Nacht neben dem Schlafzimmer des Königs zubrächte. Die Königin sagte es zu, und das Mädchen ward hinaufgeführt, was aber in der Stube gesprochen wurde, das konnte man alles in dem Schlafzimmer hören. Wie es nun Nacht ward, und der König im Bett lag, sang es:
"Denkt der König Schwan noch an seine versprochene Braut Julian'? die ist gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch Löwen und durch Drachen: will der König Schwan denn gar nicht erwa- chen?"
Aber der König hörte es nicht, denn die listige Königin hatte sich vor dem Mädchen gefürchtet, und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da schlief er so fest, und hätte das Mädchen nicht gehört, und wenn es vor ihm gestanden wäre. Am Morgen war alles verloren, und es mußte wie- der vor das Thor, da setzte es sich hin und spann mit seiner Spindel, die gefiel der Köni- gin auch, und es gab sie unter derselben Be- dingung weg, daß es eine Nacht neben des Königs Schlafzimmer zubringen dürfe. Da sang es wieder:
Denkt der König Schwan nicht an seine versprochene Braut Julian'? die ist gegangen durch Sonne, Mond und Stern,
Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der Stube geſprochen wurde, das konnte man alles in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es:
„Denkt der Koͤnig Schwan noch an ſeine verſprochene Braut Julian'? die iſt gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch Loͤwen und durch Drachen: will der Koͤnig Schwan denn gar nicht erwa- chen?“
Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet, und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt, und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am Morgen war alles verloren, und es mußte wie- der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni- gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be- dingung weg, daß es eine Nacht neben des Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da ſang es wieder:
Denkt der Koͤnig Schwan nicht an ſeine verſprochene Braut Julian'? die iſt gegangen durch Sonne, Mond und Stern,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0310"n="276"/>
Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs<lb/>
zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das<lb/>
Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der<lb/>
Stube geſprochen wurde, das konnte man alles<lb/>
in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht<lb/>
ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es:<lb/><lgtype="poem"><l>„Denkt der Koͤnig Schwan</l><lb/><l>noch an ſeine verſprochene Braut Julian'?</l><lb/><l>die iſt gegangen durch Sonne, Mond und</l><lb/><l>Stern,</l><lb/><l>durch Loͤwen und durch Drachen:</l><lb/><l>will der Koͤnig Schwan denn gar nicht erwa-</l><lb/><l>chen?“</l></lg><lb/>
Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige<lb/>
Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet,<lb/>
und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief<lb/>
er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt,<lb/>
und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am<lb/>
Morgen war alles verloren, und es mußte wie-<lb/>
der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und<lb/>ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni-<lb/>
gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be-<lb/>
dingung weg, daß es eine Nacht neben des<lb/>
Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da<lb/>ſang es wieder:<lb/><lgtype="poem"><l>Denkt der Koͤnig Schwan</l><lb/><l>nicht an ſeine verſprochene Braut Julian'?</l><lb/><l>die iſt gegangen durch Sonne, Mond und</l><lb/><l>Stern,</l><lb/><l></l></lg></p></div></body></text></TEI>
[276/0310]
Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs
zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das
Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der
Stube geſprochen wurde, das konnte man alles
in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht
ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es:
„Denkt der Koͤnig Schwan
noch an ſeine verſprochene Braut Julian'?
die iſt gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,
durch Loͤwen und durch Drachen:
will der Koͤnig Schwan denn gar nicht erwa-
chen?“
Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige
Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet,
und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief
er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt,
und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am
Morgen war alles verloren, und es mußte wie-
der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und
ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni-
gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be-
dingung weg, daß es eine Nacht neben des
Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da
ſang es wieder:
Denkt der Koͤnig Schwan
nicht an ſeine verſprochene Braut Julian'?
die iſt gegangen durch Sonne, Mond und
Stern,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/310>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.