ten. Es käme darauf an, überall die ältesten abdrücke zu rathe zu ziehen. Die ions- und ungs- scheinen also von den canzleien gegen die mitte des 16. jh. aufgebracht, im 15. waren sie gänzlich unbekannt Bei Luther und H. Sachs, seitdem ich darauf achte, habe ich noch kein beispiel entdeckt. In Luthers bibel steht sicher keins; von fremden wörtern auf -ion braucht er legion, nation (Esth. 6, 8.) denn religion (3. Maccab. 3, 6.) ist nicht von ihm, keins davon aber zu compositis, und die häufigen bildungen mit -ung setzt er, gleich der früheren sprache, (vgl. oben s. 540. 579.) nie zusammen. Er sagt weder nahrung-sorge, versönung-geld, noch nahrungs-sorge, versönungs-geld, sondern sorgen der nahrung Luc. 21, 34. geld der versönung Exod. 30, 16. vgl. tag der versö- nung Levit. 25, 9. tag der erlösung Ephes. 4, 30. oder wenn er componieren will, thut ers verbal, z. b. ver- sön-tag Levit. 23, 28. scheid-brief Deut. 24, 1. Matth. 5, 31. etc. Keine ausnahme macht theidings-leute Exod. 21, 22. da theiding neutrum ist (vgl. Hiob 35, 16. Jerem. 23. 32. Ezech. 22, 28.).
c) die unter 2 und 1. genannten einzelnen composita mit -s scheinen mir zwar sämtlich über das 18te jh. hinauszugehen und wenigstens ebenso weit zu reichen, als die auf ungs-, wo nicht zum theil höher hinauf. Ich führe inzwischen nur einige belege auf, und überlaße an- dern sorgfältigere erörterungen, denn manches schwankt auch hier: liebes-zeichen Philand. v. Sittew. liebes-werk Simplic. 1, 488. liebs-regungen ibid. 224. liebes-pfeil, Gry- phius; liebs-gram, -flam, -dank, -zank Fischart Garg. 70b auf derselben seite aber auch lieb-sigel und 63a lieb- tränk, so wie Agricola sprichw. 150. lieb-schleg und selbst Besold lieb-tränklein, auch in dem von Besold 1621. her- ausgegebnen Tauler beständig liebe-werk (nicht liebes- werk); geburts-nöthe Simplic. 1, 488. geburts-stund, ge- burtstag Pictorius h. v.; gewährs-mann Frisch 2, 419c; andachts-bossen Fischart bienenkorb 52b, aber geschicht- klitterung; sein witwens-andacht Garg. 73a gleicht dem nhd. frauens-leute, wofür Sastrow 2, 636. 639. frawes- personen, das mehr plattdeutsch scheint, in Agricolas sprichw. 159. gibt die plattd. ausg. frouwes-namen unde menne, wo die hochd. manns- und weibs-bilder; acht- erklärunge Sastr. 2, 419. 447. 549. achts-erkl. 2, 697; bundts- und hülff-genoßen ibid. 424; hochzeit-gedicht, hochzeit-wunsch, Fleming; faßnacht-spiel H. Sachs. Bei Luther keins von allen solchen compositis mit -s, er sagt
III. unflexiviſches compoſitions-S.
ten. Es käme darauf an, überall die älteſten abdrücke zu rathe zu ziehen. Die ions- und ungs- ſcheinen alſo von den canzleien gegen die mitte des 16. jh. aufgebracht, im 15. waren ſie gänzlich unbekannt Bei Luther und H. Sachs, ſeitdem ich darauf achte, habe ich noch kein beiſpiel entdeckt. In Luthers bibel ſteht ſicher keins; von fremden wörtern auf -ion braucht er legion, nation (Eſth. 6, 8.) denn religion (3. Maccab. 3, 6.) iſt nicht von ihm, keins davon aber zu compoſitis, und die häufigen bildungen mit -ung ſetzt er, gleich der früheren ſprache, (vgl. oben ſ. 540. 579.) nie zuſammen. Er ſagt weder nahrung-ſorge, verſönung-geld, noch nahrungs-ſorge, verſönungs-geld, ſondern ſorgen der nahrung Luc. 21, 34. geld der verſönung Exod. 30, 16. vgl. tag der verſö- nung Levit. 25, 9. tag der erlöſung Epheſ. 4, 30. oder wenn er componieren will, thut ers verbal, z. b. ver- ſön-tag Levit. 23, 28. ſcheid-brief Deut. 24, 1. Matth. 5, 31. etc. Keine ausnahme macht theidings-leute Exod. 21, 22. da theiding neutrum iſt (vgl. Hiob 35, 16. Jerem. 23. 32. Ezech. 22, 28.).
c) die unter 2 und 1. genannten einzelnen compoſita mit -s ſcheinen mir zwar ſämtlich über das 18te jh. hinauszugehen und wenigſtens ebenſo weit zu reichen, als die auf ungs-, wo nicht zum theil höher hinauf. Ich führe inzwiſchen nur einige belege auf, und überlaße an- dern ſorgfältigere erörterungen, denn manches ſchwankt auch hier: liebes-zeichen Philand. v. Sittew. liebes-werk Simplic. 1, 488. liebs-regungen ibid. 224. liebes-pfeil, Gry- phius; liebs-gram, -flam, -dank, -zank Fiſchart Garg. 70b auf derſelben ſeite aber auch lieb-ſigel und 63a lieb- tränk, ſo wie Agricola ſprichw. 150. lieb-ſchleg und ſelbſt Beſold lieb-tränklein, auch in dem von Beſold 1621. her- ausgegebnen Tauler beſtändig liebe-werk (nicht liebes- werk); geburts-nöthe Simplic. 1, 488. geburts-ſtund, ge- burtstag Pictorius h. v.; gewährs-mann Friſch 2, 419c; andachts-boſſen Fiſchart bienenkorb 52b, aber geſchicht- klitterung; ſein witwens-andacht Garg. 73a gleicht dem nhd. frauens-leute, wofür Saſtrow 2, 636. 639. frawes- perſonen, das mehr plattdeutſch ſcheint, in Agricolas ſprichw. 159. gibt die plattd. ausg. frouwes-namen unde menne, wo die hochd. manns- und weibs-bilder; acht- erklärunge Saſtr. 2, 419. 447. 549. achts-erkl. 2, 697; bundts- und hülff-genoßen ibid. 424; hochzeit-gedicht, hochzeit-wunſch, Fleming; faßnacht-ſpiel H. Sachs. Bei Luther keins von allen ſolchen compoſitis mit -s, er ſagt
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III. unflexiviſches compoſitions-S.
ten. Es käme darauf an, überall die älteſten abdrücke zu
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den canzleien gegen die mitte des 16. jh. aufgebracht,
im 15. waren ſie gänzlich unbekannt Bei Luther und
H. Sachs, ſeitdem ich darauf achte, habe ich noch kein
beiſpiel entdeckt. In Luthers bibel ſteht ſicher keins;
von fremden wörtern auf -ion braucht er legion, nation
(Eſth. 6, 8.) denn religion (3. Maccab. 3, 6.) iſt nicht von
ihm, keins davon aber zu compoſitis, und die häufigen
bildungen mit -ung ſetzt er, gleich der früheren ſprache,
(vgl. oben ſ. 540. 579.) nie zuſammen. Er ſagt weder
nahrung-ſorge, verſönung-geld, noch nahrungs-ſorge,
verſönungs-geld, ſondern ſorgen der nahrung Luc. 21,
34. geld der verſönung Exod. 30, 16. vgl. tag der verſö-
nung Levit. 25, 9. tag der erlöſung Epheſ. 4, 30. oder
wenn er componieren will, thut ers verbal, z. b. ver-
ſön-tag Levit. 23, 28. ſcheid-brief Deut. 24, 1. Matth. 5,
31. etc. Keine ausnahme macht theidings-leute Exod.
21, 22. da theiding neutrum iſt (vgl. Hiob 35, 16. Jerem.
23. 32. Ezech. 22, 28.).
c) die unter 2 und 1. genannten einzelnen compoſita
mit -s ſcheinen mir zwar ſämtlich über das 18te jh.
hinauszugehen und wenigſtens ebenſo weit zu reichen,
als die auf ungs-, wo nicht zum theil höher hinauf. Ich
führe inzwiſchen nur einige belege auf, und überlaße an-
dern ſorgfältigere erörterungen, denn manches ſchwankt
auch hier: liebes-zeichen Philand. v. Sittew. liebes-werk
Simplic. 1, 488. liebs-regungen ibid. 224. liebes-pfeil, Gry-
phius; liebs-gram, -flam, -dank, -zank Fiſchart Garg.
70b auf derſelben ſeite aber auch lieb-ſigel und 63a lieb-
tränk, ſo wie Agricola ſprichw. 150. lieb-ſchleg und ſelbſt
Beſold lieb-tränklein, auch in dem von Beſold 1621. her-
ausgegebnen Tauler beſtändig liebe-werk (nicht liebes-
werk); geburts-nöthe Simplic. 1, 488. geburts-ſtund, ge-
burtstag Pictorius h. v.; gewährs-mann Friſch 2, 419c;
andachts-boſſen Fiſchart bienenkorb 52b, aber geſchicht-
klitterung; ſein witwens-andacht Garg. 73a gleicht dem
nhd. frauens-leute, wofür Saſtrow 2, 636. 639. frawes-
perſonen, das mehr plattdeutſch ſcheint, in Agricolas
ſprichw. 159. gibt die plattd. ausg. frouwes-namen unde
menne, wo die hochd. manns- und weibs-bilder; acht-
erklärunge Saſtr. 2, 419. 447. 549. achts-erkl. 2, 697;
bundts- und hülff-genoßen ibid. 424; hochzeit-gedicht,
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Luther keins von allen ſolchen compoſitis mit -s, er ſagt
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 937. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/955>, abgerufen am 22.11.2024.
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