ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und gedacht: nun willst du zur Arbeit gehn. Wie sie aber hinauskommt und sieht, daß der Rock so kurz ist, erschrickt sie, wird irr, ob sie auch wirklich die Trine ist, und spricht zu sich sel- ber: "bin ichs oder bin ichs nicht?" Sie weiß aber nicht, was sie drauf antworten soll, steht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt sie: "du willst nach Haus gehen und fragen, ob dus bist, die werdens schon wissen." Also geht sie wieder zurück, klopft ans Fenster und ruft hinein: "ist Hansens Trine drinnen?"; die andern antworten, wie sie meinen: "ja, die liegt in der Kammer und schläft." -- "Nun dann bin ichs nicht," sagt die Trine vergnügt, geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wie- der, und Hans war die Trine los.
35. Der Sperling und seine vier Kinder.
Ein Sperling hatte vier Junge in einem Schwalbennest, wie sie nun flück waren, stoßen böse Buben das Nest ein; sie kommen aber alle in Windbraus davon. Nun ist dem Alten leide, weil seine Söhne in die Welt kommen, daß er sie nicht zuvor vor allerlei Gefahr ver- warnet und ihnen gute Lehren fürgesagt habe.
ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und gedacht: nun willſt du zur Arbeit gehn. Wie ſie aber hinauskommt und ſieht, daß der Rock ſo kurz iſt, erſchrickt ſie, wird irr, ob ſie auch wirklich die Trine iſt, und ſpricht zu ſich ſel- ber: „bin ichs oder bin ichs nicht?“ Sie weiß aber nicht, was ſie drauf antworten ſoll, ſteht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt ſie: „du willſt nach Haus gehen und fragen, ob dus biſt, die werdens ſchon wiſſen.“ Alſo geht ſie wieder zuruͤck, klopft ans Fenſter und ruft hinein: „iſt Hanſens Trine drinnen?“; die andern antworten, wie ſie meinen: „ja, die liegt in der Kammer und ſchlaͤft.“ — „Nun dann bin ichs nicht,“ ſagt die Trine vergnuͤgt, geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wie- der, und Hans war die Trine los.
35. Der Sperling und ſeine vier Kinder.
Ein Sperling hatte vier Junge in einem Schwalbenneſt, wie ſie nun fluͤck waren, ſtoßen boͤſe Buben das Neſt ein; ſie kommen aber alle in Windbraus davon. Nun iſt dem Alten leide, weil ſeine Soͤhne in die Welt kommen, daß er ſie nicht zuvor vor allerlei Gefahr ver- warnet und ihnen gute Lehren fuͤrgeſagt habe.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0190"n="156"/>
ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und<lb/>
gedacht: nun willſt du zur Arbeit gehn. Wie<lb/>ſie aber hinauskommt und ſieht, daß der Rock<lb/>ſo kurz iſt, erſchrickt ſie, wird irr, ob ſie auch<lb/>
wirklich die Trine iſt, und ſpricht zu ſich ſel-<lb/>
ber: „bin ichs oder bin ichs nicht?“ Sie<lb/>
weiß aber nicht, was ſie drauf antworten ſoll,<lb/>ſteht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt<lb/>ſie: „du willſt nach Haus gehen und fragen,<lb/>
ob dus biſt, die werdens ſchon wiſſen.“ Alſo<lb/>
geht ſie wieder zuruͤck, klopft ans Fenſter und<lb/>
ruft hinein: „iſt Hanſens Trine drinnen?“;<lb/>
die andern antworten, wie ſie meinen: „ja, die<lb/>
liegt in der Kammer und ſchlaͤft.“—„Nun<lb/>
dann bin ichs nicht,“ſagt die Trine vergnuͤgt,<lb/>
geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wie-<lb/>
der, und Hans war die Trine los.</p></div><lb/><divn="1"><head>35.<lb/><hirendition="#g">Der Sperling und ſeine vier<lb/>
Kinder</hi>.</head><lb/><p>Ein Sperling hatte vier Junge in einem<lb/>
Schwalbenneſt, wie ſie nun fluͤck waren, ſtoßen<lb/>
boͤſe Buben das Neſt ein; ſie kommen aber<lb/>
alle in Windbraus davon. Nun iſt dem Alten<lb/>
leide, weil ſeine Soͤhne in die Welt kommen,<lb/>
daß er ſie nicht zuvor vor allerlei Gefahr ver-<lb/>
warnet und ihnen gute Lehren fuͤrgeſagt habe.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[156/0190]
ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und
gedacht: nun willſt du zur Arbeit gehn. Wie
ſie aber hinauskommt und ſieht, daß der Rock
ſo kurz iſt, erſchrickt ſie, wird irr, ob ſie auch
wirklich die Trine iſt, und ſpricht zu ſich ſel-
ber: „bin ichs oder bin ichs nicht?“ Sie
weiß aber nicht, was ſie drauf antworten ſoll,
ſteht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt
ſie: „du willſt nach Haus gehen und fragen,
ob dus biſt, die werdens ſchon wiſſen.“ Alſo
geht ſie wieder zuruͤck, klopft ans Fenſter und
ruft hinein: „iſt Hanſens Trine drinnen?“;
die andern antworten, wie ſie meinen: „ja, die
liegt in der Kammer und ſchlaͤft.“ — „Nun
dann bin ichs nicht,“ ſagt die Trine vergnuͤgt,
geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wie-
der, und Hans war die Trine los.
35.
Der Sperling und ſeine vier
Kinder.
Ein Sperling hatte vier Junge in einem
Schwalbenneſt, wie ſie nun fluͤck waren, ſtoßen
boͤſe Buben das Neſt ein; ſie kommen aber
alle in Windbraus davon. Nun iſt dem Alten
leide, weil ſeine Soͤhne in die Welt kommen,
daß er ſie nicht zuvor vor allerlei Gefahr ver-
warnet und ihnen gute Lehren fuͤrgeſagt habe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/190>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.