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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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noch heute brauchen." -- "Ach ich will dirs
nur sagen, ich habe ihn im Heu verloren, da
muß ich erst suchen." -- "Du hast ihn nicht
verloren, sagte der Blaubart zornig, du hast
ihn dahin gesteckt, damit die Blutflecken her-
ausziehen sollen, denn du hast mein Gebot
übertreten, und bist in der Kammer gewesen,
aber jetzt sollst du hinein, wenn du auch nicht
willst." Da mußte sie den Schlüssel holen,
der war noch voller Blutflecken: "Nun berei-
te dich zum Tode, du sollst noch heute sterben,"
sagte der Blaubart, holte sein großes Messer
und führte sie auf den Hausehrn. "Laß mich
nur noch vor meinem Tod mein Gebet thun,"
sagte sie; -- "So geh, aber eil dich, denn ich
habe keine Zeit lang zu warten." Da lief sie
die Treppe hinauf, und rief so laut sie konnte
zum Fenster hinaus: "Brüder, meine lieben
Brüder, kommt, helft mir!" Die Brüder sa-
ßen im Wald beim kühlen Wein, da sprach der
jüngste: "mir ist als hätt' ich unserer Schwe-
ster Stimme gehört; auf! wir müssen ihr zu
Hülfe eilen!" da sprangen sie auf ihre Pferde
und ritten, als wären sie der Sturmwind. Ih-
re Schwester aber lag in Angst auf den Knieen;
da rief der Blaubart unten: "nun, bist du
bald fertig?" dabei hörte sie, wie er auf der
untersten Stufe sein Messer wetzte; sie sah hin-
aus, aber sie sah nichts, als von Ferne einen

Staub,

noch heute brauchen.“ — „Ach ich will dirs
nur ſagen, ich habe ihn im Heu verloren, da
muß ich erſt ſuchen.“ — „Du haſt ihn nicht
verloren, ſagte der Blaubart zornig, du haſt
ihn dahin geſteckt, damit die Blutflecken her-
ausziehen ſollen, denn du haſt mein Gebot
uͤbertreten, und biſt in der Kammer geweſen,
aber jetzt ſollſt du hinein, wenn du auch nicht
willſt.“ Da mußte ſie den Schluͤſſel holen,
der war noch voller Blutflecken: „Nun berei-
te dich zum Tode, du ſollſt noch heute ſterben,“
ſagte der Blaubart, holte ſein großes Meſſer
und fuͤhrte ſie auf den Hausehrn. „Laß mich
nur noch vor meinem Tod mein Gebet thun,“
ſagte ſie; — „So geh, aber eil dich, denn ich
habe keine Zeit lang zu warten.“ Da lief ſie
die Treppe hinauf, und rief ſo laut ſie konnte
zum Fenſter hinaus: „Bruͤder, meine lieben
Bruͤder, kommt, helft mir!“ Die Bruͤder ſa-
ßen im Wald beim kuͤhlen Wein, da ſprach der
juͤngſte: „mir iſt als haͤtt' ich unſerer Schwe-
ſter Stimme gehoͤrt; auf! wir muͤſſen ihr zu
Huͤlfe eilen!“ da ſprangen ſie auf ihre Pferde
und ritten, als waͤren ſie der Sturmwind. Ih-
re Schweſter aber lag in Angſt auf den Knieen;
da rief der Blaubart unten: „nun, biſt du
bald fertig?“ dabei hoͤrte ſie, wie er auf der
unterſten Stufe ſein Meſſer wetzte; ſie ſah hin-
aus, aber ſie ſah nichts, als von Ferne einen

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[288/0322] noch heute brauchen.“ — „Ach ich will dirs nur ſagen, ich habe ihn im Heu verloren, da muß ich erſt ſuchen.“ — „Du haſt ihn nicht verloren, ſagte der Blaubart zornig, du haſt ihn dahin geſteckt, damit die Blutflecken her- ausziehen ſollen, denn du haſt mein Gebot uͤbertreten, und biſt in der Kammer geweſen, aber jetzt ſollſt du hinein, wenn du auch nicht willſt.“ Da mußte ſie den Schluͤſſel holen, der war noch voller Blutflecken: „Nun berei- te dich zum Tode, du ſollſt noch heute ſterben,“ ſagte der Blaubart, holte ſein großes Meſſer und fuͤhrte ſie auf den Hausehrn. „Laß mich nur noch vor meinem Tod mein Gebet thun,“ ſagte ſie; — „So geh, aber eil dich, denn ich habe keine Zeit lang zu warten.“ Da lief ſie die Treppe hinauf, und rief ſo laut ſie konnte zum Fenſter hinaus: „Bruͤder, meine lieben Bruͤder, kommt, helft mir!“ Die Bruͤder ſa- ßen im Wald beim kuͤhlen Wein, da ſprach der juͤngſte: „mir iſt als haͤtt' ich unſerer Schwe- ſter Stimme gehoͤrt; auf! wir muͤſſen ihr zu Huͤlfe eilen!“ da ſprangen ſie auf ihre Pferde und ritten, als waͤren ſie der Sturmwind. Ih- re Schweſter aber lag in Angſt auf den Knieen; da rief der Blaubart unten: „nun, biſt du bald fertig?“ dabei hoͤrte ſie, wie er auf der unterſten Stufe ſein Meſſer wetzte; ſie ſah hin- aus, aber ſie ſah nichts, als von Ferne einen Staub,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/322>, abgerufen am 24.11.2024.