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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
len. -- haitan (vocare nr. 23.) aus heitan (calere nr. 499.)
zu leiten scheint gefährlich, anführen ließe sich dafür,
daß analoge wörter z. b. mhd. grueßen, ags. gretan
außer clamare, vocare den sinn von hortari, excitare,
compellere, also incendere haben (vgl. hitzig, hestig,
aufgeweckt) und das altlat. calare (kalein) nahe an calere
rührt; -- skaidan (nr. 25.) setzt ein skeidan, skaid, skidun
voraus und ein alth. sciton (nr. 163.) ist erweislich, sonst
aber unerklärbar; -- laikan (nr. 30.) beziehe ich auf
leikan (nr. 183.); -- letan (nr. 56.) laßen, gewähren laßen,
in friede laßen, fordert ein verlornes litan, lat, letun
(quiescere?) von welchem das goth. latjan (tardare) lats,
alth. laß (deses, piger) lezan (impedire, irretire) mhd.
letzen (impedire, gewöhnlich laedere) letze (finis, obsta-
culum) geblieben sind; wie neben leitils (s. 73.) ahd luzil etc.
statt findet, erklärte sich dann eher. -- verwaßan (nr. 59.)
findet sich genau in dem lat. abolere und stammt, wie dieses
von olere, von waße (odor) ab, gehört folglich zu wißan
(nr. 259.) verwaßan ist abolitus, exaleiphtheis, was den
geruch verliert, abstirbt, daher die bekannte fluchformel:
sei verwaßen, abolescat! -- ratan (nr. 59.) könnte nebst
rathjan (nr. 86.) von einem untergegangnen rithan, rath,
rethun herrühren, man erwäge die dunkeln wörter alth.
taka-ruod, mnl. daghe-raed, mnd. dage-rat (crepuscu-
lum, tageskunft) und geraten in der bedeutung von wer-
den, kommen. -- Einige laßen sich nicht geradezu, son-
dern nur unter voraussetzungen erklären. So scheint
mir wallan (nr. 2.) unabhängig von wellan (nr. 336.) zu
sein und auf ein verlornes welan, wal, walun (fervere)
zu führen, von dem noch das adj. wal (tepidus) vor-
handen ist. Diese vermuthung wird vielleicht selbst durch
das einfache l im reduplicierenden praet. wiel bestärkt?

Resultat der sechsten bemerkung ist also: für wort-
bildung bleibt das princip der reduplication gleichgültig,
[doch vgl. cap. IV. die interjectionen], die ihm unterwor-
fenen verba stammen selbst aus älteren ablautenden.

8) die ganze entwickelung, wenn sie beifall findet,
wird zugleich eine zweckmäßige ordnung der conjuga-
tionen bestimmen, welche ich im zweiten buche noch
nicht gehörig erkannt habe. So wie die schwache flexion
erst nach der starken abgehandelt wurde, muß die redu-
plicierende der ablautenden nachstehen. In der ablauten-
den gebührt der VII. und XII. die unterste stelle, obenan
gehört XI, dann X. und darauf folgen VIII. IX, welchen
beiden gleicher rang zukommt. XI. erscheint als die

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
len. — háitan (vocare nr. 23.) aus heitan (calere nr. 499.)
zu leiten ſcheint gefährlich, anführen ließe ſich dafür,
daß analoge wörter z. b. mhd. grueƷen, agſ. grêtan
außer clamare, vocare den ſinn von hortari, excitare,
compellere, alſo incendere haben (vgl. hitzig, heſtig,
aufgeweckt) und das altlat. calare (καλεῖν) nahe an calere
rührt; — ſkáidan (nr. 25.) ſetzt ein ſkeidan, ſkáid, ſkidun
voraus und ein alth. ſcitôn (nr. 163.) iſt erweiſlich, ſonſt
aber unerklärbar; — láikan (nr. 30.) beziehe ich auf
leikan (nr. 183.); — lêtan (nr. 56.) laßen, gewähren laßen,
in friede laßen, fordert ein verlornes litan, lat, lêtun
(quieſcere?) von welchem das goth. latjan (tardare) lats,
alth. laƷ (deſes, piger) lezan (impedire, irretire) mhd.
letzen (impedire, gewöhnlich laedere) letze (finis, obſta-
culum) geblieben ſind; wie neben leitils (ſ. 73.) ahd luzil etc.
ſtatt findet, erklärte ſich dann eher. — verwâƷan (nr. 59.)
findet ſich genau in dem lat. abolere und ſtammt, wie dieſes
von olere, von wâƷe (odor) ab, gehört folglich zu wiƷan
(nr. 259.) verwâƷan iſt abolitus, ἐξαλειφθείς, was den
geruch verliert, abſtirbt, daher die bekannte fluchformel:
ſî verwâƷen, aboleſcat! — râtan (nr. 59.) könnte nebſt
raþjan (nr. 86.) von einem untergegangnen riþan, raþ,
rêþun herrühren, man erwäge die dunkeln wörter alth.
taka-ruod, mnl. daghe-raed, mnd. dage-rât (crepuſcu-
lum, tageskunft) und gerâten in der bedeutung von wer-
den, kommen. — Einige laßen ſich nicht geradezu, ſon-
dern nur unter vorausſetzungen erklären. So ſcheint
mir wallan (nr. 2.) unabhängig von wëllan (nr. 336.) zu
ſein und auf ein verlornes wëlan, wal, wâlun (fervere)
zu führen, von dem noch das adj. wal (tepidus) vor-
handen iſt. Dieſe vermuthung wird vielleicht ſelbſt durch
das einfache l im reduplicierenden praet. wiel beſtärkt?

Reſultat der ſechſten bemerkung iſt alſo: für wort-
bildung bleibt das princip der reduplication gleichgültig,
[doch vgl. cap. IV. die interjectionen], die ihm unterwor-
fenen verba ſtammen ſelbſt aus älteren ablautenden.

8) die ganze entwickelung, wenn ſie beifall findet,
wird zugleich eine zweckmäßige ordnung der conjuga-
tionen beſtimmen, welche ich im zweiten buche noch
nicht gehörig erkannt habe. So wie die ſchwache flexion
erſt nach der ſtarken abgehandelt wurde, muß die redu-
plicierende der ablautenden nachſtehen. In der ablauten-
den gebührt der VII. und XII. die unterſte ſtelle, obenan
gehört XI, dann X. und darauf folgen VIII. IX, welchen
beiden gleicher rang zukommt. XI. erſcheint als die

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[75/0093] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. len. — háitan (vocare nr. 23.) aus heitan (calere nr. 499.) zu leiten ſcheint gefährlich, anführen ließe ſich dafür, daß analoge wörter z. b. mhd. grueƷen, agſ. grêtan außer clamare, vocare den ſinn von hortari, excitare, compellere, alſo incendere haben (vgl. hitzig, heſtig, aufgeweckt) und das altlat. calare (καλεῖν) nahe an calere rührt; — ſkáidan (nr. 25.) ſetzt ein ſkeidan, ſkáid, ſkidun voraus und ein alth. ſcitôn (nr. 163.) iſt erweiſlich, ſonſt aber unerklärbar; — láikan (nr. 30.) beziehe ich auf leikan (nr. 183.); — lêtan (nr. 56.) laßen, gewähren laßen, in friede laßen, fordert ein verlornes litan, lat, lêtun (quieſcere?) von welchem das goth. latjan (tardare) lats, alth. laƷ (deſes, piger) lezan (impedire, irretire) mhd. letzen (impedire, gewöhnlich laedere) letze (finis, obſta- culum) geblieben ſind; wie neben leitils (ſ. 73.) ahd luzil etc. ſtatt findet, erklärte ſich dann eher. — verwâƷan (nr. 59.) findet ſich genau in dem lat. abolere und ſtammt, wie dieſes von olere, von wâƷe (odor) ab, gehört folglich zu wiƷan (nr. 259.) verwâƷan iſt abolitus, ἐξαλειφθείς, was den geruch verliert, abſtirbt, daher die bekannte fluchformel: ſî verwâƷen, aboleſcat! — râtan (nr. 59.) könnte nebſt raþjan (nr. 86.) von einem untergegangnen riþan, raþ, rêþun herrühren, man erwäge die dunkeln wörter alth. taka-ruod, mnl. daghe-raed, mnd. dage-rât (crepuſcu- lum, tageskunft) und gerâten in der bedeutung von wer- den, kommen. — Einige laßen ſich nicht geradezu, ſon- dern nur unter vorausſetzungen erklären. So ſcheint mir wallan (nr. 2.) unabhängig von wëllan (nr. 336.) zu ſein und auf ein verlornes wëlan, wal, wâlun (fervere) zu führen, von dem noch das adj. wal (tepidus) vor- handen iſt. Dieſe vermuthung wird vielleicht ſelbſt durch das einfache l im reduplicierenden praet. wiel beſtärkt? Reſultat der ſechſten bemerkung iſt alſo: für wort- bildung bleibt das princip der reduplication gleichgültig, [doch vgl. cap. IV. die interjectionen], die ihm unterwor- fenen verba ſtammen ſelbſt aus älteren ablautenden. 8) die ganze entwickelung, wenn ſie beifall findet, wird zugleich eine zweckmäßige ordnung der conjuga- tionen beſtimmen, welche ich im zweiten buche noch nicht gehörig erkannt habe. So wie die ſchwache flexion erſt nach der ſtarken abgehandelt wurde, muß die redu- plicierende der ablautenden nachſtehen. In der ablauten- den gebührt der VII. und XII. die unterſte ſtelle, obenan gehört XI, dann X. und darauf folgen VIII. IX, welchen beiden gleicher rang zukommt. XI. erſcheint als die

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/93>, abgerufen am 02.05.2024.