verallgemeinert werden; treten solche wörter in verbin- dung, so behauptet immer das erste wort den vollen sinnlichen begriff (z. b. ags. mägen-scipe, potentia). Heil, schaft und thum vertreten einander zwar gewisser- maßen, doch bestehen feine, zum theil dialectisch be- gründete, unterschiede: thum bezeichnet mehr die würde, das gut, heit den bloßen namen, schaft den bloßen zu- stand. Es läßt sich christen-heit und christen-thum sagen, nicht christen-schaft, dagegen heiden-thum und heiden- schaft, nicht heiden-heit. Thum und heit binden sich auch mit adj., nicht aber schaft (doch mit part. praet., wohin eigen gehört). Das ags. veis-dom entspricht unserm nhd. weis-heit, für jenes gilt weder veis-had, noch für weis-heit weis-thum, wohl aber galt ahd. weis-tuom, mhd. beides weis-heit und weis-tuom in gleichem sinn. Mit al- len drein zusammensetzbar ist eigen: eigen-thum (domi- nium) eigen-heit (proprietas) eigen-schaft (qualitas), be- stimmt gesonderte bedeutungen. Zeichen dieser drei wör- ter (so wie der übrigen zweiten wörter, wenn sie abstract werden) ist, daß sie niemahls uneigentliche comp. einge- hen; begreiflich, da ein selbst leblos gewordnes wort kei- nen genitiv zu regieren vermag. Desto verwerflicher ist das vorhin schon getadelte nhd. brüder-schaft, nicht min- der fürsten-thum, volks-thum, völker-schaft.
*) vielleicht ist doch das nhd. leichnam keine entstellung aus leicham; es gibt nicht nur ein mhd. leich-name Herb. 91b Karl 46b 118a sondern auch ein ahd. leicha-namo (zweimahl in einem cod. claustroneuburg.) welche spolium, exuviae, corpus, mithin dasselbe bedeuten, was leih-hamo. Die einfachen hamo und namo sind beide veraltet.
III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
verallgemeinert werden; treten ſolche wörter in verbin- dung, ſo behauptet immer das erſte wort den vollen ſinnlichen begriff (z. b. agſ. mägen-ſcipe, potentia). Heil, ſchaft und thum vertreten einander zwar gewiſſer- maßen, doch beſtehen feine, zum theil dialectiſch be- gründete, unterſchiede: thum bezeichnet mehr die würde, das gut, heit den bloßen namen, ſchaft den bloßen zu- ſtand. Es läßt ſich chriſten-heit und chriſten-thum ſagen, nicht chriſten-ſchaft, dagegen heiden-thum und heiden- ſchaft, nicht heiden-heit. Thum und heit binden ſich auch mit adj., nicht aber ſchaft (doch mit part. praet., wohin eigen gehört). Das agſ. vîs-dôm entſpricht unſerm nhd. weis-heit, für jenes gilt weder vîs-hâd, noch für weis-heit weis-thum, wohl aber galt ahd. wîs-tuom, mhd. beides wîs-heit und wîs-tuom in gleichem ſinn. Mit al- len drein zuſammenſetzbar iſt eigen: eigen-thum (domi- nium) eigen-heit (proprietas) eigen-ſchaft (qualitas), be- ſtimmt geſonderte bedeutungen. Zeichen dieſer drei wör- ter (ſo wie der übrigen zweiten wörter, wenn ſie abſtract werden) iſt, daß ſie niemahls uneigentliche comp. einge- hen; begreiflich, da ein ſelbſt leblos gewordnes wort kei- nen genitiv zu regieren vermag. Deſto verwerflicher iſt das vorhin ſchon getadelte nhd. brüder-ſchaft, nicht min- der fürſten-thum, volks-thum, völker-ſchaft.
*) vielleicht iſt doch das nhd. leichnam keine entſtellung aus lîcham; es gibt nicht nur ein mhd. lîch-nâme Herb. 91b Karl 46b 118a ſondern auch ein ahd. lîcha-nâmo (zweimahl in einem cod. clauſtroneuburg.) welche ſpolium, exuviae, corpus, mithin daſſelbe bedeuten, was lîh-hamo. Die einfachen hamo und nâmo ſind beide veraltet.
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III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
verallgemeinert werden; treten ſolche wörter in verbin-
dung, ſo behauptet immer das erſte wort den vollen
ſinnlichen begriff (z. b. agſ. mägen-ſcipe, potentia).
Heil, ſchaft und thum vertreten einander zwar gewiſſer-
maßen, doch beſtehen feine, zum theil dialectiſch be-
gründete, unterſchiede: thum bezeichnet mehr die würde,
das gut, heit den bloßen namen, ſchaft den bloßen zu-
ſtand. Es läßt ſich chriſten-heit und chriſten-thum ſagen,
nicht chriſten-ſchaft, dagegen heiden-thum und heiden-
ſchaft, nicht heiden-heit. Thum und heit binden ſich
auch mit adj., nicht aber ſchaft (doch mit part. praet.,
wohin eigen gehört). Das agſ. vîs-dôm entſpricht unſerm
nhd. weis-heit, für jenes gilt weder vîs-hâd, noch für
weis-heit weis-thum, wohl aber galt ahd. wîs-tuom, mhd.
beides wîs-heit und wîs-tuom in gleichem ſinn. Mit al-
len drein zuſammenſetzbar iſt eigen: eigen-thum (domi-
nium) eigen-heit (proprietas) eigen-ſchaft (qualitas), be-
ſtimmt geſonderte bedeutungen. Zeichen dieſer drei wör-
ter (ſo wie der übrigen zweiten wörter, wenn ſie abſtract
werden) iſt, daß ſie niemahls uneigentliche comp. einge-
hen; begreiflich, da ein ſelbſt leblos gewordnes wort kei-
nen genitiv zu regieren vermag. Deſto verwerflicher iſt
das vorhin ſchon getadelte nhd. brüder-ſchaft, nicht min-
der fürſten-thum, volks-thum, völker-ſchaft.
12) das zweite verzeichnis lehrt auch viele ſynonyma
lebendiger bedeutungen, deren feinere färbung in jeder
mundart beſonders erforſcht werden muß. Man vgl.
(für pannus) ahd. fano, hregil, lahhan, tuoh, wât; (für
vas) ahd. faƷ, char, palc, ſtal, goth. ſtaþa, altn. beri;
(für ſtatio) ahd. ſtal, weida; (für lignum, arbor, mate-
ries) bagms, triu, timbr, þilus, vidus; (für opes, pecu-
nia) goth. huzd, ſkatts, máiþms, faíhu, agſ. ſinc, geſtrëón,
vëla; (für vinculum) ahd. nôt, pant, reif, riemo, ſeil,
dio-reif gleicht dem agſ. þëóv-nŷd; (für praeda) ahd.
hunta, numft, rouba, altn. fâng, nâm *); (für domus,
aula) agſ. hûs, gëard, rêced, ſtëal, geſtëald; (für via)
ahd. leita, ſtrâƷa, pfad, wëc; (für opifex) agſ. ſmið,
*) vielleicht iſt doch das nhd. leichnam keine entſtellung aus
lîcham; es gibt nicht nur ein mhd. lîch-nâme Herb. 91b Karl 46b
118a ſondern auch ein ahd. lîcha-nâmo (zweimahl in einem cod.
clauſtroneuburg.) welche ſpolium, exuviae, corpus, mithin daſſelbe
bedeuten, was lîh-hamo. Die einfachen hamo und nâmo ſind
beide veraltet.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/562>, abgerufen am 22.11.2024.
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