Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Brunnenrand!" -- Nun wenns weiter nichts
ist, dachte jener, das ist nicht schwer.

Nun zog er weiter fort mit der Prinzessin,
bis er endlich in das Dorf kam, worin seine
Brüder geblieben waren. Da war gerade ein
großer Auflauf und Lärmen, und als er frag-
te: was da vorwäre? hieß es, es sollten zwei
Leute aufgehängt werden, und als er näher
hinzu kam, sah er, daß es seine zwei Brüder
waren, die allerhand schlimme Streiche verübt
und alles verthan hatten. "Können sie denn
gar nicht mehr vom Tode frei werden?" --
Nein, es sey denn, daß ihr euer Geld an die
Lumpenkerls hängen und sie loskaufen wolltet.
Da besann er sich nicht lange, und zahlte, was
man verlangte; seine Brüder wurden freigege-
ben und setzten mit ihm die Reise fort.

Und als sie in den Wald kamen, wo ihnen
der Fuchs zuerst begegnet war, da wars so lu-
stig und lieblich in dem Wald, da sprachen die
zwei Brüder: "laß uns hier bei diesem Brun-
nen ein wenig ausruhen, essen und trinken!"
und er sagte: ja. Unter dem Gespräch vergaß
er sich, und setzte sich an den Brunnenrand,
und während er sich nichts Arges versah, war-
fen sie ihn hinterrücks in den Brunnen, nah-
men die Prinzessin, das Pferd und den Vogel,
zogen heim zum König und sprachen: das ha-
ben wir alles erbeutet und bringen es dir."

Brunnenrand!“ — Nun wenns weiter nichts
iſt, dachte jener, das iſt nicht ſchwer.

Nun zog er weiter fort mit der Prinzeſſin,
bis er endlich in das Dorf kam, worin ſeine
Bruͤder geblieben waren. Da war gerade ein
großer Auflauf und Laͤrmen, und als er frag-
te: was da vorwaͤre? hieß es, es ſollten zwei
Leute aufgehaͤngt werden, und als er naͤher
hinzu kam, ſah er, daß es ſeine zwei Bruͤder
waren, die allerhand ſchlimme Streiche veruͤbt
und alles verthan hatten. „Koͤnnen ſie denn
gar nicht mehr vom Tode frei werden?“ —
Nein, es ſey denn, daß ihr euer Geld an die
Lumpenkerls haͤngen und ſie loskaufen wolltet.
Da beſann er ſich nicht lange, und zahlte, was
man verlangte; ſeine Bruͤder wurden freigege-
ben und ſetzten mit ihm die Reiſe fort.

Und als ſie in den Wald kamen, wo ihnen
der Fuchs zuerſt begegnet war, da wars ſo lu-
ſtig und lieblich in dem Wald, da ſprachen die
zwei Bruͤder: „laß uns hier bei dieſem Brun-
nen ein wenig ausruhen, eſſen und trinken!“
und er ſagte: ja. Unter dem Geſpraͤch vergaß
er ſich, und ſetzte ſich an den Brunnenrand,
und waͤhrend er ſich nichts Arges verſah, war-
fen ſie ihn hinterruͤcks in den Brunnen, nah-
men die Prinzeſſin, das Pferd und den Vogel,
zogen heim zum Koͤnig und ſprachen: das ha-
ben wir alles erbeutet und bringen es dir.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0302" n="268"/>
Brunnenrand!&#x201C; &#x2014; Nun wenns weiter nichts<lb/>
i&#x017F;t, dachte jener, das i&#x017F;t nicht &#x017F;chwer.</p><lb/>
        <p>Nun zog er weiter fort mit der Prinze&#x017F;&#x017F;in,<lb/>
bis er endlich in das Dorf kam, worin &#x017F;eine<lb/>
Bru&#x0364;der geblieben waren. Da war gerade ein<lb/>
großer Auflauf und La&#x0364;rmen, und als er frag-<lb/>
te: was da vorwa&#x0364;re? hieß es, es &#x017F;ollten zwei<lb/>
Leute aufgeha&#x0364;ngt werden, und als er na&#x0364;her<lb/>
hinzu kam, &#x017F;ah er, daß es &#x017F;eine zwei Bru&#x0364;der<lb/>
waren, die allerhand &#x017F;chlimme Streiche veru&#x0364;bt<lb/>
und alles verthan hatten. &#x201E;Ko&#x0364;nnen &#x017F;ie denn<lb/>
gar nicht mehr vom Tode frei werden?&#x201C; &#x2014;<lb/>
Nein, es &#x017F;ey denn, daß ihr euer Geld an die<lb/>
Lumpenkerls ha&#x0364;ngen und &#x017F;ie loskaufen wolltet.<lb/>
Da be&#x017F;ann er &#x017F;ich nicht lange, und zahlte, was<lb/>
man verlangte; &#x017F;eine Bru&#x0364;der wurden freigege-<lb/>
ben und &#x017F;etzten mit ihm die Rei&#x017F;e fort.</p><lb/>
        <p>Und als &#x017F;ie in den Wald kamen, wo ihnen<lb/>
der Fuchs zuer&#x017F;t begegnet war, da wars &#x017F;o lu-<lb/>
&#x017F;tig und lieblich in dem Wald, da &#x017F;prachen die<lb/>
zwei Bru&#x0364;der: &#x201E;laß uns hier bei die&#x017F;em Brun-<lb/>
nen ein wenig ausruhen, e&#x017F;&#x017F;en und trinken!&#x201C;<lb/>
und er &#x017F;agte: ja. Unter dem Ge&#x017F;pra&#x0364;ch vergaß<lb/>
er &#x017F;ich, und &#x017F;etzte &#x017F;ich an den Brunnenrand,<lb/>
und wa&#x0364;hrend er &#x017F;ich nichts Arges ver&#x017F;ah, war-<lb/>
fen &#x017F;ie ihn hinterru&#x0364;cks in den Brunnen, nah-<lb/>
men die Prinze&#x017F;&#x017F;in, das Pferd und den Vogel,<lb/>
zogen heim zum Ko&#x0364;nig und &#x017F;prachen: das ha-<lb/>
ben wir alles erbeutet und bringen es dir.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0302] Brunnenrand!“ — Nun wenns weiter nichts iſt, dachte jener, das iſt nicht ſchwer. Nun zog er weiter fort mit der Prinzeſſin, bis er endlich in das Dorf kam, worin ſeine Bruͤder geblieben waren. Da war gerade ein großer Auflauf und Laͤrmen, und als er frag- te: was da vorwaͤre? hieß es, es ſollten zwei Leute aufgehaͤngt werden, und als er naͤher hinzu kam, ſah er, daß es ſeine zwei Bruͤder waren, die allerhand ſchlimme Streiche veruͤbt und alles verthan hatten. „Koͤnnen ſie denn gar nicht mehr vom Tode frei werden?“ — Nein, es ſey denn, daß ihr euer Geld an die Lumpenkerls haͤngen und ſie loskaufen wolltet. Da beſann er ſich nicht lange, und zahlte, was man verlangte; ſeine Bruͤder wurden freigege- ben und ſetzten mit ihm die Reiſe fort. Und als ſie in den Wald kamen, wo ihnen der Fuchs zuerſt begegnet war, da wars ſo lu- ſtig und lieblich in dem Wald, da ſprachen die zwei Bruͤder: „laß uns hier bei dieſem Brun- nen ein wenig ausruhen, eſſen und trinken!“ und er ſagte: ja. Unter dem Geſpraͤch vergaß er ſich, und ſetzte ſich an den Brunnenrand, und waͤhrend er ſich nichts Arges verſah, war- fen ſie ihn hinterruͤcks in den Brunnen, nah- men die Prinzeſſin, das Pferd und den Vogel, zogen heim zum Koͤnig und ſprachen: das ha- ben wir alles erbeutet und bringen es dir.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/302
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/302>, abgerufen am 26.06.2024.