Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.III. partikelcomposition. -- part. mit nom. eren Jw. Barl.; un-maeren (odiosum reddere) Parc. 166b Trist.;un-minnen MS. 2, 210b a. Heinr. 203a; un-preisen Nib. 8227; un-rähten Trist.; un-schuldigen Nib. 4186; un-siten (male se habere, surere) Maria 133. fr. bell. 40a von un-site (malus habitus, mos turpis, insanus); un-sinnen (insanire) Trist.; ge-un-sueßen (acescere) a. Tit. 157; un-troesten Nib. Barl. a. Heinr. 198b. Nhd. sind solche wörter ohne vorsetzung einer weitern partikel ungebräuchlich, man sagt: ver-un-ehren; ver-un-glimpfen; be-un-ruhigen; ver- un-treuen; ver-un-zieren. -- Anmerkungen: a) die par- tikel ist zumeist gerecht für adj. (und participia), minder für subst.; man kann sie sich zu allen adj. hinzudenken, nicht zu allen oder nur vielen subst. Sie hat vor diesen leicht einen stärkeren, vor jenen einen gelinderen, mehr abstracten sinn. Vorzüglich gern nehmen sie vielsilbige, selbst schon zus. gesetzte adj. an, vgl. nhd. unwiederbring- lich, unwiederherstellbar, ahd. unmiotegern N. Cap. 120. unbauhaft ibid. 143. etc. b) sie läßt sich auch vor adj. nicht immer durch die gerade negation übertragen und enthält wohl oft einen euphemismus. Unschön, unlieb, unklug etc. umgehen die härte des ausdrucks von häß- lich, verhaßt, thöricht; das altn. oklar (unklar) bedentet subobscurus und, merkwürdig das altn. ei- (sub-) berüh- rend, dient die gemuthmaßte verwandtschaft zwischen o- und ei-, un- und in- zu bestätigen. g) die schwankende, stärkere bedeutung vor subst. kann sich eben auf eine ur- sprüngliche, gelindere gründen. Statt gewisse laster baar zu nennen, wurden die verhüllenden ausdrücke ungesell, unminne, unthat, unsitte, unzucht u. dgl. angewandt, bis nach und nach selbst diese eine schärfe annahmen, die nicht in der eigentlichen wortbedeutung liegt. Jedes solche wort ist aus seiner zeit und aus seinem ort zu beurtheilen, daher die große verschiedenheit, z. b. zwischen dem nhd. und ahd. ausdruck un-zucht, un-zuht, oder dem ahd. un-tat (macula) und altn. o-dad (nefas). d) die dem un- verwandten partikeln a-, ab-, bi-, zur-, oder auch die ei- gentlichen compositionen missa-, wana- sind bisweilen eben so gebraucht worden. Ihre verwandtschaft unter- einander erhellt aus der vergleichung von un-chust, a- chust; o-vegr, a-wicki; un-unst, ap-unst; un-weip, bei-weip; un-lust, zur-lust; un-wan, zur-wan; un-unst, mis-gunst; un-glück, mis-glück etc. e) manche wörter kommen ohne die partikel gar nicht mehr vor, z. b. das nhd. un- flat, un-gestüm, un-geziefer; das mhd. un-daere, ahd. un- daraleih, das goth. un-barnahs etc. Dahin können na- III. partikelcompoſition. — part. mit nom. êren Jw. Barl.; un-mæren (odioſum reddere) Parc. 166b Triſt.;un-minnen MS. 2, 210b a. Heinr. 203a; un-prîſen Nib. 8227; un-rähten Triſt.; un-ſchuldigen Nib. 4186; un-ſiten (male ſe habere, ſurere) Maria 133. fr. bell. 40a von un-ſite (malus habitus, mos turpis, inſanus); un-ſinnen (inſanire) Triſt.; ge-un-ſueƷen (aceſcere) a. Tit. 157; un-trœſten Nib. Barl. a. Heinr. 198b. Nhd. ſind ſolche wörter ohne vorſetzung einer weitern partikel ungebräuchlich, man ſagt: ver-un-ehren; ver-un-glimpfen; be-un-ruhigen; ver- un-treuen; ver-un-zieren. — Anmerkungen: α) die par- tikel iſt zumeiſt gerecht für adj. (und participia), minder für ſubſt.; man kann ſie ſich zu allen adj. hinzudenken, nicht zu allen oder nur vielen ſubſt. Sie hat vor dieſen leicht einen ſtärkeren, vor jenen einen gelinderen, mehr abſtracten ſinn. Vorzüglich gern nehmen ſie vielſilbige, ſelbſt ſchon zuſ. geſetzte adj. an, vgl. nhd. unwiederbring- lich, unwiederherſtellbar, ahd. unmiotegërn N. Cap. 120. unbûhaft ibid. 143. etc. β) ſie läßt ſich auch vor adj. nicht immer durch die gerade negation übertragen und enthält wohl oft einen euphemiſmus. Unſchön, unlieb, unklug etc. umgehen die härte des ausdrucks von häß- lich, verhaßt, thöricht; das altn. ôklâr (unklar) bedentet ſubobſcurus und, merkwürdig das altn. î- (ſub-) berüh- rend, dient die gemuthmaßte verwandtſchaft zwiſchen ô- und î-, un- und in- zu beſtätigen. γ) die ſchwankende, ſtärkere bedeutung vor ſubſt. kann ſich eben auf eine ur- ſprüngliche, gelindere gründen. Statt gewiſſe laſter baar zu nennen, wurden die verhüllenden ausdrücke ungeſell, unminne, unthat, unſitte, unzucht u. dgl. angewandt, bis nach und nach ſelbſt dieſe eine ſchärfe annahmen, die nicht in der eigentlichen wortbedeutung liegt. Jedes ſolche wort iſt aus ſeiner zeit und aus ſeinem ort zu beurtheilen, daher die große verſchiedenheit, z. b. zwiſchen dem nhd. und ahd. ausdruck un-zucht, un-zuht, oder dem ahd. un-tât (macula) und altn. ô-dâd (nefas). δ) die dem un- verwandten partikeln â-, ab-, bi-, zur-, oder auch die ei- gentlichen compoſitionen miſſa-, wana- ſind bisweilen eben ſo gebraucht worden. Ihre verwandtſchaft unter- einander erhellt aus der vergleichung von un-chuſt, â- chuſt; ô-vëgr, â-wicki; un-unſt, ap-unſt; un-wîp, bî-wîp; un-luſt, zur-luſt; un-wân, zur-wân; un-unſt, mis-gunſt; un-glück, mis-glück etc. ε) manche wörter kommen ohne die partikel gar nicht mehr vor, z. b. das nhd. un- flat, un-geſtüm, un-geziefer; das mhd. un-dære, ahd. un- daralîh, das goth. un-barnahs etc. Dahin können na- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0800" n="782"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">partikelcompoſition. — part. mit nom.</hi></hi></fw><lb/> êren Jw. Barl.; un-mæren (odioſum reddere) Parc. 166<hi rendition="#sup">b</hi> Triſt.;<lb/> un-minnen MS. 2, 210<hi rendition="#sup">b</hi> a. Heinr. 203<hi rendition="#sup">a</hi>; un-prîſen Nib. 8227;<lb/> un-rähten Triſt.; un-ſchuldigen Nib. 4186; un-ſiten (male<lb/> ſe habere, ſurere) Maria 133. fr. bell. 40<hi rendition="#sup">a</hi> von un-ſite<lb/> (malus habitus, mos turpis, inſanus); un-ſinnen (inſanire)<lb/> Triſt.; ge-un-ſueƷen (aceſcere) a. Tit. 157; un-trœſten<lb/> Nib. Barl. a. Heinr. 198<hi rendition="#sup">b</hi>. Nhd. ſind ſolche wörter ohne<lb/> vorſetzung einer weitern partikel ungebräuchlich, man<lb/> ſagt: ver-un-ehren; ver-un-glimpfen; be-un-ruhigen; ver-<lb/> un-treuen; ver-un-zieren. — Anmerkungen: <hi rendition="#i">α</hi>) die par-<lb/> tikel iſt zumeiſt gerecht für adj. (und participia), minder<lb/> für ſubſt.; man kann ſie ſich zu allen adj. hinzudenken,<lb/> nicht zu allen oder nur vielen ſubſt. Sie hat vor dieſen<lb/> leicht einen ſtärkeren, vor jenen einen gelinderen, mehr<lb/> abſtracten ſinn. Vorzüglich gern nehmen ſie vielſilbige,<lb/> ſelbſt ſchon zuſ. geſetzte adj. an, vgl. nhd. unwiederbring-<lb/> lich, unwiederherſtellbar, ahd. unmiotegërn N. Cap. 120.<lb/> unbûhaft ibid. 143. etc. <hi rendition="#i">β</hi>) ſie läßt ſich auch vor adj.<lb/> nicht immer durch die gerade negation übertragen und<lb/> enthält wohl oft einen euphemiſmus. Unſchön, unlieb,<lb/> unklug etc. umgehen die härte des ausdrucks von häß-<lb/> lich, verhaßt, thöricht; das altn. ôklâr (unklar) bedentet<lb/> ſubobſcurus und, merkwürdig das altn. î- (ſub-) berüh-<lb/> rend, dient die gemuthmaßte verwandtſchaft zwiſchen ô-<lb/> und î-, un- und in- zu beſtätigen. <hi rendition="#i">γ</hi>) die ſchwankende,<lb/> ſtärkere bedeutung vor ſubſt. kann ſich eben auf eine ur-<lb/> ſprüngliche, gelindere gründen. Statt gewiſſe laſter baar<lb/> zu nennen, wurden die verhüllenden ausdrücke ungeſell,<lb/> unminne, unthat, unſitte, unzucht u. dgl. angewandt, bis<lb/> nach und nach ſelbſt dieſe eine ſchärfe annahmen, die nicht<lb/> in der eigentlichen wortbedeutung liegt. Jedes ſolche<lb/> wort iſt aus ſeiner zeit und aus ſeinem ort zu beurtheilen,<lb/> daher die große verſchiedenheit, z. b. zwiſchen dem nhd.<lb/> und ahd. ausdruck un-zucht, un-zuht, oder dem ahd.<lb/> un-tât (macula) und altn. ô-dâd (nefas). <hi rendition="#i">δ</hi>) die dem un-<lb/> verwandten partikeln â-, ab-, bi-, zur-, oder auch die ei-<lb/> gentlichen compoſitionen miſſa-, wana- ſind bisweilen<lb/> eben ſo gebraucht worden. Ihre verwandtſchaft unter-<lb/> einander erhellt aus der vergleichung von un-chuſt, â-<lb/> chuſt; ô-vëgr, â-wicki; un-unſt, ap-unſt; un-wîp, bî-wîp;<lb/> un-luſt, zur-luſt; un-wân, zur-wân; un-unſt, mis-gunſt;<lb/> un-glück, mis-glück etc. <hi rendition="#i">ε</hi>) manche wörter kommen<lb/> ohne die partikel gar nicht mehr vor, z. b. das nhd. un-<lb/> flat, un-geſtüm, un-geziefer; das mhd. un-dære, ahd. un-<lb/> daralîh, das goth. un-barnahs etc. Dahin können na-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [782/0800]
III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
êren Jw. Barl.; un-mæren (odioſum reddere) Parc. 166b Triſt.;
un-minnen MS. 2, 210b a. Heinr. 203a; un-prîſen Nib. 8227;
un-rähten Triſt.; un-ſchuldigen Nib. 4186; un-ſiten (male
ſe habere, ſurere) Maria 133. fr. bell. 40a von un-ſite
(malus habitus, mos turpis, inſanus); un-ſinnen (inſanire)
Triſt.; ge-un-ſueƷen (aceſcere) a. Tit. 157; un-trœſten
Nib. Barl. a. Heinr. 198b. Nhd. ſind ſolche wörter ohne
vorſetzung einer weitern partikel ungebräuchlich, man
ſagt: ver-un-ehren; ver-un-glimpfen; be-un-ruhigen; ver-
un-treuen; ver-un-zieren. — Anmerkungen: α) die par-
tikel iſt zumeiſt gerecht für adj. (und participia), minder
für ſubſt.; man kann ſie ſich zu allen adj. hinzudenken,
nicht zu allen oder nur vielen ſubſt. Sie hat vor dieſen
leicht einen ſtärkeren, vor jenen einen gelinderen, mehr
abſtracten ſinn. Vorzüglich gern nehmen ſie vielſilbige,
ſelbſt ſchon zuſ. geſetzte adj. an, vgl. nhd. unwiederbring-
lich, unwiederherſtellbar, ahd. unmiotegërn N. Cap. 120.
unbûhaft ibid. 143. etc. β) ſie läßt ſich auch vor adj.
nicht immer durch die gerade negation übertragen und
enthält wohl oft einen euphemiſmus. Unſchön, unlieb,
unklug etc. umgehen die härte des ausdrucks von häß-
lich, verhaßt, thöricht; das altn. ôklâr (unklar) bedentet
ſubobſcurus und, merkwürdig das altn. î- (ſub-) berüh-
rend, dient die gemuthmaßte verwandtſchaft zwiſchen ô-
und î-, un- und in- zu beſtätigen. γ) die ſchwankende,
ſtärkere bedeutung vor ſubſt. kann ſich eben auf eine ur-
ſprüngliche, gelindere gründen. Statt gewiſſe laſter baar
zu nennen, wurden die verhüllenden ausdrücke ungeſell,
unminne, unthat, unſitte, unzucht u. dgl. angewandt, bis
nach und nach ſelbſt dieſe eine ſchärfe annahmen, die nicht
in der eigentlichen wortbedeutung liegt. Jedes ſolche
wort iſt aus ſeiner zeit und aus ſeinem ort zu beurtheilen,
daher die große verſchiedenheit, z. b. zwiſchen dem nhd.
und ahd. ausdruck un-zucht, un-zuht, oder dem ahd.
un-tât (macula) und altn. ô-dâd (nefas). δ) die dem un-
verwandten partikeln â-, ab-, bi-, zur-, oder auch die ei-
gentlichen compoſitionen miſſa-, wana- ſind bisweilen
eben ſo gebraucht worden. Ihre verwandtſchaft unter-
einander erhellt aus der vergleichung von un-chuſt, â-
chuſt; ô-vëgr, â-wicki; un-unſt, ap-unſt; un-wîp, bî-wîp;
un-luſt, zur-luſt; un-wân, zur-wân; un-unſt, mis-gunſt;
un-glück, mis-glück etc. ε) manche wörter kommen
ohne die partikel gar nicht mehr vor, z. b. das nhd. un-
flat, un-geſtüm, un-geziefer; das mhd. un-dære, ahd. un-
daralîh, das goth. un-barnahs etc. Dahin können na-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |