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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
älteste, auch in der form vollkommenste, denn sie allein
verändert den laut dreimahl, X. VIII. IX. nur zwei-
mahl, VII. nur einmahl, XII. zwar zweimahl, doch ihr
weisen die gehäuften consonanten den letzten ort an.
Diese rangordnung gewinnt durch die vergleichung der
wortbildungen ein besonderes gewicht, es ist augenschein-
lich, daß die stämme der eilften conjugation die frucht-
barsten und tiefgreifendsten sind. Außer der fülle von
wörtern, mit ihren vier vocallauten erzeugt, können aus
ihnen neue stämme in VII. und XII. und in der redupl.
form erwachsen. In den andern sinkt der bildungstrieb,
am sichtlichsten in VII. und XII, die zwölfte ist die un-
behülflichste. Die edelste naturkraft kann sich nur eine
zeitlang durch sich selbst halten und ausbreiten, sie ver-
siegte, wo sie nicht durch äußere beimischungen neue be-
lebung empfienge. Ein einziger grundzug der sprache
zeigt uns diese richtung an, es ist aber ihr gang über-
haupt in allen zügen. --

9) eine frage, deren weitführende wichtigkeit und
schwierigkeit ich wohl begreife, ist: ob man den grund-
satz, daß zwei verschiedene wurzeln auch in dem buch-
staben nothwendig verschieden sein müßen, anerkennen
dürfe? Mit andern worten: ob zwei äußerlich zusam-
menfallende wurzeln innerlich einander ganz fremd sein
können? Gälte letzteres, so würde dadurch die wurzel-
forschung begrenzt und gehemmt, jeder ablenkenden be-
deutung zu gunsten ein gesonderter stamm aufgestellt
werden müßen und die menge der wurzeln unabsehlich
sein. Dagegen, wenn erstere annahme statt fände, haupt-
geschäst des etymologen bliebe, die individuelle form
jeder wurzel sicher zu stellen, dann aber alles, was sich
zu denselben buchstaben bekennt, schienen die bedeutun-
gen noch so abweichend, unter ihr zu vereinigen.

Ich halte dafür, daß das letztere verfahren der würde
deutscher sprache angemeßen und am ende allein frucht-
bar ist. Jene bloß analytische methode kann nur be-
schränkt wirken, sie wird trefflichen nutzen leisten, so
bald es sich um die genaue kenntnis eines abgesteckten
dialects handelt, dem weder alle formen noch alle bedeu-
tungen jeder wurzel zukommen können. Der vorliegende
practische sinn der wörter erregt dann meiste aufmerk-
samkeit, er braucht gleichsam nur an die form angelehnt
zu werden. Synthetische sprachforschung umgekehrt,
nachdem sie sich jene analyse einzelner dialecte zum

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
älteſte, auch in der form vollkommenſte, denn ſie allein
verändert den laut dreimahl, X. VIII. IX. nur zwei-
mahl, VII. nur einmahl, XII. zwar zweimahl, doch ihr
weiſen die gehäuften conſonanten den letzten ort an.
Dieſe rangordnung gewinnt durch die vergleichung der
wortbildungen ein beſonderes gewicht, es iſt augenſchein-
lich, daß die ſtämme der eilften conjugation die frucht-
barſten und tiefgreifendſten ſind. Außer der fülle von
wörtern, mit ihren vier vocallauten erzeugt, können aus
ihnen neue ſtämme in VII. und XII. und in der redupl.
form erwachſen. In den andern ſinkt der bildungstrieb,
am ſichtlichſten in VII. und XII, die zwölfte iſt die un-
behülflichſte. Die edelſte naturkraft kann ſich nur eine
zeitlang durch ſich ſelbſt halten und ausbreiten, ſie ver-
ſiegte, wo ſie nicht durch äußere beimiſchungen neue be-
lebung empfienge. Ein einziger grundzug der ſprache
zeigt uns dieſe richtung an, es iſt aber ihr gang über-
haupt in allen zügen. —

9) eine frage, deren weitführende wichtigkeit und
ſchwierigkeit ich wohl begreife, iſt: ob man den grund-
ſatz, daß zwei verſchiedene wurzeln auch in dem buch-
ſtaben nothwendig verſchieden ſein müßen, anerkennen
dürfe? Mit andern worten: ob zwei äußerlich zuſam-
menfallende wurzeln innerlich einander ganz fremd ſein
können? Gälte letzteres, ſo würde dadurch die wurzel-
forſchung begrenzt und gehemmt, jeder ablenkenden be-
deutung zu gunſten ein geſonderter ſtamm aufgeſtellt
werden müßen und die menge der wurzeln unabſehlich
ſein. Dagegen, wenn erſtere annahme ſtatt fände, haupt-
geſchäſt des etymologen bliebe, die individuelle form
jeder wurzel ſicher zu ſtellen, dann aber alles, was ſich
zu denſelben buchſtaben bekennt, ſchienen die bedeutun-
gen noch ſo abweichend, unter ihr zu vereinigen.

Ich halte dafür, daß das letztere verfahren der würde
deutſcher ſprache angemeßen und am ende allein frucht-
bar iſt. Jene bloß analytiſche methode kann nur be-
ſchränkt wirken, ſie wird trefflichen nutzen leiſten, ſo
bald es ſich um die genaue kenntnis eines abgeſteckten
dialects handelt, dem weder alle formen noch alle bedeu-
tungen jeder wurzel zukommen können. Der vorliegende
practiſche ſinn der wörter erregt dann meiſte aufmerk-
ſamkeit, er braucht gleichſam nur an die form angelehnt
zu werden. Synthetiſche ſprachforſchung umgekehrt,
nachdem ſie ſich jene analyſe einzelner dialecte zum

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[76/0094] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. älteſte, auch in der form vollkommenſte, denn ſie allein verändert den laut dreimahl, X. VIII. IX. nur zwei- mahl, VII. nur einmahl, XII. zwar zweimahl, doch ihr weiſen die gehäuften conſonanten den letzten ort an. Dieſe rangordnung gewinnt durch die vergleichung der wortbildungen ein beſonderes gewicht, es iſt augenſchein- lich, daß die ſtämme der eilften conjugation die frucht- barſten und tiefgreifendſten ſind. Außer der fülle von wörtern, mit ihren vier vocallauten erzeugt, können aus ihnen neue ſtämme in VII. und XII. und in der redupl. form erwachſen. In den andern ſinkt der bildungstrieb, am ſichtlichſten in VII. und XII, die zwölfte iſt die un- behülflichſte. Die edelſte naturkraft kann ſich nur eine zeitlang durch ſich ſelbſt halten und ausbreiten, ſie ver- ſiegte, wo ſie nicht durch äußere beimiſchungen neue be- lebung empfienge. Ein einziger grundzug der ſprache zeigt uns dieſe richtung an, es iſt aber ihr gang über- haupt in allen zügen. — 9) eine frage, deren weitführende wichtigkeit und ſchwierigkeit ich wohl begreife, iſt: ob man den grund- ſatz, daß zwei verſchiedene wurzeln auch in dem buch- ſtaben nothwendig verſchieden ſein müßen, anerkennen dürfe? Mit andern worten: ob zwei äußerlich zuſam- menfallende wurzeln innerlich einander ganz fremd ſein können? Gälte letzteres, ſo würde dadurch die wurzel- forſchung begrenzt und gehemmt, jeder ablenkenden be- deutung zu gunſten ein geſonderter ſtamm aufgeſtellt werden müßen und die menge der wurzeln unabſehlich ſein. Dagegen, wenn erſtere annahme ſtatt fände, haupt- geſchäſt des etymologen bliebe, die individuelle form jeder wurzel ſicher zu ſtellen, dann aber alles, was ſich zu denſelben buchſtaben bekennt, ſchienen die bedeutun- gen noch ſo abweichend, unter ihr zu vereinigen. Ich halte dafür, daß das letztere verfahren der würde deutſcher ſprache angemeßen und am ende allein frucht- bar iſt. Jene bloß analytiſche methode kann nur be- ſchränkt wirken, ſie wird trefflichen nutzen leiſten, ſo bald es ſich um die genaue kenntnis eines abgeſteckten dialects handelt, dem weder alle formen noch alle bedeu- tungen jeder wurzel zukommen können. Der vorliegende practiſche ſinn der wörter erregt dann meiſte aufmerk- ſamkeit, er braucht gleichſam nur an die form angelehnt zu werden. Synthetiſche ſprachforſchung umgekehrt, nachdem ſie ſich jene analyſe einzelner dialecte zum

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/94>, abgerufen am 22.11.2024.