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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie sich gesehen hätten. Er wußte, daß ihn Emma eben nicht belogen hatte. Sollte er darum den jungen Menschen fordern, erschießen, oder ihn nur aufsuchen, mit ihm reden? Was hatte dieser so Furchtbares verbrochen? Es konnte ja in dem Briefe möglicherweise nichts als die Erklärung enthalten sein, daß er sich zurückziehen werde. O, sich zurückziehen, wenn er sie jetzt hier gesehen und gehört hätte? Wenn er hier stände, und nun an ihm die Reihe gewesen wäre zu fragen: was würden Sie thun an meiner Stelle?

Da lag sie, das lieblichste Wild, das je gejagt wurde; eine Gazelle, die ermattet in der Wüste auf den heißen Sand sinkt; ein Schmetterling, dem die Regentropfen schwer auf die Flügel fallen, der taumelnd vergeblich ein Obdach sucht; ein armes Kind, das zum ersten Mal seines Herzens inne wird und so große Lasten darauf empfindet, als hätte es einen kostbaren Schatz entdeckt, aber ein Felsblock läge darauf, den es nicht bewegen könnte. Es setzt sich daneben hin und weint; da kommen im Märchen wohl mitleidige Geister aus den Felsspalten, stoßen und rollen die Last zur Seite, daß es mit vollen Händen zugreifen und in sein Schürzchen sammeln darf, was seine Augen begehren. Aber die Zeiten sind vorüber, wo Thränen Steine erweichten.

Wieder wollte er sie anreden; aber was sagen, was fragen, was verlangen? Und so ließ er sie allein, ging aus dem Hause, durchstreifte nachdenklich die

sie sich gesehen hätten. Er wußte, daß ihn Emma eben nicht belogen hatte. Sollte er darum den jungen Menschen fordern, erschießen, oder ihn nur aufsuchen, mit ihm reden? Was hatte dieser so Furchtbares verbrochen? Es konnte ja in dem Briefe möglicherweise nichts als die Erklärung enthalten sein, daß er sich zurückziehen werde. O, sich zurückziehen, wenn er sie jetzt hier gesehen und gehört hätte? Wenn er hier stände, und nun an ihm die Reihe gewesen wäre zu fragen: was würden Sie thun an meiner Stelle?

Da lag sie, das lieblichste Wild, das je gejagt wurde; eine Gazelle, die ermattet in der Wüste auf den heißen Sand sinkt; ein Schmetterling, dem die Regentropfen schwer auf die Flügel fallen, der taumelnd vergeblich ein Obdach sucht; ein armes Kind, das zum ersten Mal seines Herzens inne wird und so große Lasten darauf empfindet, als hätte es einen kostbaren Schatz entdeckt, aber ein Felsblock läge darauf, den es nicht bewegen könnte. Es setzt sich daneben hin und weint; da kommen im Märchen wohl mitleidige Geister aus den Felsspalten, stoßen und rollen die Last zur Seite, daß es mit vollen Händen zugreifen und in sein Schürzchen sammeln darf, was seine Augen begehren. Aber die Zeiten sind vorüber, wo Thränen Steine erweichten.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/60>, abgerufen am 27.11.2024.