Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

Morgen ihre Schuhe zertanzt und wußte niemand, wo sie gewesen und wie es zugegangen war. Da ließ der König ausrufen, wers könnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau wählen und nach seinem Tod König seyn; wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Nächten nicht herausbrächte, der hätte sein Leben verwirkt. Es kam bald ein Königssohn, der ward wohl aufgenommen, und Abends in das Zimmer geführt, das vor dem Schlafsaal der zwölf Töchter war, da stand sein Bett und da sollte er Acht haben, wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war auch die Saalthüre offen gelassen. Der Königssohn aber schlief ein und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwölfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Löcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend gings eben so und da ward ihm sein Haupt abgeschlagen; und so kamen noch viele und meldeten sich zu dem Wagestück, sie mußten aber alle ihr Leben lassen. Nun trug sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, nach der Stadt zuging, wo der König wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. "Jch weiß selber nicht recht, sprach er, aber ich hätte wohl Lust König zu werden und auszumachen, wo die Königstöchter ihre Schuhe vertanzten." "Ei, sagte die Alte, das ist so schwer nicht, du mußt nur den Wein nicht trinken, den dir die eine Abends bringt, und mußt thun, als wärst du fest eingeschlafen." Darauf gab sie ihm ein Mäntelchen und sprach: "wenn du das

Morgen ihre Schuhe zertanzt und wußte niemand, wo sie gewesen und wie es zugegangen war. Da ließ der Koͤnig ausrufen, wers koͤnnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau waͤhlen und nach seinem Tod Koͤnig seyn; wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Naͤchten nicht herausbraͤchte, der haͤtte sein Leben verwirkt. Es kam bald ein Koͤnigssohn, der ward wohl aufgenommen, und Abends in das Zimmer gefuͤhrt, das vor dem Schlafsaal der zwoͤlf Toͤchter war, da stand sein Bett und da sollte er Acht haben, wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war auch die Saalthuͤre offen gelassen. Der Koͤnigssohn aber schlief ein und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwoͤlfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Loͤcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend gings eben so und da ward ihm sein Haupt abgeschlagen; und so kamen noch viele und meldeten sich zu dem Wagestuͤck, sie mußten aber alle ihr Leben lassen. Nun trug sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, nach der Stadt zuging, wo der Koͤnig wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. „Jch weiß selber nicht recht, sprach er, aber ich haͤtte wohl Lust Koͤnig zu werden und auszumachen, wo die Koͤnigstoͤchter ihre Schuhe vertanzten.“ „Ei, sagte die Alte, das ist so schwer nicht, du mußt nur den Wein nicht trinken, den dir die eine Abends bringt, und mußt thun, als waͤrst du fest eingeschlafen.“ Darauf gab sie ihm ein Maͤntelchen und sprach: „wenn du das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0304" n="226"/>
Morgen ihre Schuhe zertanzt und wußte niemand, wo sie gewesen und wie es zugegangen war. Da ließ der Ko&#x0364;nig ausrufen, wers ko&#x0364;nnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau wa&#x0364;hlen und nach seinem Tod Ko&#x0364;nig seyn; wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Na&#x0364;chten nicht herausbra&#x0364;chte, der ha&#x0364;tte sein Leben verwirkt. Es kam bald ein Ko&#x0364;nigssohn, der ward wohl aufgenommen, und Abends in das Zimmer gefu&#x0364;hrt, das vor dem Schlafsaal der zwo&#x0364;lf To&#x0364;chter war, da stand sein Bett und da sollte er Acht haben, wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war auch die Saalthu&#x0364;re offen gelassen. Der Ko&#x0364;nigssohn aber schlief ein und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwo&#x0364;lfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Lo&#x0364;cher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend gings eben so und da ward ihm sein Haupt abgeschlagen; und so kamen noch viele und meldeten sich zu dem Wagestu&#x0364;ck, sie mußten aber alle ihr Leben lassen. Nun trug sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, nach der Stadt zuging, wo der Ko&#x0364;nig wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. &#x201E;Jch weiß selber nicht recht, sprach er, aber ich ha&#x0364;tte wohl Lust Ko&#x0364;nig zu werden und auszumachen, wo die Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter ihre Schuhe vertanzten.&#x201C; &#x201E;Ei, sagte die Alte, das ist so schwer nicht, du mußt nur den Wein nicht trinken, den dir die eine Abends bringt, und mußt thun, als wa&#x0364;rst du fest eingeschlafen.&#x201C; Darauf gab sie ihm ein Ma&#x0364;ntelchen und sprach: &#x201E;wenn du das
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0304] Morgen ihre Schuhe zertanzt und wußte niemand, wo sie gewesen und wie es zugegangen war. Da ließ der Koͤnig ausrufen, wers koͤnnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau waͤhlen und nach seinem Tod Koͤnig seyn; wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Naͤchten nicht herausbraͤchte, der haͤtte sein Leben verwirkt. Es kam bald ein Koͤnigssohn, der ward wohl aufgenommen, und Abends in das Zimmer gefuͤhrt, das vor dem Schlafsaal der zwoͤlf Toͤchter war, da stand sein Bett und da sollte er Acht haben, wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war auch die Saalthuͤre offen gelassen. Der Koͤnigssohn aber schlief ein und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwoͤlfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Loͤcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend gings eben so und da ward ihm sein Haupt abgeschlagen; und so kamen noch viele und meldeten sich zu dem Wagestuͤck, sie mußten aber alle ihr Leben lassen. Nun trug sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, nach der Stadt zuging, wo der Koͤnig wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. „Jch weiß selber nicht recht, sprach er, aber ich haͤtte wohl Lust Koͤnig zu werden und auszumachen, wo die Koͤnigstoͤchter ihre Schuhe vertanzten.“ „Ei, sagte die Alte, das ist so schwer nicht, du mußt nur den Wein nicht trinken, den dir die eine Abends bringt, und mußt thun, als waͤrst du fest eingeschlafen.“ Darauf gab sie ihm ein Maͤntelchen und sprach: „wenn du das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/304
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/304>, abgerufen am 18.05.2024.