Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

setzen, das auf einem hinabwärts fließenden Was-
ser stehe, und der Vater solle es mit seinem eige-
nen Fuß fortstoßen und da solle der Sohn dem
Wasser überlassen bleiben. Da nahm er Abschied
von seinem Vater und setzte sich in ein Schiffchen
und der Vater mußte es mit seinem eigenen Fuß
fortstoßen. Und das Schiffchen drehte sich her-
um, daß der unterste Theil oben war, die Decke
aber im Wasser, und der Vater glaubte, er wär'
verloren, ging heim und trauerte um ihn.

Das Schiffchen aber floß ganz ruhig fort und
ging nicht unter und der Jüngling saß sicher dar-
in, und so floß es lange, bis es endlich an einem
unbekannten Ufer festsitzen blieb. Da stieg er
an's Land, sah ein schönes Schloß vor sich liegen
und ging drauf los, wie er aber hineintrat, war
es verwünscht und alles leer, bis er zuletzt in einer
Kammer eine Schlange antraf. Die Schlange
aber war eine verwünschte Prinzessin, die freute
sich, wie sie ihn sah und sprach zu ihm: "kommst
du, mein Erlöser, auf dich habe ich schon zwölf
Jahre gewartet, dies Reich ist verwünscht, und
du mußt es erlösen. Heute Nacht kommen zwölf
Männer, schwarz und mit Ketten behangen, die
werden dich fragen, was du hier machst, da
schweig aber still und gib ihnen keine Antwort,
und laß sie mit dir machen, was sie wollen; sie
werden dich quälen, schlagen und stechen, laß
alles geschehen, nur rede nicht, um zwölf Uhr

ſetzen, das auf einem hinabwaͤrts fließenden Waſ-
ſer ſtehe, und der Vater ſolle es mit ſeinem eige-
nen Fuß fortſtoßen und da ſolle der Sohn dem
Waſſer uͤberlaſſen bleiben. Da nahm er Abſchied
von ſeinem Vater und ſetzte ſich in ein Schiffchen
und der Vater mußte es mit ſeinem eigenen Fuß
fortſtoßen. Und das Schiffchen drehte ſich her-
um, daß der unterſte Theil oben war, die Decke
aber im Waſſer, und der Vater glaubte, er waͤr’
verloren, ging heim und trauerte um ihn.

Das Schiffchen aber floß ganz ruhig fort und
ging nicht unter und der Juͤngling ſaß ſicher dar-
in, und ſo floß es lange, bis es endlich an einem
unbekannten Ufer feſtſitzen blieb. Da ſtieg er
an’s Land, ſah ein ſchoͤnes Schloß vor ſich liegen
und ging drauf los, wie er aber hineintrat, war
es verwuͤnſcht und alles leer, bis er zuletzt in einer
Kammer eine Schlange antraf. Die Schlange
aber war eine verwuͤnſchte Prinzeſſin, die freute
ſich, wie ſie ihn ſah und ſprach zu ihm: „kommſt
du, mein Erloͤſer, auf dich habe ich ſchon zwoͤlf
Jahre gewartet, dies Reich iſt verwuͤnſcht, und
du mußt es erloͤſen. Heute Nacht kommen zwoͤlf
Maͤnner, ſchwarz und mit Ketten behangen, die
werden dich fragen, was du hier machſt, da
ſchweig aber ſtill und gib ihnen keine Antwort,
und laß ſie mit dir machen, was ſie wollen; ſie
werden dich quaͤlen, ſchlagen und ſtechen, laß
alles geſchehen, nur rede nicht, um zwoͤlf Uhr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="47"/>
&#x017F;etzen, das auf einem hinabwa&#x0364;rts fließenden Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;tehe, und der Vater &#x017F;olle es mit &#x017F;einem eige-<lb/>
nen Fuß fort&#x017F;toßen und da &#x017F;olle der Sohn dem<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en bleiben. Da nahm er Ab&#x017F;chied<lb/>
von &#x017F;einem Vater und &#x017F;etzte &#x017F;ich in ein Schiffchen<lb/>
und der Vater mußte es mit &#x017F;einem eigenen Fuß<lb/>
fort&#x017F;toßen. Und das Schiffchen drehte &#x017F;ich her-<lb/>
um, daß der unter&#x017F;te Theil oben war, die Decke<lb/>
aber im Wa&#x017F;&#x017F;er, und der Vater glaubte, er wa&#x0364;r&#x2019;<lb/>
verloren, ging heim und trauerte um ihn.</p><lb/>
        <p>Das Schiffchen aber floß ganz ruhig fort und<lb/>
ging nicht unter und der Ju&#x0364;ngling &#x017F;&#x017F;icher dar-<lb/>
in, und &#x017F;o floß es lange, bis es endlich an einem<lb/>
unbekannten Ufer fe&#x017F;t&#x017F;itzen blieb. Da &#x017F;tieg er<lb/>
an&#x2019;s Land, &#x017F;ah ein &#x017F;cho&#x0364;nes Schloß vor &#x017F;ich liegen<lb/>
und ging drauf los, wie er aber hineintrat, war<lb/>
es verwu&#x0364;n&#x017F;cht und alles leer, bis er zuletzt in einer<lb/>
Kammer eine Schlange antraf. Die Schlange<lb/>
aber war eine verwu&#x0364;n&#x017F;chte Prinze&#x017F;&#x017F;in, die freute<lb/>
&#x017F;ich, wie &#x017F;ie ihn &#x017F;ah und &#x017F;prach zu ihm: &#x201E;komm&#x017F;t<lb/>
du, mein Erlo&#x0364;&#x017F;er, auf dich habe ich &#x017F;chon zwo&#x0364;lf<lb/>
Jahre gewartet, dies Reich i&#x017F;t verwu&#x0364;n&#x017F;cht, und<lb/>
du mußt es erlo&#x0364;&#x017F;en. Heute Nacht kommen zwo&#x0364;lf<lb/>
Ma&#x0364;nner, &#x017F;chwarz und mit Ketten behangen, die<lb/>
werden dich fragen, was du hier mach&#x017F;t, da<lb/>
&#x017F;chweig aber &#x017F;till und gib ihnen keine Antwort,<lb/>
und laß &#x017F;ie mit dir machen, was &#x017F;ie wollen; &#x017F;ie<lb/>
werden dich qua&#x0364;len, &#x017F;chlagen und &#x017F;techen, laß<lb/>
alles ge&#x017F;chehen, nur rede nicht, um zwo&#x0364;lf Uhr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0068] ſetzen, das auf einem hinabwaͤrts fließenden Waſ- ſer ſtehe, und der Vater ſolle es mit ſeinem eige- nen Fuß fortſtoßen und da ſolle der Sohn dem Waſſer uͤberlaſſen bleiben. Da nahm er Abſchied von ſeinem Vater und ſetzte ſich in ein Schiffchen und der Vater mußte es mit ſeinem eigenen Fuß fortſtoßen. Und das Schiffchen drehte ſich her- um, daß der unterſte Theil oben war, die Decke aber im Waſſer, und der Vater glaubte, er waͤr’ verloren, ging heim und trauerte um ihn. Das Schiffchen aber floß ganz ruhig fort und ging nicht unter und der Juͤngling ſaß ſicher dar- in, und ſo floß es lange, bis es endlich an einem unbekannten Ufer feſtſitzen blieb. Da ſtieg er an’s Land, ſah ein ſchoͤnes Schloß vor ſich liegen und ging drauf los, wie er aber hineintrat, war es verwuͤnſcht und alles leer, bis er zuletzt in einer Kammer eine Schlange antraf. Die Schlange aber war eine verwuͤnſchte Prinzeſſin, die freute ſich, wie ſie ihn ſah und ſprach zu ihm: „kommſt du, mein Erloͤſer, auf dich habe ich ſchon zwoͤlf Jahre gewartet, dies Reich iſt verwuͤnſcht, und du mußt es erloͤſen. Heute Nacht kommen zwoͤlf Maͤnner, ſchwarz und mit Ketten behangen, die werden dich fragen, was du hier machſt, da ſchweig aber ſtill und gib ihnen keine Antwort, und laß ſie mit dir machen, was ſie wollen; ſie werden dich quaͤlen, ſchlagen und ſtechen, laß alles geſchehen, nur rede nicht, um zwoͤlf Uhr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/68
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/68>, abgerufen am 19.12.2024.