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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
leip, ortleip, gotleip etc. lauten nhd. dietlieb, ortlieb,
gottlieb, man sprach so, weil und seit man blieb, trieb,
schrieb f. das mhd. bleip, treip, schreip sprach. Doch
gerade hier waltet offenbarer ablaut, -leip gehört zu
nr. 130. und bedeutete ursprünglich relictus, permanens *),
berührt sich also genau mit beleip, blieb (remansit), die
innere berührung war längst unverstanden, aber wie
durch geheimen instinct wandeln sich diese ablaute einer
reihe gleichmäßig nach jeder färbung der zeiten. Das
ist im nhd. nicht überall geschehen, z. b. heiß bleibt heiß
und wird kein hiß (wie reiß riß); durch ähnliche in-
consequenzen sind die nhd. lautverhältnisse oft aus der
fuge gerathen. --

5) gewisse erscheinungen des ablauts laßen sich aber
nicht anders beseitigen, als durch die annahme, daß der-
selbe wortstamm zuweilen zwei oder mehr starke verba
gezeugt hat, das zweite ist aus dem ersten erwachsen und
in so früher zeit, daß es selbst wieder des ablauts fähig
wurde. Nicht nothwendig begreift die starke conjugation
unabgeleitete wurzeln (1, 839.), aber nur selten haben
sich beide formeln nebeneinander erhalten, meistens ist
die ältere, zuweilen die jüngere verloren. Ich unter-
scheide drei arten **) der aus reinen wurzeln stammen-
den dennoch starken verba:

a) verba der siebenten entspringen aus dem praet.
sg. älterer der zehnten und eilften conjugation: ma-
lan, mol (nr. 69.) aus mal von milan (nr. 560.) ohne
letzteres ließen sich melo, mal etc. nicht erklären; --
galan, gol (nr. 67.) aus gal von gilan (nr. 564.), die
begriffe von farbe und ton einander berührend; --
vielleicht halan, hol (nr. 465.) aus hal von hilan
(nr. 314.)? hali (lubricus) bezeichnet den übergang in

*) augenscheinlich bedeutet-lieb hier nicht-carus, gottlieb
nicht Deo carus; die goth. oder ags. formen wären thiudlaibs,
guthlaibs, uzdlaibs; theodlaf, godlaf etc. die goth. urkunde von
Arezzo liefert dagegen ein wirkliches guthliubs, wenn richtig ge-
lesen wurde.
**) ob es nicht noch einige mehr gibt? nämlich berührungen
der VIII. und IX. mit der X. und XIten? Denkbar wäre, daß
das i des pl. VIII. und das u des pl. IX. ein praes. X. (vgl. tru-
dan nr. 283. f. tridan) zeugte. Ich wüste kein beispiel außer stri-
kan (nr. 553b) und streikan (nr. 184.) Einfluß der IX. auf die
XIIte geht aus der anmerkung s. 72. hervor.

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
leip, ortleip, gotleip etc. lauten nhd. dietlieb, ortlieb,
gottlieb, man ſprach ſo, weil und ſeit man blieb, trieb,
ſchrieb f. das mhd. bleip, treip, ſchreip ſprach. Doch
gerade hier waltet offenbarer ablaut, -leip gehört zu
nr. 130. und bedeutete urſprünglich relictus, permanens *),
berührt ſich alſo genau mit beleip, blieb (remanſit), die
innere berührung war längſt unverſtanden, aber wie
durch geheimen inſtinct wandeln ſich dieſe ablaute einer
reihe gleichmäßig nach jeder färbung der zeiten. Das
iſt im nhd. nicht überall geſchehen, z. b. heiƷ bleibt heiß
und wird kein hiß (wie reiƷ riß); durch ähnliche in-
conſequenzen ſind die nhd. lautverhältniſſe oft aus der
fuge gerathen. —

5) gewiſſe erſcheinungen des ablauts laßen ſich aber
nicht anders beſeitigen, als durch die annahme, daß der-
ſelbe wortſtamm zuweilen zwei oder mehr ſtarke verba
gezeugt hat, das zweite iſt aus dem erſten erwachſen und
in ſo früher zeit, daß es ſelbſt wieder des ablauts fähig
wurde. Nicht nothwendig begreift die ſtarke conjugation
unabgeleitete wurzeln (1, 839.), aber nur ſelten haben
ſich beide formeln nebeneinander erhalten, meiſtens iſt
die ältere, zuweilen die jüngere verloren. Ich unter-
ſcheide drei arten **) der aus reinen wurzeln ſtammen-
den dennoch ſtarken verba:

α) verba der ſiebenten entſpringen aus dem praet.
ſg. älterer der zehnten und eilften conjugation: ma-
lan, môl (nr. 69.) aus mal von milan (nr. 560.) ohne
letzteres ließen ſich mëlo, mâl etc. nicht erklären; —
galan, gôl (nr. 67.) aus gal von gilan (nr. 564.), die
begriffe von farbe und ton einander berührend; —
vielleicht halan, hôl (nr. 465.) aus hal von hilan
(nr. 314.)? hâli (lubricus) bezeichnet den übergang in

*) augenſcheinlich bedeutet-lieb hier nicht-carus, gottlieb
nicht Deo carus; die goth. oder agſ. formen wären þiudláibs,
guþláibs, uzdláibs; þëódlâf, godlâf etc. die goth. urkunde von
Arezzo liefert dagegen ein wirkliches guþliubs, wenn richtig ge-
leſen wurde.
**) ob es nicht noch einige mehr gibt? nämlich berührungen
der VIII. und IX. mit der X. und XIten? Denkbar wäre, daß
das i des pl. VIII. und das u des pl. IX. ein praeſ. X. (vgl. tru-
dan nr. 283. f. tridan) zeugte. Ich wüſte kein beiſpiel außer ſtri-
kan (nr. 553b) und ſtreikan (nr. 184.) Einfluß der IX. auf die
XIIte geht aus der anmerkung ſ. 72. hervor.
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[70/0088] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. leip, ortleip, gotleip etc. lauten nhd. dietlieb, ortlieb, gottlieb, man ſprach ſo, weil und ſeit man blieb, trieb, ſchrieb f. das mhd. bleip, treip, ſchreip ſprach. Doch gerade hier waltet offenbarer ablaut, -leip gehört zu nr. 130. und bedeutete urſprünglich relictus, permanens *), berührt ſich alſo genau mit beleip, blieb (remanſit), die innere berührung war längſt unverſtanden, aber wie durch geheimen inſtinct wandeln ſich dieſe ablaute einer reihe gleichmäßig nach jeder färbung der zeiten. Das iſt im nhd. nicht überall geſchehen, z. b. heiƷ bleibt heiß und wird kein hiß (wie reiƷ riß); durch ähnliche in- conſequenzen ſind die nhd. lautverhältniſſe oft aus der fuge gerathen. — 5) gewiſſe erſcheinungen des ablauts laßen ſich aber nicht anders beſeitigen, als durch die annahme, daß der- ſelbe wortſtamm zuweilen zwei oder mehr ſtarke verba gezeugt hat, das zweite iſt aus dem erſten erwachſen und in ſo früher zeit, daß es ſelbſt wieder des ablauts fähig wurde. Nicht nothwendig begreift die ſtarke conjugation unabgeleitete wurzeln (1, 839.), aber nur ſelten haben ſich beide formeln nebeneinander erhalten, meiſtens iſt die ältere, zuweilen die jüngere verloren. Ich unter- ſcheide drei arten **) der aus reinen wurzeln ſtammen- den dennoch ſtarken verba: α) verba der ſiebenten entſpringen aus dem praet. ſg. älterer der zehnten und eilften conjugation: ma- lan, môl (nr. 69.) aus mal von milan (nr. 560.) ohne letzteres ließen ſich mëlo, mâl etc. nicht erklären; — galan, gôl (nr. 67.) aus gal von gilan (nr. 564.), die begriffe von farbe und ton einander berührend; — vielleicht halan, hôl (nr. 465.) aus hal von hilan (nr. 314.)? hâli (lubricus) bezeichnet den übergang in *) augenſcheinlich bedeutet-lieb hier nicht-carus, gottlieb nicht Deo carus; die goth. oder agſ. formen wären þiudláibs, guþláibs, uzdláibs; þëódlâf, godlâf etc. die goth. urkunde von Arezzo liefert dagegen ein wirkliches guþliubs, wenn richtig ge- leſen wurde. **) ob es nicht noch einige mehr gibt? nämlich berührungen der VIII. und IX. mit der X. und XIten? Denkbar wäre, daß das i des pl. VIII. und das u des pl. IX. ein praeſ. X. (vgl. tru- dan nr. 283. f. tridan) zeugte. Ich wüſte kein beiſpiel außer ſtri- kan (nr. 553b) und ſtreikan (nr. 184.) Einfluß der IX. auf die XIIte geht aus der anmerkung ſ. 72. hervor.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/88>, abgerufen am 25.11.2024.