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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. unflexivisches compositions-S.
hochzeit-mahl, hochzeit-leute, aber ungebunden: kuß der
liebe 1. Petr. 5, 14. reizung der liebe Hebr. 10, 24. tag
der geburt Eccles. 7, 2. Sir. 23, 19. was sich 2. Maccab. 6,
7. findet: geburts-tag, Esr. 2, 62. und Neh. 7, 64. ge-
burt-register rührt kaum von ihm her. Neh. 7, 64. liest
ed. wittenb. 1535. irer geburt register, ungebunden, in
den beiden andern stellen aber wie die späteren ausg.

III) beurtheilung.

1) dieses spätere -s ist unflexivisch, denn kein ahd.
und mhd. femin. flectiert seinen gen. mehr auf -s.

a) im goth. hat zwar der gen. die endung -s; allein
damit kann das nhd. compositions-s durchaus nicht ver-
wandt sein, weil sich sonst im mhd. und ahd. gerade die-
selben composita zeigen müsten, welche die flexion erhal-
ten hätten. Solche composita wären aber nothwendig
uneigentliche (genitivische), die im ahd. und mhd. nur
ausnahmsweise vorkommen. Das wahre flexions-s gieng
vor der zeit unsrer ersten ahd. denkmähler in -r über
und erlitt apocope (1, 804. 808.).

b) das nhd. -s in weiblichen eigennamen, z. b. ma-
riens, luisens, elisabeths, berthas, (1, 773.) gleicht zwar
dem compositionellen in frauens-leute, witwens-andacht,
scheint aber selbst neuerung und ist in der älteren sprache
nicht nachzuweisen. Veranlaßt sein mag es durch die
menge von masc., welche den gen. sg. auf -ens, statt -en
flectieren (1, 703.). Und grade in der zusammensetzung
wird von jenen namen das -s wieder abgeworfen, z. b.
marien-kind, luisen-stift, nicht mariens-kind.

2) wenn also keine weibliche flexion, könnte es viel-
leicht mit der männlichen oder neutralen des gen. zusam-
menhängen?

a) einige feminina stehen adverbiell indem sie den
gen. auf -es nach der männl. oder neutr. form annehmen,
namentlich nachts (noctu) mhd. nahtes, ahd. nahtes; ein
nom. der nacht oder ein andrer casus mit mäunlichem
artikel ist unerhört. Daß aber in jenem adv. das subst.
die natur des fem. auszieht, folgt aus dem beigefügten
artikel: des nahtes: eines nahtes (nicht: der, einer). So
steht ahd. undurftes (gratis) N. 119, 7. von dem fem.
durft; ags. gevealdes (sponte) his gevealdes (sua sponte)
von dem sem. geveald (potestas) und wir sagen nhd.
mittwochs (vom fem. woche, freilich wird auch der nom.
mittwoch männlich gebraucht) und seits (ex parte.) vom
fem. seite, z. b. seits meiner, dies-seits, jen-seits, meiner-
seits (worin meiner der gen. des ungeschl. pron. ist, nicht

III. unflexiviſches compoſitions-S.
hochzeit-mahl, hochzeit-leute, aber ungebunden: kuß der
liebe 1. Petr. 5, 14. reizung der liebe Hebr. 10, 24. tag
der geburt Eccleſ. 7, 2. Sir. 23, 19. was ſich 2. Maccab. 6,
7. findet: geburts-tag, Eſr. 2, 62. und Neh. 7, 64. ge-
burt-regiſter rührt kaum von ihm her. Neh. 7, 64. lieſt
ed. wittenb. 1535. irer geburt regiſter, ungebunden, in
den beiden andern ſtellen aber wie die ſpäteren ausg.

III) beurtheilung.

1) dieſes ſpätere -s iſt unflexiviſch, denn kein ahd.
und mhd. femin. flectiert ſeinen gen. mehr auf -s.

α) im goth. hat zwar der gen. die endung -s; allein
damit kann das nhd. compoſitions-s durchaus nicht ver-
wandt ſein, weil ſich ſonſt im mhd. und ahd. gerade die-
ſelben compoſita zeigen müſten, welche die flexion erhal-
ten hätten. Solche compoſita wären aber nothwendig
uneigentliche (genitiviſche), die im ahd. und mhd. nur
ausnahmsweiſe vorkommen. Das wahre flexions-s gieng
vor der zeit unſrer erſten ahd. denkmähler in -r über
und erlitt apocope (1, 804. 808.).

β) das nhd. -s in weiblichen eigennamen, z. b. ma-
riens, luiſens, eliſabeths, berthas, (1, 773.) gleicht zwar
dem compoſitionellen in frauens-leute, witwens-andacht,
ſcheint aber ſelbſt neuerung und iſt in der älteren ſprache
nicht nachzuweiſen. Veranlaßt ſein mag es durch die
menge von maſc., welche den gen. ſg. auf -ens, ſtatt -en
flectieren (1, 703.). Und grade in der zuſammenſetzung
wird von jenen namen das -s wieder abgeworfen, z. b.
marien-kind, luiſen-ſtift, nicht mariens-kind.

2) wenn alſo keine weibliche flexion, könnte es viel-
leicht mit der männlichen oder neutralen des gen. zuſam-
menhängen?

α) einige feminina ſtehen adverbiell indem ſie den
gen. auf -es nach der männl. oder neutr. form annehmen,
namentlich nachts (noctu) mhd. nahtes, ahd. nahtes; ein
nom. der nacht oder ein andrer caſus mit mäunlichem
artikel iſt unerhört. Daß aber in jenem adv. das ſubſt.
die natur des fem. auszieht, folgt aus dem beigefügten
artikel: des nahtes: eines nahtes (nicht: der, einer). So
ſteht ahd. undurftes (gratis) N. 119, 7. von dem fem.
durft; agſ. gevëaldes (ſponte) his gevëaldes (ſua ſponte)
von dem ſem. gevëald (poteſtas) und wir ſagen nhd.
mittwochs (vom fem. woche, freilich wird auch der nom.
mittwoch männlich gebraucht) und ſeits (ex parte.) vom
fem. ſeite, z. b. ſeits meiner, dies-ſeits, jen-ſeits, meiner-
ſeits (worin meiner der gen. des ungeſchl. pron. iſt, nicht

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[938/0956] III. unflexiviſches compoſitions-S. hochzeit-mahl, hochzeit-leute, aber ungebunden: kuß der liebe 1. Petr. 5, 14. reizung der liebe Hebr. 10, 24. tag der geburt Eccleſ. 7, 2. Sir. 23, 19. was ſich 2. Maccab. 6, 7. findet: geburts-tag, Eſr. 2, 62. und Neh. 7, 64. ge- burt-regiſter rührt kaum von ihm her. Neh. 7, 64. lieſt ed. wittenb. 1535. irer geburt regiſter, ungebunden, in den beiden andern ſtellen aber wie die ſpäteren ausg. III) beurtheilung. 1) dieſes ſpätere -s iſt unflexiviſch, denn kein ahd. und mhd. femin. flectiert ſeinen gen. mehr auf -s. α) im goth. hat zwar der gen. die endung -s; allein damit kann das nhd. compoſitions-s durchaus nicht ver- wandt ſein, weil ſich ſonſt im mhd. und ahd. gerade die- ſelben compoſita zeigen müſten, welche die flexion erhal- ten hätten. Solche compoſita wären aber nothwendig uneigentliche (genitiviſche), die im ahd. und mhd. nur ausnahmsweiſe vorkommen. Das wahre flexions-s gieng vor der zeit unſrer erſten ahd. denkmähler in -r über und erlitt apocope (1, 804. 808.). β) das nhd. -s in weiblichen eigennamen, z. b. ma- riens, luiſens, eliſabeths, berthas, (1, 773.) gleicht zwar dem compoſitionellen in frauens-leute, witwens-andacht, ſcheint aber ſelbſt neuerung und iſt in der älteren ſprache nicht nachzuweiſen. Veranlaßt ſein mag es durch die menge von maſc., welche den gen. ſg. auf -ens, ſtatt -en flectieren (1, 703.). Und grade in der zuſammenſetzung wird von jenen namen das -s wieder abgeworfen, z. b. marien-kind, luiſen-ſtift, nicht mariens-kind. 2) wenn alſo keine weibliche flexion, könnte es viel- leicht mit der männlichen oder neutralen des gen. zuſam- menhängen? α) einige feminina ſtehen adverbiell indem ſie den gen. auf -es nach der männl. oder neutr. form annehmen, namentlich nachts (noctu) mhd. nahtes, ahd. nahtes; ein nom. der nacht oder ein andrer caſus mit mäunlichem artikel iſt unerhört. Daß aber in jenem adv. das ſubſt. die natur des fem. auszieht, folgt aus dem beigefügten artikel: des nahtes: eines nahtes (nicht: der, einer). So ſteht ahd. undurftes (gratis) N. 119, 7. von dem fem. durft; agſ. gevëaldes (ſponte) his gevëaldes (ſua ſponte) von dem ſem. gevëald (poteſtas) und wir ſagen nhd. mittwochs (vom fem. woche, freilich wird auch der nom. mittwoch männlich gebraucht) und ſeits (ex parte.) vom fem. ſeite, z. b. ſeits meiner, dies-ſeits, jen-ſeits, meiner- ſeits (worin meiner der gen. des ungeſchl. pron. iſt, nicht

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 938. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/956>, abgerufen am 22.11.2024.