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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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Vorrede.
an das sanskrit gekommen, dessen unleugbarer, naher zu-
sammenhang mit den letzteren ein weites feld eröffnet.
Sein hohes alterthum, seine fast alles übertreffende form-
vollkommenheit, setzen in den stand, ja nöthigen, von
dem engeren gesichtspunct abzuweichen, auf welchen uns
die gewohnheit der griechischen oder lateinischen oder
die noch größere beschränkung der einheimischen lan-
dessprachen gebannt hatte. Alle vergleichungen erhalten
nun erst ihren festen hinterhalt und es scheint bald ein
regulativ gewonnen werden zu müßen, nach welchem
die verwandtschaft zwischen dem deutschen, lettischen,
slavischen, griechischen, lateinischen und celtischen *)
sprachstamm, anders als es bisher zu thun möglich war,
auszuführen ist. Wenn aber dadurch selbst die übliche
behandlungsart der griechischen und lateinischen gramma-
tik, in denen zumahl die wortbildungslehre ungebührlich
verabsäumt worden war, einen stoß, vielleicht eine um-
wälzung erhalten muß; so ist vorauszusehen, daß die heil-
samen wirkungen dieser erschütterung am wenigsten für
die deutsche sprache ausbleiben können.

Ich bezweifle nicht, daß die erscheinungen unseres
lauts und ablauts mit der indischen vocalveränderung
durch guna und vriddhi (Bopp lehrgeb. §. 33.) zusam-
menhängen. Keine der übrigen genannten sprachen be-
rührt sich hierin so nahe mit dem sanskrit. Was ich
darüber muthmaße ist aber eigentlich für die flexionslehre
zu erörtern und ich behalte mir vor, den gegenstand erst
noch reiflicher zu prüfen.

Gleich dem deutschen erkennt das sanskrit einsilbig-
keit der wurzeln an. Hält man die von Bopp §. 107.
aufgestellten wurzelclassen zu meinen s. 1-5, s. 388. 389.
gefundenen sätzen, so gehen diese darin weiter, als die
indische grammatik, daß ich wurzeln aus bloßem vocal,
wie sanskr. i (gehen) ei (wünschen) im deutschen leugne

*) für diesen beinahe ausgestorbnen stamm findet sich das
wenigste vorgearbeitet, obgleich die gehaltvollen denkmähler
der cymrischen (wallisischen) und noch mehr die älteren der
irischen sprache zum studium derselben treiben sollten. In
England und selbst in Italien und Deutschland liegen althiber-
nische werke und glossen ungedruckt. Es wäre schon verdienst-
lich, die in würzburger (münchner?) sangaller und mailänder
handschriften des achten und neunten jahrh. zerstreuten bruch-
stücke herauszugeben und grammatisch zu erläutern, vgl. Eccard
sr. or. 1, 452. 453. 847-853. und Am. Peyron Ciceronis orationum
sragm. inedita Stuttg. 1824. p. 188-191.

Vorrede.
an das ſanſkrit gekommen, deſſen unleugbarer, naher zu-
ſammenhang mit den letzteren ein weites feld eröffnet.
Sein hohes alterthum, ſeine faſt alles übertreffende form-
vollkommenheit, ſetzen in den ſtand, ja nöthigen, von
dem engeren geſichtspunct abzuweichen, auf welchen uns
die gewohnheit der griechiſchen oder lateiniſchen oder
die noch größere beſchränkung der einheimiſchen lan-
desſprachen gebannt hatte. Alle vergleichungen erhalten
nun erſt ihren feſten hinterhalt und es ſcheint bald ein
regulativ gewonnen werden zu müßen, nach welchem
die verwandtſchaft zwiſchen dem deutſchen, lettiſchen,
ſlaviſchen, griechiſchen, lateiniſchen und celtiſchen *)
ſprachſtamm, anders als es bisher zu thun möglich war,
auszuführen iſt. Wenn aber dadurch ſelbſt die übliche
behandlungsart der griechiſchen und lateiniſchen gramma-
tik, in denen zumahl die wortbildungslehre ungebührlich
verabſäumt worden war, einen ſtoß, vielleicht eine um-
wälzung erhalten muß; ſo iſt vorauszuſehen, daß die heil-
ſamen wirkungen dieſer erſchütterung am wenigſten für
die deutſche ſprache ausbleiben können.

Ich bezweifle nicht, daß die erſcheinungen unſeres
lauts und ablauts mit der indiſchen vocalveränderung
durch guna und vriddhi (Bopp lehrgeb. §. 33.) zuſam-
menhängen. Keine der übrigen genannten ſprachen be-
rührt ſich hierin ſo nahe mit dem ſanſkrit. Was ich
darüber muthmaße iſt aber eigentlich für die flexionslehre
zu erörtern und ich behalte mir vor, den gegenſtand erſt
noch reiflicher zu prüfen.

Gleich dem deutſchen erkennt das ſanſkrit einſilbig-
keit der wurzeln an. Hält man die von Bopp §. 107.
aufgeſtellten wurzelclaſſen zu meinen ſ. 1-5, ſ. 388. 389.
gefundenen ſätzen, ſo gehen dieſe darin weiter, als die
indiſche grammatik, daß ich wurzeln aus bloßem vocal,
wie ſanſkr. i (gehen) î (wünſchen) im deutſchen leugne

*) für dieſen beinahe ausgeſtorbnen ſtamm findet ſich das
wenigſte vorgearbeitet, obgleich die gehaltvollen denkmähler
der cymriſchen (walliſiſchen) und noch mehr die älteren der
iriſchen ſprache zum ſtudium derſelben treiben ſollten. In
England und ſelbſt in Italien und Deutſchland liegen althiber-
niſche werke und gloſſen ungedruckt. Es wäre ſchon verdienſt-
lich, die in würzburger (münchner?) ſangaller und mailänder
handſchriften des achten und neunten jahrh. zerſtreuten bruch-
ſtücke herauszugeben und grammatiſch zu erläutern, vgl. Eccard
ſr. or. 1, 452. 453. 847-853. und Am. Peyron Ciceronis orationum
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[VI/0012] Vorrede. an das ſanſkrit gekommen, deſſen unleugbarer, naher zu- ſammenhang mit den letzteren ein weites feld eröffnet. Sein hohes alterthum, ſeine faſt alles übertreffende form- vollkommenheit, ſetzen in den ſtand, ja nöthigen, von dem engeren geſichtspunct abzuweichen, auf welchen uns die gewohnheit der griechiſchen oder lateiniſchen oder die noch größere beſchränkung der einheimiſchen lan- desſprachen gebannt hatte. Alle vergleichungen erhalten nun erſt ihren feſten hinterhalt und es ſcheint bald ein regulativ gewonnen werden zu müßen, nach welchem die verwandtſchaft zwiſchen dem deutſchen, lettiſchen, ſlaviſchen, griechiſchen, lateiniſchen und celtiſchen *) ſprachſtamm, anders als es bisher zu thun möglich war, auszuführen iſt. Wenn aber dadurch ſelbſt die übliche behandlungsart der griechiſchen und lateiniſchen gramma- tik, in denen zumahl die wortbildungslehre ungebührlich verabſäumt worden war, einen ſtoß, vielleicht eine um- wälzung erhalten muß; ſo iſt vorauszuſehen, daß die heil- ſamen wirkungen dieſer erſchütterung am wenigſten für die deutſche ſprache ausbleiben können. Ich bezweifle nicht, daß die erſcheinungen unſeres lauts und ablauts mit der indiſchen vocalveränderung durch guna und vriddhi (Bopp lehrgeb. §. 33.) zuſam- menhängen. Keine der übrigen genannten ſprachen be- rührt ſich hierin ſo nahe mit dem ſanſkrit. Was ich darüber muthmaße iſt aber eigentlich für die flexionslehre zu erörtern und ich behalte mir vor, den gegenſtand erſt noch reiflicher zu prüfen. Gleich dem deutſchen erkennt das ſanſkrit einſilbig- keit der wurzeln an. Hält man die von Bopp §. 107. aufgeſtellten wurzelclaſſen zu meinen ſ. 1-5, ſ. 388. 389. gefundenen ſätzen, ſo gehen dieſe darin weiter, als die indiſche grammatik, daß ich wurzeln aus bloßem vocal, wie ſanſkr. i (gehen) î (wünſchen) im deutſchen leugne *) für dieſen beinahe ausgeſtorbnen ſtamm findet ſich das wenigſte vorgearbeitet, obgleich die gehaltvollen denkmähler der cymriſchen (walliſiſchen) und noch mehr die älteren der iriſchen ſprache zum ſtudium derſelben treiben ſollten. In England und ſelbſt in Italien und Deutſchland liegen althiber- niſche werke und gloſſen ungedruckt. Es wäre ſchon verdienſt- lich, die in würzburger (münchner?) ſangaller und mailänder handſchriften des achten und neunten jahrh. zerſtreuten bruch- ſtücke herauszugeben und grammatiſch zu erläutern, vgl. Eccard ſr. or. 1, 452. 453. 847-853. und Am. Peyron Ciceronis orationum ſragm. inedita Stuttg. 1824. p. 188-191.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/12>, abgerufen am 29.03.2024.