Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stand. Ueber den Accent aber, mit dem er diesmal gesprochen hatte, triumphirte das kalte Blut des Mannes nicht. Es durchfuhr ihn etwas und klopfte ihm in den Schläfen. Was giebt Ihnen das Recht, fuhr er auf, mir hier über eine Dame Aufschlüsse zu geben, die Ihnen unbekannt ist, und von der Sie selbst annehmen, daß sie mir sehr nahe steht? Glauben Sie, ich wäre der Mann, um mich auf dergleichen Gespräche einzulassen? Gehen Sie. Werden Sie zehn Jahr älter als Sie sind und antworten Sie dann selbst in meinem Namen, was Sie als Erwiderung hier verdienten! Gute Nacht, Herr von M. Mit diesen Worten wollte er ihn stehen lassen, aber es huschte etwas Weißes heran; kein zahmes weißes Reh, das über den Weg sprang, nein, das hätte nicht so unschuldig ausgelassen aufgeathmet: das Kind war es, das sich an Albert's Arm hing und wie durch Zauberei plötzlich zwischen beiden Männern stand. Komm, liebste Emma, sagte ihr Verlobter und wollte kurz mit ihr umwenden. Aber das Mädchen ließ Albert's Arm los, unbewußt, als wollte sie ihn nicht zurückhalten, und sah den an, der ihr so nahe gegenüber stand. O, Sie sind es! rief Emil, und die Thränen stiegen ihm in die Augen. Dann kniete er vor ihr nieder, so leicht, so schlank, als wäre es zum ersten Mal, daß ein Mann vor einer Frau kniete, als hätte niemals auf dem Theater ein Held vor seiner Dame diese Stellung angenommen. stand. Ueber den Accent aber, mit dem er diesmal gesprochen hatte, triumphirte das kalte Blut des Mannes nicht. Es durchfuhr ihn etwas und klopfte ihm in den Schläfen. Was giebt Ihnen das Recht, fuhr er auf, mir hier über eine Dame Aufschlüsse zu geben, die Ihnen unbekannt ist, und von der Sie selbst annehmen, daß sie mir sehr nahe steht? Glauben Sie, ich wäre der Mann, um mich auf dergleichen Gespräche einzulassen? Gehen Sie. Werden Sie zehn Jahr älter als Sie sind und antworten Sie dann selbst in meinem Namen, was Sie als Erwiderung hier verdienten! Gute Nacht, Herr von M. Mit diesen Worten wollte er ihn stehen lassen, aber es huschte etwas Weißes heran; kein zahmes weißes Reh, das über den Weg sprang, nein, das hätte nicht so unschuldig ausgelassen aufgeathmet: das Kind war es, das sich an Albert's Arm hing und wie durch Zauberei plötzlich zwischen beiden Männern stand. Komm, liebste Emma, sagte ihr Verlobter und wollte kurz mit ihr umwenden. Aber das Mädchen ließ Albert's Arm los, unbewußt, als wollte sie ihn nicht zurückhalten, und sah den an, der ihr so nahe gegenüber stand. O, Sie sind es! rief Emil, und die Thränen stiegen ihm in die Augen. Dann kniete er vor ihr nieder, so leicht, so schlank, als wäre es zum ersten Mal, daß ein Mann vor einer Frau kniete, als hätte niemals auf dem Theater ein Held vor seiner Dame diese Stellung angenommen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0034"/> stand. Ueber den Accent aber, mit dem er diesmal gesprochen hatte, triumphirte das kalte Blut des Mannes nicht. Es durchfuhr ihn etwas und klopfte ihm in den Schläfen. Was giebt Ihnen das Recht, fuhr er auf, mir hier über eine Dame Aufschlüsse zu geben, die Ihnen unbekannt ist, und von der Sie selbst annehmen, daß sie mir sehr nahe steht? Glauben Sie, ich wäre der Mann, um mich auf dergleichen Gespräche einzulassen? Gehen Sie. Werden Sie zehn Jahr älter als Sie sind und antworten Sie dann selbst in meinem Namen, was Sie als Erwiderung hier verdienten! Gute Nacht, Herr von M.</p><lb/> <p>Mit diesen Worten wollte er ihn stehen lassen, aber es huschte etwas Weißes heran; kein zahmes weißes Reh, das über den Weg sprang, nein, das hätte nicht so unschuldig ausgelassen aufgeathmet: das Kind war es, das sich an Albert's Arm hing und wie durch Zauberei plötzlich zwischen beiden Männern stand.</p><lb/> <p>Komm, liebste Emma, sagte ihr Verlobter und wollte kurz mit ihr umwenden. Aber das Mädchen ließ Albert's Arm los, unbewußt, als wollte sie ihn nicht zurückhalten, und sah den an, der ihr so nahe gegenüber stand. O, Sie sind es! rief Emil, und die Thränen stiegen ihm in die Augen. Dann kniete er vor ihr nieder, so leicht, so schlank, als wäre es zum ersten Mal, daß ein Mann vor einer Frau kniete, als hätte niemals auf dem Theater ein Held vor seiner Dame diese Stellung angenommen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
stand. Ueber den Accent aber, mit dem er diesmal gesprochen hatte, triumphirte das kalte Blut des Mannes nicht. Es durchfuhr ihn etwas und klopfte ihm in den Schläfen. Was giebt Ihnen das Recht, fuhr er auf, mir hier über eine Dame Aufschlüsse zu geben, die Ihnen unbekannt ist, und von der Sie selbst annehmen, daß sie mir sehr nahe steht? Glauben Sie, ich wäre der Mann, um mich auf dergleichen Gespräche einzulassen? Gehen Sie. Werden Sie zehn Jahr älter als Sie sind und antworten Sie dann selbst in meinem Namen, was Sie als Erwiderung hier verdienten! Gute Nacht, Herr von M.
Mit diesen Worten wollte er ihn stehen lassen, aber es huschte etwas Weißes heran; kein zahmes weißes Reh, das über den Weg sprang, nein, das hätte nicht so unschuldig ausgelassen aufgeathmet: das Kind war es, das sich an Albert's Arm hing und wie durch Zauberei plötzlich zwischen beiden Männern stand.
Komm, liebste Emma, sagte ihr Verlobter und wollte kurz mit ihr umwenden. Aber das Mädchen ließ Albert's Arm los, unbewußt, als wollte sie ihn nicht zurückhalten, und sah den an, der ihr so nahe gegenüber stand. O, Sie sind es! rief Emil, und die Thränen stiegen ihm in die Augen. Dann kniete er vor ihr nieder, so leicht, so schlank, als wäre es zum ersten Mal, daß ein Mann vor einer Frau kniete, als hätte niemals auf dem Theater ein Held vor seiner Dame diese Stellung angenommen.
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/34>, abgerufen am 16.02.2025. |