch nicht aufgewacht.&#x201C; Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der ru&#x0364;hrte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die a&#x0364;lteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und o&#x0364;ffnete sich eine Fallthu&#x0364;r.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0305] umhaͤngst, so bist du unsichtbar und kannst den Zwoͤlfen dann nachschleichen.“ Wie der Soldat so guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er sich ein Herz faßte, vor den Koͤnig ging, und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm koͤnigliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in das Vorzimmer gefuͤhrt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die aͤlteste und brachte ihm einen Becher Wein, aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden und ließ den Wein da hineinlaufen und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das hoͤrten die zwoͤlf Koͤnigstoͤchter, lachten und die aͤlteste sprach: „der haͤtte auch sein Leben sparen koͤnnen!“ Darnach standen sie auf, oͤffneten Schraͤnke, Kisten und Kasten, und holten praͤchtige Kleider heraus, putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die juͤngste sagte: „ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfaͤhrt uns ein Ungluͤck.“ — „Du Schneegans, sagte die aͤlteste, du fuͤrchtest dich immer, hast du vergessen, wie viel Koͤnigssoͤhne schon umsonst da gewesen sind; dem Soldaten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“ Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der ruͤhrte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die aͤlteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und oͤffnete sich eine Fallthuͤr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/305
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/305>, abgerufen am 22.11.2024.