der organische bindungsvocal erscheint, z. b. in leipo-gamos, leipo-thumos, philo-teknos, philo-strophos, miso-pais, miso-xenos, leipso-thrix, seiso-pugis, seiso-phullos und ähnlichen, statt leipe-gamos, leipsi-thrix. Allein diese fälle stellen sich doch im ganzen als ausnahme dar und stürzen die regel nicht über den haufen. Sie sind unbe- denklich aus einer späteren, nahe liegenden verwechse- lung zu erklären. Wie oresi-trophos und oro-trophos schwankten, bildete man neben seisi-phullos ein abnor- mes seiso-phullos, worin der compositionsvocal wider seine natur gebraucht wird. Denn er soll die abhängig- keit des ersten vom zweiten wort begründen und in seiso- ist, wie in allen hier verhandelten zus. setzungen, das zweite abhängig vom ersten. Aus diesem grund laßen sich auch die unorganischen seiso-, leipo-, miso-, philo- keineswegs mit unsern deutschen verbalcompositis s. 680-683. vergleichen, nämlich reib-eisen, brech-zange ist nicht soviel als reib-das-eisen, brech-die-zange, son- dern eisen zum reiben, zange zum brechen, der haupt- begriff in eisen, zange gelegen.
b) der zweite fall (a. s. 976.) tritt ein, wenn in sol- chen zusammensetzungen das erste wort kein verbum, vielmehr auch nomen ist. Die bindung geschieht freilich wieder durch den compositionsvocal. Es kommen aber nur sparsame beispiele vor: kluto-karpos (fruchtbe- rühmt) kluto-toxos (bogenberühmt) ippo-geranos (kra- nichpferd, kranichreiter) ippo-potamos (flußpferd) und dergleichen, deren sinn wirklich erst aus dem sprachge- brauch zu lernen ist. Dem gesetz aller eigentlichen com- position zufolge sollte ippo-potamos bedeuten pferde-fluß, ippo-geranos pferdkranich, kluto-karpos preiswürdige frucht, kluto-toxos berühmt-pfeilig, für jene begriffe wäre ein potamo-ippos, karpo-klutos, toxo-klutos (arci-potens) zu gewarten. Der sprachgeist spottet in diesen compositis aller gewöhnlichen verbindungsweise; ich halte sie für ausnahmen, wozu die häufigkeit der unter a. verhandelten zusammensetzungen verleitete, zu- mahl bei dem zuletzt erörterten misbrauch des composi- tionsvocals (leipo-thumos). Wäre sie etwas anders als unorganische ausnahme, so würde dadurch die bedeutung zahlloser eigentlicher zusammensetzungen untergraben werden.
8) nähere forschung läßt im latein einzelne zusam- mensetzungen wahrnehmen, die den griechischen (7, a.) gleichen. Varro 4, 11. Plinius 37, 10. gebrauchen mota-
III. compoſition. ſchlußbemerkungen.
der organiſche bindungsvocal erſcheint, z. b. in λειπό-γαμος, λειπό-θυμος, φιλό-τεκνος, φιλό-στροφος, μισό-παις, μισό-ξενος, λειψό-θριξ, σεισο-πυγίς, σεισό-φυλλος und ähnlichen, ſtatt λειπέ-γαμος, λειψί-θριξ. Allein dieſe fälle ſtellen ſich doch im ganzen als ausnahme dar und ſtürzen die regel nicht über den haufen. Sie ſind unbe- denklich aus einer ſpäteren, nahe liegenden verwechſe- lung zu erklären. Wie ὀρεσί-τροφος und ὀρό-τροφος ſchwankten, bildete man neben σεισί-φυλλος ein abnor- mes σεισό-φυλλος, worin der compoſitionsvocal wider ſeine natur gebraucht wird. Denn er ſoll die abhängig- keit des erſten vom zweiten wort begründen und in σείσο- iſt, wie in allen hier verhandelten zuſ. ſetzungen, das zweite abhängig vom erſten. Aus dieſem grund laßen ſich auch die unorganiſchen σείσο-, λείπο-, μίσο-, φίλο- keineswegs mit unſern deutſchen verbalcompoſitis ſ. 680-683. vergleichen, nämlich reib-eiſen, brech-zange iſt nicht ſoviel als reib-das-eiſen, brech-die-zange, ſon- dern eiſen zum reiben, zange zum brechen, der haupt- begriff in eiſen, zange gelegen.
b) der zweite fall (a. ſ. 976.) tritt ein, wenn in ſol- chen zuſammenſetzungen das erſte wort kein verbum, vielmehr auch nomen iſt. Die bindung geſchieht freilich wieder durch den compoſitionsvocal. Es kommen aber nur ſparſame beiſpiele vor: κλυτό-καρπος (fruchtbe- rühmt) κλυτό-τοξος (bogenberühmt) ἱππο-γέρανος (kra- nichpferd, kranichreiter) ἱππο-πόταμος (flußpferd) und dergleichen, deren ſinn wirklich erſt aus dem ſprachge- brauch zu lernen iſt. Dem geſetz aller eigentlichen com- poſition zufolge ſollte ἱππο-πόταμος bedeuten pferde-fluß, ἱππο-γέρανος pferdkranich, κλυτό-καρπος preiswürdige frucht, κλυτό-τοξος berühmt-pfeilig, für jene begriffe wäre ein ποταμό-ιππος, καρπό-κλυτος, τοξό-κλυτος (arci-potens) zu gewarten. Der ſprachgeiſt ſpottet in dieſen compoſitis aller gewöhnlichen verbindungsweiſe; ich halte ſie für ausnahmen, wozu die häufigkeit der unter a. verhandelten zuſammenſetzungen verleitete, zu- mahl bei dem zuletzt erörterten misbrauch des compoſi- tionsvocals (λειπό-θυμος). Wäre ſie etwas anders als unorganiſche ausnahme, ſo würde dadurch die bedeutung zahlloſer eigentlicher zuſammenſetzungen untergraben werden.
8) nähere forſchung läßt im latein einzelne zuſam- menſetzungen wahrnehmen, die den griechiſchen (7, a.) gleichen. Varro 4, 11. Plinius 37, 10. gebrauchen mota-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0998"n="980"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">III. <hirendition="#i">compoſition. ſchlußbemerkungen.</hi></hi></fw><lb/>
der organiſche bindungsvocal erſcheint, z. b. in <hirendition="#i">λειπό-γαμος,<lb/>λειπό-θυμος, φιλό-τεκνος, φιλό-στροφος, μισό-παις,<lb/>μισό-ξενος, λειψό-θριξ, σεισο-πυγίς, σεισό-φυλλος</hi> und<lb/>
ähnlichen, ſtatt <hirendition="#i">λειπέ-γαμος, λειψί-θριξ</hi>. Allein dieſe<lb/>
fälle ſtellen ſich doch im ganzen als ausnahme dar und<lb/>ſtürzen die regel nicht über den haufen. Sie ſind unbe-<lb/>
denklich aus einer ſpäteren, nahe liegenden verwechſe-<lb/>
lung zu erklären. Wie <hirendition="#i">ὀρεσί-τροφος</hi> und <hirendition="#i">ὀρό-τροφος</hi><lb/>ſchwankten, bildete man neben <hirendition="#i">σεισί-φυλλος</hi> ein abnor-<lb/>
mes <hirendition="#i">σεισό-φυλλος,</hi> worin der compoſitionsvocal wider<lb/>ſeine natur gebraucht wird. Denn er ſoll die abhängig-<lb/>
keit des erſten vom zweiten wort begründen und in<lb/><hirendition="#i">σείσο-</hi> iſt, wie in allen hier verhandelten zuſ. ſetzungen,<lb/>
das zweite abhängig vom erſten. Aus dieſem grund<lb/>
laßen ſich auch die unorganiſchen <hirendition="#i">σείσο-, λείπο-, μίσο-,<lb/>φίλο-</hi> keineswegs mit unſern deutſchen verbalcompoſitis<lb/>ſ. 680-683. vergleichen, nämlich reib-eiſen, brech-zange<lb/>
iſt nicht ſoviel als reib-das-eiſen, brech-die-zange, ſon-<lb/>
dern eiſen zum reiben, zange zum brechen, der haupt-<lb/>
begriff in eiſen, zange gelegen.</p><lb/><p>b) der zweite fall (a. ſ. 976.) tritt ein, wenn in ſol-<lb/>
chen zuſammenſetzungen das erſte wort kein verbum,<lb/>
vielmehr <hirendition="#i">auch nomen</hi> iſt. Die bindung geſchieht freilich<lb/>
wieder durch den compoſitionsvocal. Es kommen aber<lb/>
nur ſparſame beiſpiele vor: <hirendition="#i">κλυτό-καρπος</hi> (fruchtbe-<lb/>
rühmt) <hirendition="#i">κλυτό-τοξος</hi> (bogenberühmt) <hirendition="#i">ἱππο-γέρανος</hi> (kra-<lb/>
nichpferd, kranichreiter) <hirendition="#i">ἱππο-πόταμος</hi> (flußpferd) und<lb/>
dergleichen, deren ſinn wirklich erſt aus dem ſprachge-<lb/>
brauch zu lernen iſt. Dem geſetz aller eigentlichen com-<lb/>
poſition zufolge ſollte <hirendition="#i">ἱππο-πόταμος</hi> bedeuten pferde-fluß,<lb/><hirendition="#i">ἱππο-γέρανος</hi> pferdkranich, <hirendition="#i">κλυτό-καρπος</hi> preiswürdige<lb/>
frucht, <hirendition="#i">κλυτό-τοξος</hi> berühmt-pfeilig, für jene begriffe<lb/>
wäre ein <hirendition="#i">ποταμό-ιππος, καρπό-κλυτος, τοξό-κλυτος</hi><lb/>
(arci-potens) zu gewarten. Der ſprachgeiſt ſpottet in<lb/>
dieſen compoſitis aller gewöhnlichen verbindungsweiſe;<lb/>
ich halte ſie für ausnahmen, wozu die häufigkeit der<lb/>
unter a. verhandelten zuſammenſetzungen verleitete, zu-<lb/>
mahl bei dem zuletzt erörterten misbrauch des compoſi-<lb/>
tionsvocals (<hirendition="#i">λειπό-θυμος</hi>). Wäre ſie etwas anders als<lb/>
unorganiſche ausnahme, ſo würde dadurch die bedeutung<lb/>
zahlloſer eigentlicher zuſammenſetzungen untergraben<lb/>
werden.</p><lb/><p>8) nähere forſchung läßt im <hirendition="#i">latein</hi> einzelne zuſam-<lb/>
menſetzungen wahrnehmen, die den griechiſchen (7, a.)<lb/>
gleichen. Varro 4, 11. Plinius 37, 10. gebrauchen mota-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[980/0998]
III. compoſition. ſchlußbemerkungen.
der organiſche bindungsvocal erſcheint, z. b. in λειπό-γαμος,
λειπό-θυμος, φιλό-τεκνος, φιλό-στροφος, μισό-παις,
μισό-ξενος, λειψό-θριξ, σεισο-πυγίς, σεισό-φυλλος und
ähnlichen, ſtatt λειπέ-γαμος, λειψί-θριξ. Allein dieſe
fälle ſtellen ſich doch im ganzen als ausnahme dar und
ſtürzen die regel nicht über den haufen. Sie ſind unbe-
denklich aus einer ſpäteren, nahe liegenden verwechſe-
lung zu erklären. Wie ὀρεσί-τροφος und ὀρό-τροφος
ſchwankten, bildete man neben σεισί-φυλλος ein abnor-
mes σεισό-φυλλος, worin der compoſitionsvocal wider
ſeine natur gebraucht wird. Denn er ſoll die abhängig-
keit des erſten vom zweiten wort begründen und in
σείσο- iſt, wie in allen hier verhandelten zuſ. ſetzungen,
das zweite abhängig vom erſten. Aus dieſem grund
laßen ſich auch die unorganiſchen σείσο-, λείπο-, μίσο-,
φίλο- keineswegs mit unſern deutſchen verbalcompoſitis
ſ. 680-683. vergleichen, nämlich reib-eiſen, brech-zange
iſt nicht ſoviel als reib-das-eiſen, brech-die-zange, ſon-
dern eiſen zum reiben, zange zum brechen, der haupt-
begriff in eiſen, zange gelegen.
b) der zweite fall (a. ſ. 976.) tritt ein, wenn in ſol-
chen zuſammenſetzungen das erſte wort kein verbum,
vielmehr auch nomen iſt. Die bindung geſchieht freilich
wieder durch den compoſitionsvocal. Es kommen aber
nur ſparſame beiſpiele vor: κλυτό-καρπος (fruchtbe-
rühmt) κλυτό-τοξος (bogenberühmt) ἱππο-γέρανος (kra-
nichpferd, kranichreiter) ἱππο-πόταμος (flußpferd) und
dergleichen, deren ſinn wirklich erſt aus dem ſprachge-
brauch zu lernen iſt. Dem geſetz aller eigentlichen com-
poſition zufolge ſollte ἱππο-πόταμος bedeuten pferde-fluß,
ἱππο-γέρανος pferdkranich, κλυτό-καρπος preiswürdige
frucht, κλυτό-τοξος berühmt-pfeilig, für jene begriffe
wäre ein ποταμό-ιππος, καρπό-κλυτος, τοξό-κλυτος
(arci-potens) zu gewarten. Der ſprachgeiſt ſpottet in
dieſen compoſitis aller gewöhnlichen verbindungsweiſe;
ich halte ſie für ausnahmen, wozu die häufigkeit der
unter a. verhandelten zuſammenſetzungen verleitete, zu-
mahl bei dem zuletzt erörterten misbrauch des compoſi-
tionsvocals (λειπό-θυμος). Wäre ſie etwas anders als
unorganiſche ausnahme, ſo würde dadurch die bedeutung
zahlloſer eigentlicher zuſammenſetzungen untergraben
werden.
8) nähere forſchung läßt im latein einzelne zuſam-
menſetzungen wahrnehmen, die den griechiſchen (7, a.)
gleichen. Varro 4, 11. Plinius 37, 10. gebrauchen mota-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 980. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/998>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.