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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
nuere) mons. 334. 345. 356. chi-minneron J. 398. ka-
minniron hrab. 960a; gi-wirsiron (depravare) mons. 333.
376; ge-argeron (scandalizare) N. 22, 4; ki-peßiron (di-
tare) ker. 83. gi-peßiron (lucrisicare) mons. 350. 368. 377.
gi-paßiron (justificare) mons. 344; ge-weiteron (amplificare)
N. Cap. 169; gi-fordoron O. III. 18, 82; ki-stillen
(quiescere) K. 47a; gi-pluotagen (sanguinare) mons. 357.
Allein auch zu allen diesen ahd. wortbildungen halte
ich die part. nicht für wesentlich, es darf ebenwohl aha-
ren -- pluotagen heißen. Mhd. find es der beispiele we-
niger: ge-anegengen MS. 2, 123b; ge-friden Nib. 8016;
ge-[sr]iunden MS. 1, 64b; ge-ebenmaßen Barl.; ge-herber-
gen Trist.; ge-wurzen Trist.; ge-uneren Trist.; ge-stillen
(sedare); ge-unsueßen Tit. 157; ge-linden (emollire) Wi-
gam. 61a; ge-meren; ge-minnern etc. welche sämtlich
das ge- entbehren dürfen. Nur bei intrans., die vor-
mahls der dritten conj. gehörten, scheint mir die part.
zur hervorhebung des inchoativen sinnes nothwendig,
z. b. ge-linden (mollescere) ge-stillen (quiescere), wenn
es solche mhd. wörter gibt, mir ist kein beleg zur hand
als ge-mannen (pubescere) Tit. 35, wofür schwerlich
mannen steht. Etwas anders sind die von den subst. ge-
noß, ge-selle, ge-sinde abgeleiteten verba ge-noßen Barl.
ge-sinden Trist. Barl. ge-sellen, denen das ge- freilich
wesentlich bleibt. Im nhd. gibt es bloß noch solche der
letztern art, d. h. deren ge- im nomen liegt: g-lücken,
ge-lüsten, ge-sellen. -- 6) privative bedeutung entwickelt
sich theils aus dem begriffe cum: ge-rinnen, d. i. zusam-
menfließen, folglich aufhören zu fließen, theils aus dem
begriff des verbi, den die partikel hervorhebt: ge-linnen
(cessare) MS. 2, 135b; ge-ligen (danieder liegen, ermatten,
stille sein, cessare) N. Boeth. 110; ge-brechen (deficere);
ahd. ki-leidan (abire, transire); wie ist das goth. ga-nanthjan
(pauein) zu nehmen? -- Anmerkungen: a) bei verglei-
chung der mit ge- componierten nomina findet sich häu-
figes einstimmen der gelinden bedeutung (ge-werban,
ge-werp; ge-rechen, ge-rich etc.), seltner der stärkeren
(gi-mah, gi-mahhidi, gi-mahhon). b) verwandt ist
die part. a) dem er-, vgl. gi-slahan mons. 323. mit ar-
slahan, gi-rehhan mit ar-rehhan, gi-streitan (obtinere)
mons. 373. 375. mit er-streiten etc. b) dem be-, vgl.
gi-hapen, pi-hapen; gi-chnupfan, pi-chnupfan etc. --
c) es gibt verba welche das ge- nie annehmen und an-
dere, die es nicht entbehren können: a) nie bekommen
es z. b. die goth. falthan, finthan, ginnan, graban, greipan,

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
nuere) monſ. 334. 345. 356. chi-minnerôn J. 398. ka-
minnirôn hrab. 960a; gi-wirſirôn (depravare) monſ. 333.
376; ge-argerôn (ſcandalizare) N. 22, 4; ki-peƷirôn (di-
tare) ker. 83. gi-peƷirôn (lucriſicare) monſ. 350. 368. 377.
gi-paƷirôn (juſtificare) monſ. 344; ge-wîterôn (amplificare)
N. Cap. 169; gi-fordorôn O. III. 18, 82; ki-ſtillên
(quieſcere) K. 47a; gi-pluotagên (ſanguinare) monſ. 357.
Allein auch zu allen dieſen ahd. wortbildungen halte
ich die part. nicht für weſentlich, es darf ebenwohl aha-
ren — pluotagên heißen. Mhd. find es der beiſpiele we-
niger: ge-anegengen MS. 2, 123b; ge-friden Nib. 8016;
ge-[ſr]iunden MS. 1, 64b; ge-ëbenmâƷen Barl.; ge-herber-
gen Triſt.; ge-wurzen Triſt.; ge-unêren Triſt.; ge-ſtillen
(ſedare); ge-unſueƷen Tit. 157; ge-linden (emollire) Wi-
gam. 61a; ge-mêren; ge-minnern etc. welche ſämtlich
das ge- entbehren dürfen. Nur bei intranſ., die vor-
mahls der dritten conj. gehörten, ſcheint mir die part.
zur hervorhebung des inchoativen ſinnes nothwendig,
z. b. ge-linden (molleſcere) ge-ſtillen (quieſcere), wenn
es ſolche mhd. wörter gibt, mir iſt kein beleg zur hand
als ge-mannen (pubeſcere) Tit. 35, wofür ſchwerlich
mannen ſteht. Etwas anders ſind die von den ſubſt. ge-
nôƷ, ge-ſelle, ge-ſinde abgeleiteten verba ge-nôƷen Barl.
ge-ſinden Triſt. Barl. ge-ſellen, denen das ge- freilich
weſentlich bleibt. Im nhd. gibt es bloß noch ſolche der
letztern art, d. h. deren ge- im nomen liegt: g-lücken,
ge-lüſten, ge-ſellen. — 6) privative bedeutung entwickelt
ſich theils aus dem begriffe cum: ge-rinnen, d. i. zuſam-
menfließen, folglich aufhören zu fließen, theils aus dem
begriff des verbi, den die partikel hervorhebt: ge-linnen
(ceſſare) MS. 2, 135b; ge-ligen (danieder liegen, ermatten,
ſtille ſein, ceſſare) N. Boeth. 110; ge-brëchen (deficere);
ahd. ki-lîdan (abire, tranſire); wie iſt das goth. ga-nanþjan
(παύειν) zu nehmen? — Anmerkungen: a) bei verglei-
chung der mit ge- componierten nomina findet ſich häu-
figes einſtimmen der gelinden bedeutung (ge-wërban,
ge-wërp; ge-rëchen, ge-rich etc.), ſeltner der ſtärkeren
(gi-mah, gi-mahhidi, gi-mahhôn). b) verwandt iſt
die part. α) dem er-, vgl. gi-ſlahan monſ. 323. mit ar-
ſlahan, gi-rëhhan mit ar-rëhhan, gi-ſtrîtan (obtinere)
monſ. 373. 375. mit er-ſtreiten etc. β) dem be-, vgl.
gi-hapên, pi-hapên; gi-chnupfan, pi-chnupfan etc. —
c) es gibt verba welche das ge- nie annehmen und an-
dere, die es nicht entbehren können: α) nie bekommen
es z. b. die goth. falþan, finþan, ginnan, graban, greipan,

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[842/0860] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. nuere) monſ. 334. 345. 356. chi-minnerôn J. 398. ka- minnirôn hrab. 960a; gi-wirſirôn (depravare) monſ. 333. 376; ge-argerôn (ſcandalizare) N. 22, 4; ki-peƷirôn (di- tare) ker. 83. gi-peƷirôn (lucriſicare) monſ. 350. 368. 377. gi-paƷirôn (juſtificare) monſ. 344; ge-wîterôn (amplificare) N. Cap. 169; gi-fordorôn O. III. 18, 82; ki-ſtillên (quieſcere) K. 47a; gi-pluotagên (ſanguinare) monſ. 357. Allein auch zu allen dieſen ahd. wortbildungen halte ich die part. nicht für weſentlich, es darf ebenwohl aha- ren — pluotagên heißen. Mhd. find es der beiſpiele we- niger: ge-anegengen MS. 2, 123b; ge-friden Nib. 8016; ge-ſriunden MS. 1, 64b; ge-ëbenmâƷen Barl.; ge-herber- gen Triſt.; ge-wurzen Triſt.; ge-unêren Triſt.; ge-ſtillen (ſedare); ge-unſueƷen Tit. 157; ge-linden (emollire) Wi- gam. 61a; ge-mêren; ge-minnern etc. welche ſämtlich das ge- entbehren dürfen. Nur bei intranſ., die vor- mahls der dritten conj. gehörten, ſcheint mir die part. zur hervorhebung des inchoativen ſinnes nothwendig, z. b. ge-linden (molleſcere) ge-ſtillen (quieſcere), wenn es ſolche mhd. wörter gibt, mir iſt kein beleg zur hand als ge-mannen (pubeſcere) Tit. 35, wofür ſchwerlich mannen ſteht. Etwas anders ſind die von den ſubſt. ge- nôƷ, ge-ſelle, ge-ſinde abgeleiteten verba ge-nôƷen Barl. ge-ſinden Triſt. Barl. ge-ſellen, denen das ge- freilich weſentlich bleibt. Im nhd. gibt es bloß noch ſolche der letztern art, d. h. deren ge- im nomen liegt: g-lücken, ge-lüſten, ge-ſellen. — 6) privative bedeutung entwickelt ſich theils aus dem begriffe cum: ge-rinnen, d. i. zuſam- menfließen, folglich aufhören zu fließen, theils aus dem begriff des verbi, den die partikel hervorhebt: ge-linnen (ceſſare) MS. 2, 135b; ge-ligen (danieder liegen, ermatten, ſtille ſein, ceſſare) N. Boeth. 110; ge-brëchen (deficere); ahd. ki-lîdan (abire, tranſire); wie iſt das goth. ga-nanþjan (παύειν) zu nehmen? — Anmerkungen: a) bei verglei- chung der mit ge- componierten nomina findet ſich häu- figes einſtimmen der gelinden bedeutung (ge-wërban, ge-wërp; ge-rëchen, ge-rich etc.), ſeltner der ſtärkeren (gi-mah, gi-mahhidi, gi-mahhôn). b) verwandt iſt die part. α) dem er-, vgl. gi-ſlahan monſ. 323. mit ar- ſlahan, gi-rëhhan mit ar-rëhhan, gi-ſtrîtan (obtinere) monſ. 373. 375. mit er-ſtreiten etc. β) dem be-, vgl. gi-hapên, pi-hapên; gi-chnupfan, pi-chnupfan etc. — c) es gibt verba welche das ge- nie annehmen und an- dere, die es nicht entbehren können: α) nie bekommen es z. b. die goth. falþan, finþan, ginnan, graban, greipan,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 842. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/860>, abgerufen am 28.05.2024.