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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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Frau hatte auch eine Tochter. Die Mädchen waren mit einander bekannt und gingen zusammen spaziren und kamen hernach zu der Frau ins Haus. Da sprach sie zu des Mannes Tochter: "hör, sag deinem Vater, ich wollt ihn heirathen, dann sollst du jeden Morgen dich in Milch waschen und Wein trinken, meine Tochter aber soll sich in Wasser waschen und Wasser trinken." Das Mädchen ging nach Haus und erzählte seinem Vater, was die Frau gesprochen hatte. Der Mann sprach: "was soll ich thun? das Heirathen ist eine Freude und ist auch eine Qual!" Endlich zog er seinen Stiefel aus und sagte: "nimm diesen Stiefel, der hat in der Sohle ein Loch, geh damit auf den Boden, häng ihn an den großen Nagel und gieß dann Wasser hinein. Hält er das Wasser so will ich wieder eine Frau nehmen, läufts aber durch, so will, ich nicht." Das Mädchen that wie ihm geheißen war; aber das Wasser zog das Loch zusammen und der Stiefel ward voll bis obenhin. Nun meldete es seinem Vater, wie's ausgefallen war; er stieg selbst hinauf und als er sah, daß es seine Richtigkeit hatte, ging er zu der Wittwe und freite sie und die Hochzeit ward gehalten.

Am andern Morgen, als die beiden Mädchen sich aufmachten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken vor des

Frau hatte auch eine Tochter. Die Maͤdchen waren mit einander bekannt und gingen zusammen spaziren und kamen hernach zu der Frau ins Haus. Da sprach sie zu des Mannes Tochter: „hoͤr, sag deinem Vater, ich wollt ihn heirathen, dann sollst du jeden Morgen dich in Milch waschen und Wein trinken, meine Tochter aber soll sich in Wasser waschen und Wasser trinken.“ Das Maͤdchen ging nach Haus und erzaͤhlte seinem Vater, was die Frau gesprochen hatte. Der Mann sprach: „was soll ich thun? das Heirathen ist eine Freude und ist auch eine Qual!“ Endlich zog er seinen Stiefel aus und sagte: „nimm diesen Stiefel, der hat in der Sohle ein Loch, geh damit auf den Boden, haͤng ihn an den großen Nagel und gieß dann Wasser hinein. Haͤlt er das Wasser so will ich wieder eine Frau nehmen, laͤufts aber durch, so will, ich nicht.“ Das Maͤdchen that wie ihm geheißen war; aber das Wasser zog das Loch zusammen und der Stiefel ward voll bis obenhin. Nun meldete es seinem Vater, wie’s ausgefallen war; er stieg selbst hinauf und als er sah, daß es seine Richtigkeit hatte, ging er zu der Wittwe und freite sie und die Hochzeit ward gehalten.

Am andern Morgen, als die beiden Maͤdchen sich aufmachten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken vor des

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[70/0134] Frau hatte auch eine Tochter. Die Maͤdchen waren mit einander bekannt und gingen zusammen spaziren und kamen hernach zu der Frau ins Haus. Da sprach sie zu des Mannes Tochter: „hoͤr, sag deinem Vater, ich wollt ihn heirathen, dann sollst du jeden Morgen dich in Milch waschen und Wein trinken, meine Tochter aber soll sich in Wasser waschen und Wasser trinken.“ Das Maͤdchen ging nach Haus und erzaͤhlte seinem Vater, was die Frau gesprochen hatte. Der Mann sprach: „was soll ich thun? das Heirathen ist eine Freude und ist auch eine Qual!“ Endlich zog er seinen Stiefel aus und sagte: „nimm diesen Stiefel, der hat in der Sohle ein Loch, geh damit auf den Boden, haͤng ihn an den großen Nagel und gieß dann Wasser hinein. Haͤlt er das Wasser so will ich wieder eine Frau nehmen, laͤufts aber durch, so will, ich nicht.“ Das Maͤdchen that wie ihm geheißen war; aber das Wasser zog das Loch zusammen und der Stiefel ward voll bis obenhin. Nun meldete es seinem Vater, wie’s ausgefallen war; er stieg selbst hinauf und als er sah, daß es seine Richtigkeit hatte, ging er zu der Wittwe und freite sie und die Hochzeit ward gehalten. Am andern Morgen, als die beiden Maͤdchen sich aufmachten, da stand vor des Mannes Tochter Milch zum Waschen und Wein zum Trinken, vor der Frau Tochter aber stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken. Am zweiten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken so gut vor des Mannes Tochter als vor der Frau Tochter. Und am dritten Morgen stand Wasser zum Waschen und Wasser zum Trinken vor des

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/134>, abgerufen am 03.05.2024.