Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. consonantische ableitungen. R.
der wurzel hat *), sind: ahd. viur, altn. syr (ignis) f.
viuw-ar? ags. tear f. täh-er, ahd. zah-ar, goth. tag-rs,
gr. dak-ru, lat. lac-rima; engl. fair f. fah-r, fag-r, ags.
fäg-er, goth. fag-rs und fah-rjan; engl. stair, ags. stäg-
er; dän. seir, sejr (victoria) f. sig-er. --

b) häufiger als das l fehlt das ableitende r der einen
mundart, während es die andere besitzt, bei gleichen bedeu-
tungen. Das goth. vat-o lautet ahd. waß-ar, ags. vät-er; das
goth. vulth-us ahd. wold-ar, ags. vuld-or; das altn. oeg-ir
(gen. oegis) ags. eg-or (vgl. lat. aequ-or); das ags. meard
(martes) ahd. mard-ar; das ahd. sik-u ags. sig-or, altn.
sig-r (gen. sigrs); das mhd. heß (vestitus) ags. hät-er;
das nnl. mes (culter) nhd. mess-er; das ags. secg ahd.
sah-ar; das nhd. mord goth. maurth-r, ahd. mord-ar;
das altn. last ahd. last-ar; das ags. vulf (lupus) besteht neben
vulf-er (lupus) mist-rjan (caligare) neben mist-jan etc. Die
beispiele lehren, daß kein dialect dem -r gerade geneigt oder
abgeneigt sei; jeder hegt oder verwirft es für einzelne wör-
ter. Wie alt muß es daher sein, wenn es ohne dem ge-
nauen sinn abzubrechen in ihnen bald haften, bald fehlen
darf. Die meisten r-ableitungen führen es freilich durch
alle dialecte; ein mod, muot f. modor, muotar würde in
keiner deutschen sprache verstanden werden, so wenig als
mat im lat. für mater, doch dem Litthauer ist mote, dem
Slaven mati (wenigstens im nom.) ohne r zuläßig. --

c) wechsel mit andern ableitungsconsonanten. Zwi-
schen r und l; davon oben s. 119., hier noch einige bei-
spiele: statt des ags. bremel, brembel (rubus) steht Cädm.
63. 2. brember; das nhd. schüttern, erschüttern ist stärker
als schutteln, doch stammeln einerlei mit stammern das mhd.
wispeln (sibilare, vgl. slangen-wifpel weltchr. cass. 31c, wis-
pel-wort MS. 2, 202b) das engl. whisper ags. hvisprjan (su-
surrare); das ags. hvästrjan (murmurare) verwandt mit
hvistljan, engl. whistle (sibilare) vgl. die nhd. lispeln, flispern,
flüstern; für viscera, intestina gilt der ahd. ausdruck inno-
dilu (pl. neutr. vom sg. innodili) jun. 209. T. 4. 18. **)

*) ahd. tio-r, altn. dy-r (fera) scheint dem S. zu gehören
vgl. goth. diuh-s? mehr davon an seinem ort.
**) inobli doc. 221a schiene verderbt, wenn nicht altn. inneifli
vorkäme; die wurzel ist inn (das innere, innerste) wovon ohne l
oder r ableitung ags. innod, pl. innodas (viscera), vgl. innodi
jun. 231. innadir (?) doc. 221a ob eine compos. inn-adara eintrete?
bezweifle ich. Vielleicht klärt auch das noch ungewisse goth. hairthra
(splagkhna), hilem. 5, 12. auf, vom sg. hairthr.

III. conſonantiſche ableitungen. R.
der wurzel hat *), ſind: ahd. viur, altn. ſŷr (ignis) f.
viuw-ar? agſ. tëar f. täh-er, ahd. zah-ar, goth. tag-rs,
gr. δάκ-ρυ, lat. lac-rima; engl. fair f. fah-r, fag-r, agſ.
fäg-er, goth. fag-rs und fah-rjan; engl. ſtair, agſ. ſtäg-
er; dän. ſeir, ſejr (victoria) f. ſig-er. —

b) häufiger als das l fehlt das ableitende r der einen
mundart, während es die andere beſitzt, bei gleichen bedeu-
tungen. Das goth. vat-ô lautet ahd. waƷ-ar, agſ. vät-er; das
goth. vulþ-us ahd. wold-ar, agſ. vuld-or; das altn. œg-ir
(gen. œgis) agſ. êg-or (vgl. lat. aequ-or); das agſ. mearð
(martes) ahd. mard-ar; das ahd. ſik-u agſ. ſig-or, altn.
ſig-r (gen. ſigrs); das mhd. heƷ (veſtitus) agſ. hät-er;
das nnl. mes (culter) nhd. meſſ-er; das agſ. ſecg ahd.
ſah-ar; das nhd. mord goth. maúrþ-r, ahd. mord-ar;
das altn. laſt ahd. laſt-ar; das agſ. vulf (lupus) beſteht neben
vulf-er (lupus) miſt-rjan (caligare) neben miſt-jan etc. Die
beiſpiele lehren, daß kein dialect dem -r gerade geneigt oder
abgeneigt ſei; jeder hegt oder verwirft es für einzelne wör-
ter. Wie alt muß es daher ſein, wenn es ohne dem ge-
nauen ſinn abzubrechen in ihnen bald haften, bald fehlen
darf. Die meiſten r-ableitungen führen es freilich durch
alle dialecte; ein môd, muot f. môdor, muotar würde in
keiner deutſchen ſprache verſtanden werden, ſo wenig als
mat im lat. für mater, doch dem Litthauer iſt mote, dem
Slaven mati (wenigſtens im nom.) ohne r zuläßig. —

c) wechſel mit andern ableitungsconſonanten. Zwi-
ſchen r und l; davon oben ſ. 119., hier noch einige bei-
ſpiele: ſtatt des agſ. bremel, brembel (rubus) ſteht Cädm.
63. 2. brember; das nhd. ſchüttern, erſchüttern iſt ſtärker
als ſchutteln, doch ſtammeln einerlei mit ſtammern das mhd.
wiſpeln (ſibilare, vgl. ſlangen-wifpel weltchr. caſſ. 31c, wiſ-
pel-wort MS. 2, 202b) das engl. whiſper agſ. hviſprjan (ſu-
ſurrare); das agſ. hväſtrjan (murmurare) verwandt mit
hviſtljan, engl. whiſtle (ſibilare) vgl. die nhd. liſpeln, fliſpern,
flüſtern; für viſcera, inteſtina gilt der ahd. ausdruck innô-
dilu (pl. neutr. vom ſg. innôdili) jun. 209. T. 4. 18. **)

*) ahd. tio-r, altn. dŷ-r (fera) ſcheint dem S. zu gehören
vgl. goth. diuh-s? mehr davon an ſeinem ort.
**) inôbli doc. 221a ſchiene verderbt, wenn nicht altn. innîfli
vorkäme; die wurzel iſt inn (das innere, innerſte) wovon ohne l
oder r ableitung agſ. innôð, pl. innôðas (viſcera), vgl. innôdi
jun. 231. innadir (?) doc. 221a ob eine compoſ. inn-âdara eintrete?
bezweifle ich. Vielleicht klärt auch das noch ungewiſſe goth. haírþra
(σπλάγχνα), hilem. 5, 12. auf, vom ſg. haírþr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0161" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">con&#x017F;onanti&#x017F;che ableitungen. R.</hi></hi></fw><lb/>
der wurzel hat <note place="foot" n="*)">ahd. tio-r, altn. d&#x0177;-r (fera) &#x017F;cheint dem S. zu gehören<lb/>
vgl. goth. diuh-s? mehr davon an &#x017F;einem ort.</note>, &#x017F;ind: ahd. viur, altn. &#x017F;&#x0177;r (ignis) f.<lb/>
viuw-ar? ag&#x017F;. tëar f. täh-er, ahd. zah-ar, goth. tag-rs,<lb/>
gr. <hi rendition="#i">&#x03B4;&#x03AC;&#x03BA;-&#x03C1;&#x03C5;</hi>, lat. lac-rima; engl. fair f. fah-r, fag-r, ag&#x017F;.<lb/>
fäg-er, goth. fag-rs und fah-rjan; engl. &#x017F;tair, ag&#x017F;. &#x017F;täg-<lb/>
er; dän. &#x017F;eir, &#x017F;ejr (victoria) f. &#x017F;ig-er. &#x2014;</p><lb/>
                <p>b) häufiger als das l fehlt das ableitende r der einen<lb/>
mundart, während es die andere be&#x017F;itzt, bei gleichen bedeu-<lb/>
tungen. Das goth. vat-ô lautet ahd. wa&#x01B7;-ar, ag&#x017F;. vät-er; das<lb/>
goth. vulþ-us ahd. wold-ar, ag&#x017F;. vuld-or; das altn. &#x0153;g-ir<lb/>
(gen. &#x0153;gis) ag&#x017F;. êg-or (vgl. lat. aequ-or); das ag&#x017F;. mearð<lb/>
(martes) ahd. mard-ar; das ahd. &#x017F;ik-u ag&#x017F;. &#x017F;ig-or, altn.<lb/>
&#x017F;ig-r (gen. &#x017F;igrs); das mhd. he&#x01B7; (ve&#x017F;titus) ag&#x017F;. hät-er;<lb/>
das nnl. mes (culter) nhd. me&#x017F;&#x017F;-er; das ag&#x017F;. &#x017F;ecg ahd.<lb/>
&#x017F;ah-ar; das nhd. mord goth. maúrþ-r, ahd. mord-ar;<lb/>
das altn. la&#x017F;t ahd. la&#x017F;t-ar; das ag&#x017F;. vulf (lupus) be&#x017F;teht neben<lb/>
vulf-er (lupus) mi&#x017F;t-rjan (caligare) neben mi&#x017F;t-jan etc. Die<lb/>
bei&#x017F;piele lehren, daß kein dialect dem -r gerade geneigt oder<lb/>
abgeneigt &#x017F;ei; jeder hegt oder verwirft es für einzelne wör-<lb/>
ter. Wie alt muß es daher &#x017F;ein, wenn es ohne dem ge-<lb/>
nauen &#x017F;inn abzubrechen in ihnen bald haften, bald fehlen<lb/>
darf. Die mei&#x017F;ten r-ableitungen führen es freilich durch<lb/>
alle dialecte; ein môd, muot f. môdor, muotar würde in<lb/>
keiner deut&#x017F;chen &#x017F;prache ver&#x017F;tanden werden, &#x017F;o wenig als<lb/>
mat im lat. für mater, doch dem Litthauer i&#x017F;t mote, dem<lb/>
Slaven mati (wenig&#x017F;tens im nom.) ohne r zuläßig. &#x2014;</p><lb/>
                <p>c) wech&#x017F;el mit andern ableitungscon&#x017F;onanten. Zwi-<lb/>
&#x017F;chen r und l; davon oben &#x017F;. 119., hier noch einige bei-<lb/>
&#x017F;piele: &#x017F;tatt des ag&#x017F;. bremel, brembel (rubus) &#x017F;teht Cädm.<lb/>
63. 2. brember; das nhd. &#x017F;chüttern, er&#x017F;chüttern i&#x017F;t &#x017F;tärker<lb/>
als &#x017F;chutteln, doch &#x017F;tammeln einerlei mit &#x017F;tammern das mhd.<lb/>
wi&#x017F;peln (&#x017F;ibilare, vgl. &#x017F;langen-wifpel weltchr. ca&#x017F;&#x017F;. 31<hi rendition="#sup">c</hi>, wi&#x017F;-<lb/>
pel-wort MS. 2, 202<hi rendition="#sup">b</hi>) das engl. whi&#x017F;per ag&#x017F;. hvi&#x017F;prjan (&#x017F;u-<lb/>
&#x017F;urrare); das ag&#x017F;. hvä&#x017F;trjan (murmurare) verwandt mit<lb/>
hvi&#x017F;tljan, engl. whi&#x017F;tle (&#x017F;ibilare) vgl. die nhd. li&#x017F;peln, fli&#x017F;pern,<lb/>
flü&#x017F;tern; für vi&#x017F;cera, inte&#x017F;tina gilt der ahd. ausdruck innô-<lb/>
dilu (pl. neutr. vom &#x017F;g. innôdili) jun. 209. T. 4. 18. <note place="foot" n="**)">inôbli doc. 221<hi rendition="#sup">a</hi> &#x017F;chiene verderbt, wenn nicht altn. innîfli<lb/>
vorkäme; die wurzel i&#x017F;t inn (das innere, inner&#x017F;te) wovon ohne l<lb/>
oder r ableitung ag&#x017F;. innôð, pl. innôðas (vi&#x017F;cera), vgl. innôdi<lb/>
jun. 231. innadir (?) doc. 221<hi rendition="#sup">a</hi> ob eine compo&#x017F;. inn-âdara eintrete?<lb/>
bezweifle ich. Vielleicht klärt auch das noch ungewi&#x017F;&#x017F;e goth. haírþra<lb/>
(<hi rendition="#i">&#x03C3;&#x03C0;&#x03BB;&#x03AC;&#x03B3;&#x03C7;&#x03BD;&#x03B1;</hi>), hilem. 5, 12. auf, vom &#x017F;g. haírþr.</note><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0161] III. conſonantiſche ableitungen. R. der wurzel hat *), ſind: ahd. viur, altn. ſŷr (ignis) f. viuw-ar? agſ. tëar f. täh-er, ahd. zah-ar, goth. tag-rs, gr. δάκ-ρυ, lat. lac-rima; engl. fair f. fah-r, fag-r, agſ. fäg-er, goth. fag-rs und fah-rjan; engl. ſtair, agſ. ſtäg- er; dän. ſeir, ſejr (victoria) f. ſig-er. — b) häufiger als das l fehlt das ableitende r der einen mundart, während es die andere beſitzt, bei gleichen bedeu- tungen. Das goth. vat-ô lautet ahd. waƷ-ar, agſ. vät-er; das goth. vulþ-us ahd. wold-ar, agſ. vuld-or; das altn. œg-ir (gen. œgis) agſ. êg-or (vgl. lat. aequ-or); das agſ. mearð (martes) ahd. mard-ar; das ahd. ſik-u agſ. ſig-or, altn. ſig-r (gen. ſigrs); das mhd. heƷ (veſtitus) agſ. hät-er; das nnl. mes (culter) nhd. meſſ-er; das agſ. ſecg ahd. ſah-ar; das nhd. mord goth. maúrþ-r, ahd. mord-ar; das altn. laſt ahd. laſt-ar; das agſ. vulf (lupus) beſteht neben vulf-er (lupus) miſt-rjan (caligare) neben miſt-jan etc. Die beiſpiele lehren, daß kein dialect dem -r gerade geneigt oder abgeneigt ſei; jeder hegt oder verwirft es für einzelne wör- ter. Wie alt muß es daher ſein, wenn es ohne dem ge- nauen ſinn abzubrechen in ihnen bald haften, bald fehlen darf. Die meiſten r-ableitungen führen es freilich durch alle dialecte; ein môd, muot f. môdor, muotar würde in keiner deutſchen ſprache verſtanden werden, ſo wenig als mat im lat. für mater, doch dem Litthauer iſt mote, dem Slaven mati (wenigſtens im nom.) ohne r zuläßig. — c) wechſel mit andern ableitungsconſonanten. Zwi- ſchen r und l; davon oben ſ. 119., hier noch einige bei- ſpiele: ſtatt des agſ. bremel, brembel (rubus) ſteht Cädm. 63. 2. brember; das nhd. ſchüttern, erſchüttern iſt ſtärker als ſchutteln, doch ſtammeln einerlei mit ſtammern das mhd. wiſpeln (ſibilare, vgl. ſlangen-wifpel weltchr. caſſ. 31c, wiſ- pel-wort MS. 2, 202b) das engl. whiſper agſ. hviſprjan (ſu- ſurrare); das agſ. hväſtrjan (murmurare) verwandt mit hviſtljan, engl. whiſtle (ſibilare) vgl. die nhd. liſpeln, fliſpern, flüſtern; für viſcera, inteſtina gilt der ahd. ausdruck innô- dilu (pl. neutr. vom ſg. innôdili) jun. 209. T. 4. 18. **) *) ahd. tio-r, altn. dŷ-r (fera) ſcheint dem S. zu gehören vgl. goth. diuh-s? mehr davon an ſeinem ort. **) inôbli doc. 221a ſchiene verderbt, wenn nicht altn. innîfli vorkäme; die wurzel iſt inn (das innere, innerſte) wovon ohne l oder r ableitung agſ. innôð, pl. innôðas (viſcera), vgl. innôdi jun. 231. innadir (?) doc. 221a ob eine compoſ. inn-âdara eintrete? bezweifle ich. Vielleicht klärt auch das noch ungewiſſe goth. haírþra (σπλάγχνα), hilem. 5, 12. auf, vom ſg. haírþr.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/161
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/161>, abgerufen am 22.11.2024.