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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
greitan, haldan, hlahan, laikan, letan; die ahd. keltan,
kinnan, queman, vindan etc., doch kann, bei der quellen
unvollständigkeit darüber keine sicherheit gegeben werden
und die mundarten weichen ab, z. b. ahd. findet gi-laßan statt
T. 19, 6. mons. 381. vgl. oben s. 840. b) unentbehrlich ist es
dem goth. ga-laubjan (credere), ga-leithan, ga-nisan (während
nasjan vorkommt), ga-staldan, ga-skapan, ga-tairan, ga-teihan;
dem ahd. ka-loupan, ka-limfan, ka-nesan (neben nerjan), ka-
reiman, ka-vehan, ka-wahan, ka-winnan (vincere) u. a. m.;
nhd. fehlt es nie in g-lauben, ge-nesen (neben nähren), g-
önnen, ge-schehen, ge-winnen vgl. oben s. 835. 838. Ueber
beides müßen zukünftig vollständige verzeichnisse nach zeit
und mundart geführt werden. -- d) von besonderer erheb-
lichkeit und umständlicher zu erörtern ist der zus. hang
der partikel ge- mit dem begriffe dauer und vergangen-
heit
, und der einfluß, den sie nach und nach auf die
conjugation
erlangt hat. a) daß die idee des anhalten-
den
, ruhigen, behagenden mit dem ge- verknüpft sei, be-
weisen genug beispiele: goth, visan (esse) ga-visan (ma-
nere, habitare) Luc. 8, 27; und obgleich auch das ein-
fache visan bene esse ausdrückt (Luc. 15, 24.) hebt es
doch die part. mehr hervor, vgl. ge-raten (prospere ca-
dere) ge-vallen (placere). Ligen wird, genau betrachtet,
von einem gesagt, der jeden augenblick wieder aufstehen
kann; ge-ligen (niederliegen) wenn er sobald nicht, oder
gar nicht wieder aufkommt, daher: tot gelac Barl. 86,
oder kindes gelac Parc. 27a von einer wöchnerin, einfa-
ches lac wäre hier unbezeichnender, keineswegs unzu-
läßig (lac tot Parc. 115c). Dasselbe gilt von sitzen und
ge-sitzen, ge-saß heißt Parc. 79b offenbar: konnte sitzen
bleiben. b) diese idee der dauer gebührt nun allerdings
dem ganzen verbo für alle tempora und es darf nicht
bloß gelae, gesaß, sondern auch geliget, gesitzet in sol-
chem sinne gebraucht werden. Begreiflich aber bedient
sich das praeteritum der ge-form am liebsten und häufig-
sten, weil die vergangenheit eine vollbringung der hand-
lung in sich schließt. Die partikel kann also unserer
sprache die ihr abgehende manigfaltigkeit der flexionen
für das praet. einigermaßen vergüten helfen, lac und ge-
lac, saß und gesaß entsprechen ungefähr zwei verschied-
nen griech. temporibus. Ich will einige belege anfüh-
ren, daß die part. hauptsächlich gern im praet. zutritt.
Goth. dugann natjan (erxato brekhein) Luc. 7, 38. gana-
tida (ebrexe) Luc. 7, 44; taikneith (monstrat) Marc. 14, 15.
ga-taiknida (monstravit) Luc. 3, 7; vasjaith (vestiatis) Matth.

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
greitan, haldan, hlahan, láikan, lêtan; die ahd. këltan,
kinnan, quëman, vindan etc., doch kann, bei der quellen
unvollſtändigkeit darüber keine ſicherheit gegeben werden
und die mundarten weichen ab, z. b. ahd. findet gi-lâƷan ſtatt
T. 19, 6. monſ. 381. vgl. oben ſ. 840. β) unentbehrlich iſt es
dem goth. ga-láubjan (credere), ga-leiþan, ga-niſan (während
naſjan vorkommt), ga-ſtaldan, ga-ſkapan, ga-tairan, ga-teihan;
dem ahd. ka-loupan, ka-limfan, ka-nëſan (neben nerjan), ka-
rîman, ka-vëhan, ka-wahan, ka-winnan (vincere) u. a. m.;
nhd. fehlt es nie in g-lauben, ge-neſen (neben nähren), g-
önnen, ge-ſchehen, ge-winnen vgl. oben ſ. 835. 838. Ueber
beides müßen zukünftig vollſtändige verzeichniſſe nach zeit
und mundart geführt werden. — d) von beſonderer erheb-
lichkeit und umſtändlicher zu erörtern iſt der zuſ. hang
der partikel ge- mit dem begriffe dauer und vergangen-
heit
, und der einfluß, den ſie nach und nach auf die
conjugation
erlangt hat. α) daß die idee des anhalten-
den
, ruhigen, behagenden mit dem ge- verknüpft ſei, be-
weiſen genug beiſpiele: goth, viſan (eſſe) ga-viſan (ma-
nere, habitare) Luc. 8, 27; und obgleich auch das ein-
fache viſan bene eſſe ausdrückt (Luc. 15, 24.) hebt es
doch die part. mehr hervor, vgl. ge-râten (proſpere ca-
dere) ge-vallen (placere). Ligen wird, genau betrachtet,
von einem geſagt, der jeden augenblick wieder aufſtehen
kann; ge-ligen (niederliegen) wenn er ſobald nicht, oder
gar nicht wieder aufkommt, daher: tôt gelac Barl. 86,
oder kindes gelac Parc. 27a von einer wöchnerin, einfa-
ches lac wäre hier unbezeichnender, keineswegs unzu-
läßig (lac tôt Parc. 115c). Daſſelbe gilt von ſitzen und
ge-ſitzen, ge-ſaƷ heißt Parc. 79b offenbar: konnte ſitzen
bleiben. β) dieſe idee der dauer gebührt nun allerdings
dem ganzen verbo für alle tempora und es darf nicht
bloß gelae, geſaƷ, ſondern auch geliget, geſitzet in ſol-
chem ſinne gebraucht werden. Begreiflich aber bedient
ſich das praeteritum der ge-form am liebſten und häufig-
ſten, weil die vergangenheit eine vollbringung der hand-
lung in ſich ſchließt. Die partikel kann alſo unſerer
ſprache die ihr abgehende manigfaltigkeit der flexionen
für das praet. einigermaßen vergüten helfen, lac und ge-
lac, ſaƷ und geſaƷ entſprechen ungefähr zwei verſchied-
nen griech. temporibus. Ich will einige belege anfüh-
ren, daß die part. hauptſächlich gern im praet. zutritt.
Goth. dugann natjan (ἤρξατο βρέχειν) Luc. 7, 38. gana-
tida (ἔβρεξε) Luc. 7, 44; táikneiþ (monſtrat) Marc. 14, 15.
ga-táiknida (monſtravit) Luc. 3, 7; vaſjáiþ (veſtiatis) Matth.

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[843/0861] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. greitan, haldan, hlahan, láikan, lêtan; die ahd. këltan, kinnan, quëman, vindan etc., doch kann, bei der quellen unvollſtändigkeit darüber keine ſicherheit gegeben werden und die mundarten weichen ab, z. b. ahd. findet gi-lâƷan ſtatt T. 19, 6. monſ. 381. vgl. oben ſ. 840. β) unentbehrlich iſt es dem goth. ga-láubjan (credere), ga-leiþan, ga-niſan (während naſjan vorkommt), ga-ſtaldan, ga-ſkapan, ga-tairan, ga-teihan; dem ahd. ka-loupan, ka-limfan, ka-nëſan (neben nerjan), ka- rîman, ka-vëhan, ka-wahan, ka-winnan (vincere) u. a. m.; nhd. fehlt es nie in g-lauben, ge-neſen (neben nähren), g- önnen, ge-ſchehen, ge-winnen vgl. oben ſ. 835. 838. Ueber beides müßen zukünftig vollſtändige verzeichniſſe nach zeit und mundart geführt werden. — d) von beſonderer erheb- lichkeit und umſtändlicher zu erörtern iſt der zuſ. hang der partikel ge- mit dem begriffe dauer und vergangen- heit, und der einfluß, den ſie nach und nach auf die conjugation erlangt hat. α) daß die idee des anhalten- den, ruhigen, behagenden mit dem ge- verknüpft ſei, be- weiſen genug beiſpiele: goth, viſan (eſſe) ga-viſan (ma- nere, habitare) Luc. 8, 27; und obgleich auch das ein- fache viſan bene eſſe ausdrückt (Luc. 15, 24.) hebt es doch die part. mehr hervor, vgl. ge-râten (proſpere ca- dere) ge-vallen (placere). Ligen wird, genau betrachtet, von einem geſagt, der jeden augenblick wieder aufſtehen kann; ge-ligen (niederliegen) wenn er ſobald nicht, oder gar nicht wieder aufkommt, daher: tôt gelac Barl. 86, oder kindes gelac Parc. 27a von einer wöchnerin, einfa- ches lac wäre hier unbezeichnender, keineswegs unzu- läßig (lac tôt Parc. 115c). Daſſelbe gilt von ſitzen und ge-ſitzen, ge-ſaƷ heißt Parc. 79b offenbar: konnte ſitzen bleiben. β) dieſe idee der dauer gebührt nun allerdings dem ganzen verbo für alle tempora und es darf nicht bloß gelae, geſaƷ, ſondern auch geliget, geſitzet in ſol- chem ſinne gebraucht werden. Begreiflich aber bedient ſich das praeteritum der ge-form am liebſten und häufig- ſten, weil die vergangenheit eine vollbringung der hand- lung in ſich ſchließt. Die partikel kann alſo unſerer ſprache die ihr abgehende manigfaltigkeit der flexionen für das praet. einigermaßen vergüten helfen, lac und ge- lac, ſaƷ und geſaƷ entſprechen ungefähr zwei verſchied- nen griech. temporibus. Ich will einige belege anfüh- ren, daß die part. hauptſächlich gern im praet. zutritt. Goth. dugann natjan (ἤρξατο βρέχειν) Luc. 7, 38. gana- tida (ἔβρεξε) Luc. 7, 44; táikneiþ (monſtrat) Marc. 14, 15. ga-táiknida (monſtravit) Luc. 3, 7; vaſjáiþ (veſtiatis) Matth.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/861>, abgerufen am 19.05.2024.