der Kammer hinging: "wer wird es sehen, daß ich sie öffne, sagte sie zu sich selbst, ich will auch nur einen Blick hineinthun." Da schloß sie auf, und wie die Thüre aufging, schwomm ihr ein Strom Blut entgegen, und an den Wän- den herum sah sie todte Weiber hängen, und von einigen waren nur die Gerippe noch übrig. Sie erschrack so heftig, daß sie die Thüre gleich wie- der zuschlug, aber der Schlüssel sprang dabei heraus und fiel in das Blut. Geschwind hob sie ihn auf, und wollte das Blut abwischen, aber es war umsonst, wenn sie es auf der einen Seite abgewischt, kam es auf der andern wie- der zum Vorschein; sie setzte sich den ganzen Tag hin und rieb daran, und versuchte alles Mögliche, aber es half nichts, die Blutflecken waren nicht herabzubringen; endlich am Abend legte sie ihn ins Heu, das sollte in der Nacht das Blut ausziehen. Am andern Tag kam der Blaubart zurück, und das erste war, daß er die Schlüssel von ihr forderte; ihr Herz schlug, sie brachte die andern und hoffte, er werde es nicht bemerken, daß der goldene fehlte. Er aber zählte sie alle, und wie er fertig war, sagte er: "wo ist der zu der heimlichen Kammer?" da- bei sah er ihr in das Gesicht. Sie ward blut- roth und antwortete: "er liegt oben, ich habe ihn verlegt, morgen will ich ihn suchen." -- "Geh lieber gleich, liebe Frau, ich werde ihn
der Kammer hinging: „wer wird es ſehen, daß ich ſie oͤffne, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, ich will auch nur einen Blick hineinthun.“ Da ſchloß ſie auf, und wie die Thuͤre aufging, ſchwomm ihr ein Strom Blut entgegen, und an den Waͤn- den herum ſah ſie todte Weiber haͤngen, und von einigen waren nur die Gerippe noch uͤbrig. Sie erſchrack ſo heftig, daß ſie die Thuͤre gleich wie- der zuſchlug, aber der Schluͤſſel ſprang dabei heraus und fiel in das Blut. Geſchwind hob ſie ihn auf, und wollte das Blut abwiſchen, aber es war umſonſt, wenn ſie es auf der einen Seite abgewiſcht, kam es auf der andern wie- der zum Vorſchein; ſie ſetzte ſich den ganzen Tag hin und rieb daran, und verſuchte alles Moͤgliche, aber es half nichts, die Blutflecken waren nicht herabzubringen; endlich am Abend legte ſie ihn ins Heu, das ſollte in der Nacht das Blut ausziehen. Am andern Tag kam der Blaubart zuruͤck, und das erſte war, daß er die Schluͤſſel von ihr forderte; ihr Herz ſchlug, ſie brachte die andern und hoffte, er werde es nicht bemerken, daß der goldene fehlte. Er aber zaͤhlte ſie alle, und wie er fertig war, ſagte er: „wo iſt der zu der heimlichen Kammer?“ da- bei ſah er ihr in das Geſicht. Sie ward blut- roth und antwortete: „er liegt oben, ich habe ihn verlegt, morgen will ich ihn ſuchen.“ — „Geh lieber gleich, liebe Frau, ich werde ihn
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der Kammer hinging: „wer wird es ſehen, daß
ich ſie oͤffne, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, ich will
auch nur einen Blick hineinthun.“ Da ſchloß
ſie auf, und wie die Thuͤre aufging, ſchwomm
ihr ein Strom Blut entgegen, und an den Waͤn-
den herum ſah ſie todte Weiber haͤngen, und von
einigen waren nur die Gerippe noch uͤbrig. Sie
erſchrack ſo heftig, daß ſie die Thuͤre gleich wie-
der zuſchlug, aber der Schluͤſſel ſprang dabei
heraus und fiel in das Blut. Geſchwind hob
ſie ihn auf, und wollte das Blut abwiſchen,
aber es war umſonſt, wenn ſie es auf der einen
Seite abgewiſcht, kam es auf der andern wie-
der zum Vorſchein; ſie ſetzte ſich den ganzen
Tag hin und rieb daran, und verſuchte alles
Moͤgliche, aber es half nichts, die Blutflecken
waren nicht herabzubringen; endlich am Abend
legte ſie ihn ins Heu, das ſollte in der Nacht
das Blut ausziehen. Am andern Tag kam der
Blaubart zuruͤck, und das erſte war, daß er
die Schluͤſſel von ihr forderte; ihr Herz ſchlug,
ſie brachte die andern und hoffte, er werde es
nicht bemerken, daß der goldene fehlte. Er aber
zaͤhlte ſie alle, und wie er fertig war, ſagte er:
„wo iſt der zu der heimlichen Kammer?“ da-
bei ſah er ihr in das Geſicht. Sie ward blut-
roth und antwortete: „er liegt oben, ich habe
ihn verlegt, morgen will ich ihn ſuchen.“ —
„Geh lieber gleich, liebe Frau, ich werde ihn
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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