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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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Vorrede.
und weggefallene consonanten dabei annehme, so wie daß
ich in wörtern, mit zwei consonanten nach dem vocal,
bemüht gewesen bin, den letzten derselben einem ablei-
tenden princip zuzuweisen, während Bopp auch zusam-
mengesetzte, zur einheit verbundne consonanten als wur-
zelhaft zuläßt. Freilich sind solche wörter im deutschen
sogar des ablauts fähig und es scheint, wie dem wurzel-
vocal zwei consonanten vorhergehen dürfen, daß ihm
auch zwei sollten folgen können. Umgedreht macht sich
zuweilen der vordere der beiden anlautenden consonanten
verdächtig, aus einer zusammensetzung herzurühren (s. 406.
700. 701.). Daß die frühere sprache ihre wurzeln be-
kleide (s. 3.), während sie die spätere häufig nackt auf-
stellt, bestätigt gleichfalls das sanskrit (Bopp §. 106.), das
bloß in einigen abstracten substantiven und im zweiten
theil von zusammensetzungen, wie die lat. frugi-fer, ar-
mi-ger (welche ich s. 4. in der anmerkung hätte anfüh-
ren sollen) reine wurzelsilben verwendet.

Schon band 1. s. 594. ist gehörig hervorgehoben wor-
den daß es im sanskrit nur drei kurze vocale gibt *); im
deutschen muste die unursprünglichkeit des e und o histo-
risch erkannt werden, im sanskrit lehrt sie der augen-
schein, weil selbst buchstaben dafür mangeln. Und wenn
unter den langen vocalen außer dem a, ei, au auch ein e,
o erscheinen, beweisen die schriftzüge unwidersprechlich
den zusammenhang der letztern mit den diphthongen ai
und au. In der aussprache sollen zwar e und o vorhan-
den sein; es wird angenommen (Bopp §. 10.), daß a im
anlaut rein bleibe, im inlaut aber wie o und im auslaut
wie e klinge. Hierin sehe ich nichts, als verderbnis, die
wahrscheinlich den heutigen indischen landessprachen ge-
mäß ist, keineswegs für die echte und alte aussprache des
sanskrit entscheidet, denn wer wollte z. b. amala (flecken-
los) amole lesen? Der anlaut sichert in allen sprachen
vocale und consonanten am meisten und gewisse modifi-
cationen (z. b. das ahd. ß, altn. d) gelten bloß für die
mitte oder das ende der wörter. Wären o und e orga-
nische laute, so würden sie nicht nur im sanskrit geschrie-
ben, sondern auch im anfang der wörter ausgesprochen
werden, wie nicht geschieht. Mit gutem fug scheine ich
mir daher in der deutschen derivation nur die drei vo-

*) vgl. für das aethiopische, arabische und syrische: Hupfeld
exercitationes aethiopicae, Lips. 1825. p. 8.

Vorrede.
und weggefallene conſonanten dabei annehme, ſo wie daß
ich in wörtern, mit zwei conſonanten nach dem vocal,
bemüht geweſen bin, den letzten derſelben einem ablei-
tenden princip zuzuweiſen, während Bopp auch zuſam-
mengeſetzte, zur einheit verbundne conſonanten als wur-
zelhaft zuläßt. Freilich ſind ſolche wörter im deutſchen
ſogar des ablauts fähig und es ſcheint, wie dem wurzel-
vocal zwei conſonanten vorhergehen dürfen, daß ihm
auch zwei ſollten folgen können. Umgedreht macht ſich
zuweilen der vordere der beiden anlautenden conſonanten
verdächtig, aus einer zuſammenſetzung herzurühren (ſ. 406.
700. 701.). Daß die frühere ſprache ihre wurzeln be-
kleide (ſ. 3.), während ſie die ſpätere häufig nackt auf-
ſtellt, beſtätigt gleichfalls das ſanſkrit (Bopp §. 106.), das
bloß in einigen abſtracten ſubſtantiven und im zweiten
theil von zuſammenſetzungen, wie die lat. frugi-fer, ar-
mi-ger (welche ich ſ. 4. in der anmerkung hätte anfüh-
ren ſollen) reine wurzelſilben verwendet.

Schon band 1. ſ. 594. iſt gehörig hervorgehoben wor-
den daß es im ſanſkrit nur drei kurze vocale gibt *); im
deutſchen muſte die unurſprünglichkeit des e und o hiſto-
riſch erkannt werden, im ſanſkrit lehrt ſie der augen-
ſchein, weil ſelbſt buchſtaben dafür mangeln. Und wenn
unter den langen vocalen außer dem â, î, û auch ein ê,
ô erſcheinen, beweiſen die ſchriftzüge unwiderſprechlich
den zuſammenhang der letztern mit den diphthongen ai
und au. In der ausſprache ſollen zwar e und o vorhan-
den ſein; es wird angenommen (Bopp §. 10.), daß a im
anlaut rein bleibe, im inlaut aber wie o und im auslaut
wie e klinge. Hierin ſehe ich nichts, als verderbnis, die
wahrſcheinlich den heutigen indiſchen landesſprachen ge-
mäß iſt, keineswegs für die echte und alte ausſprache des
ſanſkrit entſcheidet, denn wer wollte z. b. amala (flecken-
los) amole leſen? Der anlaut ſichert in allen ſprachen
vocale und conſonanten am meiſten und gewiſſe modifi-
cationen (z. b. das ahd. Ʒ, altn. ð) gelten bloß für die
mitte oder das ende der wörter. Wären o und e orga-
niſche laute, ſo würden ſie nicht nur im ſanſkrit geſchrie-
ben, ſondern auch im anfang der wörter ausgeſprochen
werden, wie nicht geſchieht. Mit gutem fug ſcheine ich
mir daher in der deutſchen derivation nur die drei vo-

*) vgl. für das aethiopiſche, arabiſche und ſyriſche: Hupfeld
exercitationes aethiopicae, Lipſ. 1825. p. 8.
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[VII/0013] Vorrede. und weggefallene conſonanten dabei annehme, ſo wie daß ich in wörtern, mit zwei conſonanten nach dem vocal, bemüht geweſen bin, den letzten derſelben einem ablei- tenden princip zuzuweiſen, während Bopp auch zuſam- mengeſetzte, zur einheit verbundne conſonanten als wur- zelhaft zuläßt. Freilich ſind ſolche wörter im deutſchen ſogar des ablauts fähig und es ſcheint, wie dem wurzel- vocal zwei conſonanten vorhergehen dürfen, daß ihm auch zwei ſollten folgen können. Umgedreht macht ſich zuweilen der vordere der beiden anlautenden conſonanten verdächtig, aus einer zuſammenſetzung herzurühren (ſ. 406. 700. 701.). Daß die frühere ſprache ihre wurzeln be- kleide (ſ. 3.), während ſie die ſpätere häufig nackt auf- ſtellt, beſtätigt gleichfalls das ſanſkrit (Bopp §. 106.), das bloß in einigen abſtracten ſubſtantiven und im zweiten theil von zuſammenſetzungen, wie die lat. frugi-fer, ar- mi-ger (welche ich ſ. 4. in der anmerkung hätte anfüh- ren ſollen) reine wurzelſilben verwendet. Schon band 1. ſ. 594. iſt gehörig hervorgehoben wor- den daß es im ſanſkrit nur drei kurze vocale gibt *); im deutſchen muſte die unurſprünglichkeit des e und o hiſto- riſch erkannt werden, im ſanſkrit lehrt ſie der augen- ſchein, weil ſelbſt buchſtaben dafür mangeln. Und wenn unter den langen vocalen außer dem â, î, û auch ein ê, ô erſcheinen, beweiſen die ſchriftzüge unwiderſprechlich den zuſammenhang der letztern mit den diphthongen ai und au. In der ausſprache ſollen zwar e und o vorhan- den ſein; es wird angenommen (Bopp §. 10.), daß a im anlaut rein bleibe, im inlaut aber wie o und im auslaut wie e klinge. Hierin ſehe ich nichts, als verderbnis, die wahrſcheinlich den heutigen indiſchen landesſprachen ge- mäß iſt, keineswegs für die echte und alte ausſprache des ſanſkrit entſcheidet, denn wer wollte z. b. amala (flecken- los) amole leſen? Der anlaut ſichert in allen ſprachen vocale und conſonanten am meiſten und gewiſſe modifi- cationen (z. b. das ahd. Ʒ, altn. ð) gelten bloß für die mitte oder das ende der wörter. Wären o und e orga- niſche laute, ſo würden ſie nicht nur im ſanſkrit geſchrie- ben, ſondern auch im anfang der wörter ausgeſprochen werden, wie nicht geſchieht. Mit gutem fug ſcheine ich mir daher in der deutſchen derivation nur die drei vo- *) vgl. für das aethiopiſche, arabiſche und ſyriſche: Hupfeld exercitationes aethiopicae, Lipſ. 1825. p. 8.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/13>, abgerufen am 26.04.2024.