Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

II. mittelhochd. conjugation.
für gitet, bitet, tritet (s. 410.), welches ich wiederum
auf die III. sg. praes. starker und erster schwacher be-
schränke, mithin weder sat für satet satiat) noch jet
(evellitis) f. jetet, noch strit (pugnastis) f stritet zugebe. --
Bei ausstoßung des stummen e in der conjug. sehen wir
drei triebfedern wirken, bald die natur der wurzel [ - 1 Zeichen fehlt], bald
die der flexionsconsonanz. bald ein nachgefühl ursprüng-
licher verschiedenheit des flexionsvocals. Während
nach I, r, ohne rücksicht auf letzteren grund alle e aus-
fallen, nach d alle haften, erfährt nach andern cons.
das e syncope, in so weit es auf einem alth. i, keine,
wenn es auf a, u, e, ei beruhte. Manches schwankende
werden künftige forschungen näher bestimmen. --

2) das unstumme, tonlose e darf nicht wegfallen,
gleichviel welche wurzelconsonanten vorhergehen, oder
welche flexionscons. folgen, z. b. malen pingere) ma-
lest, malet; gebaren, gebarest, gebaret; meren, merest,
meret; vallen, vellest, vellet; vuoren, vuoret; muolen,
muolet; halen, halet etc.; wichtige ausnahmen ergibt
das praet. schw. conj. --

3) flexionsconsonanten. a) nicht die reinmittelh.
sprache, wohl aber die thüringische mundart (s. 387.)
schneidet häufig dem infinitiv sein n ab (niemahls der
I. pl. praes. oder praet., noch der III. pl. praet.) so daß
er bald auf tonloses, bald auf stummes e, zuweilen,
wenn auch letzteres abfällt, auf bloße wurzel ausgeht.
Das thüringische volk mag schon damahls, wie noch
heute [Reinwald idiot. vorr. p. X. Schmeller §. 586.916.],
alle inf. ohne n gesprocnen haben; dichter brauchen sie
nur im reim und neben der gewöhnlichen form auf
-en; außerhalb des reims letztere. Der wartb. krieg
und Heinr. v. meisen vaterunser hat viel solcher ge-
stumpften inf. vgl. M. S. 2, 13b bevil, 14a spil; misc.
1, 116. meine, 119. var, 121. beite, ste, 122. ste, be-
richte, sei, 124. sehe, 125. schalle, 126. ge, valle, 127.
breche, kiese, 128. schicke, 129. gewinne, erspar, man
(monere, welches also für mane steht, nicht wie die
s. 929. bemerkte gleiche form für manen) 135. sei, weiche,
136. wende und in vaterunser verschiedentlich: verste,
gesi, muo (vexare st. muon) geschei (evenire) zei (tra-
here) bleiche, bediute, triute, steine, lerne etc. immer
in beweisenden reimen. Unter den minnesängern: Kr. v.
hamle 1, 46b si, ge; Kristan v. lupin 2, 16b meine, 17a sei,
17b tuo, wende, gelinge, meine; Hetzbolt v. weißen se
2, 18a kaffe, geschaffe, bevel, gebueße, 18b twinge,

N n n 2

II. mittelhochd. conjugation.
für gitet, bitet, tritet (ſ. 410.), welches ich wiederum
auf die III. ſg. praeſ. ſtarker und erſter ſchwacher be-
ſchränke, mithin weder ſat für ſatet ſatiat) noch jët
(evellitis) f. jëtet, noch ſtrit (pugnaſtis) f ſtritet zugebe. —
Bei ausſtoßung des ſtummen e in der conjug. ſehen wir
drei triebfedern wirken, bald die natur der wurzel [ – 1 Zeichen fehlt], bald
die der flexionsconſonanz. bald ein nachgefühl urſprüng-
licher verſchiedenheit des flexionsvocals. Während
nach I, r, ohne rückſicht auf letzteren grund alle e aus-
fallen, nach d alle haften, erfährt nach andern conſ.
das e ſyncope, in ſo weit es auf einem alth. i, keine,
wenn es auf a, u, ê, î beruhte. Manches ſchwankende
werden künftige forſchungen näher beſtimmen. —

2) das unſtumme, tonloſe e darf nicht wegfallen,
gleichviel welche wurzelconſonanten vorhergehen, oder
welche flexionsconſ. folgen, z. b. mâlen pingere) mâ-
leſt, mâlet; gebâren, gebâreſt, gebâret; mêren, mêreſt,
mêret; vallen, velleſt, vellet; vuoren, vuoret; muolen,
muolet; hâlen, hâlet etc.; wichtige ausnahmen ergibt
das praet. ſchw. conj. —

3) flexionsconſonanten. α) nicht die reinmittelh.
ſprache, wohl aber die thüringiſche mundart (ſ. 387.)
ſchneidet häufig dem infinitiv ſein n ab (niemahls der
I. pl. praeſ. oder praet., noch der III. pl. praet.) ſo daß
er bald auf tonloſes, bald auf ſtummes e, zuweilen,
wenn auch letzteres abfällt, auf bloße wurzel ausgeht.
Das thüringiſche volk mag ſchon damahls, wie noch
heute [Reinwald idiot. vorr. p. X. Schmeller §. 586.916.],
alle inf. ohne n geſprocnen haben; dichter brauchen ſie
nur im reim und neben der gewöhnlichen form auf
-en; außerhalb des reims letztere. Der wartb. krieg
und Heinr. v. mîſen vaterunſer hat viel ſolcher ge-
ſtumpften inf. vgl. M. S. 2, 13b bevil, 14a ſpil; miſc.
1, 116. meine, 119. var, 121. beite, ſtê, 122. ſtê, be-
richte, ſî, 124. ſëhe, 125. ſchalle, 126. gê, valle, 127.
brëche, kieſe, 128. ſchicke, 129. gewinne, erſpar, man
(monere, welches alſo für mane ſteht, nicht wie die
ſ. 929. bemerkte gleiche form für manen) 135. ſî, wîche,
136. wende und in vaterunſer verſchiedentlich: verſtê,
geſì, muo (vexare ſt. muon) geſchî (evenire) zî (tra-
here) blîche, bediute, triute, ſteine, lërne etc. immer
in beweiſenden reimen. Unter den minneſängern: Kr. v.
hamle 1, 46b ſì, gê; Kriſtan v. lupin 2, 16b meine, 17a ſî,
17b tuo, wende, gelinge, meine; Hetzbolt v. wîƷen ſê
2, 18a kaffe, geſchaffe, bevël, gebueƷe, 18b twinge,

N n n 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0957" n="931"/><fw place="top" type="header">II. <hi rendition="#i">mittelhochd. conjugation.</hi></fw><lb/>
für gitet, bitet, tritet (&#x017F;. 410.), welches ich wiederum<lb/>
auf die III. &#x017F;g. prae&#x017F;. &#x017F;tarker und er&#x017F;ter &#x017F;chwacher be-<lb/>
&#x017F;chränke, mithin weder &#x017F;at für &#x017F;atet &#x017F;atiat) noch jët<lb/>
(evellitis) f. jëtet, noch &#x017F;trit (pugna&#x017F;tis) f &#x017F;tritet zugebe. &#x2014;<lb/>
Bei aus&#x017F;toßung des &#x017F;tummen e in der conjug. &#x017F;ehen wir<lb/>
drei triebfedern wirken, bald die natur der wurzel <gap unit="chars" quantity="1"/>, bald<lb/>
die der flexionscon&#x017F;onanz. bald ein nachgefühl ur&#x017F;prüng-<lb/>
licher ver&#x017F;chiedenheit des flexionsvocals. Während<lb/>
nach I, r, ohne rück&#x017F;icht auf letzteren grund alle e aus-<lb/>
fallen, nach d alle haften, erfährt nach andern con&#x017F;.<lb/>
das e &#x017F;yncope, in &#x017F;o weit es auf einem alth. i, keine,<lb/>
wenn es auf a, u, ê, î beruhte. Manches &#x017F;chwankende<lb/>
werden künftige for&#x017F;chungen näher be&#x017F;timmen. &#x2014;</p><lb/>
            <p>2) das <hi rendition="#i">un&#x017F;tumme, tonlo&#x017F;e e darf nicht wegfallen</hi>,<lb/>
gleichviel welche wurzelcon&#x017F;onanten vorhergehen, oder<lb/>
welche flexionscon&#x017F;. folgen, z. b. mâlen pingere) mâ-<lb/>
le&#x017F;t, mâlet; gebâren, gebâre&#x017F;t, gebâret; mêren, mêre&#x017F;t,<lb/>
mêret; vallen, velle&#x017F;t, vellet; vuoren, vuoret; muolen,<lb/>
muolet; hâlen, hâlet etc.; wichtige ausnahmen ergibt<lb/>
das praet. &#x017F;chw. conj. &#x2014;</p><lb/>
            <p>3) <hi rendition="#i">flexionscon&#x017F;onanten. &#x03B1;</hi>) nicht die reinmittelh.<lb/>
&#x017F;prache, wohl aber die <hi rendition="#i">thüringi&#x017F;che</hi> mundart (&#x017F;. 387.)<lb/><hi rendition="#i">&#x017F;chneidet</hi> häufig <hi rendition="#i">dem infinitiv &#x017F;ein n ab</hi> (niemahls der<lb/>
I. pl. prae&#x017F;. oder praet., noch der III. pl. praet.) &#x017F;o daß<lb/>
er bald auf tonlo&#x017F;es, bald auf &#x017F;tummes e, zuweilen,<lb/>
wenn auch letzteres abfällt, auf bloße wurzel ausgeht.<lb/>
Das thüringi&#x017F;che volk mag &#x017F;chon damahls, wie noch<lb/>
heute [Reinwald idiot. vorr. p. X. Schmeller §. 586.916.],<lb/>
alle inf. ohne n ge&#x017F;procnen haben; dichter brauchen &#x017F;ie<lb/>
nur im reim und neben der gewöhnlichen form auf<lb/><hi rendition="#i">-en;</hi> außerhalb des reims letztere. Der wartb. krieg<lb/>
und Heinr. v. mî&#x017F;en vaterun&#x017F;er hat viel &#x017F;olcher ge-<lb/>
&#x017F;tumpften inf. vgl. M. S. 2, 13<hi rendition="#sup">b</hi> bevil, 14<hi rendition="#sup">a</hi> &#x017F;pil; mi&#x017F;c.<lb/>
1, 116. meine, 119. var, 121. beite, &#x017F;tê, 122. &#x017F;tê, be-<lb/>
richte, &#x017F;î, 124. &#x017F;ëhe, 125. &#x017F;challe, 126. gê, valle, 127.<lb/>
brëche, kie&#x017F;e, 128. &#x017F;chicke, 129. gewinne, er&#x017F;par, man<lb/>
(monere, welches al&#x017F;o für mane &#x017F;teht, nicht wie die<lb/>
&#x017F;. 929. bemerkte gleiche form für manen) 135. &#x017F;î, wîche,<lb/>
136. wende und in vaterun&#x017F;er ver&#x017F;chiedentlich: ver&#x017F;tê,<lb/>
ge&#x017F;ì, muo (vexare &#x017F;t. muon) ge&#x017F;chî (evenire) zî (tra-<lb/>
here) blîche, bediute, triute, &#x017F;teine, lërne etc. immer<lb/>
in bewei&#x017F;enden reimen. Unter den minne&#x017F;ängern: Kr. v.<lb/>
hamle 1, 46<hi rendition="#sup">b</hi> &#x017F;ì, gê; Kri&#x017F;tan v. lupin 2, 16<hi rendition="#sup">b</hi> meine, 17<hi rendition="#sup">a</hi> &#x017F;î,<lb/>
17<hi rendition="#sup">b</hi> tuo, wende, gelinge, meine; Hetzbolt v. wî&#x01B7;en &#x017F;ê<lb/>
2, 18<hi rendition="#sup">a</hi> kaffe, ge&#x017F;chaffe, bevël, gebue&#x01B7;e, 18<hi rendition="#sup">b</hi> twinge,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n n 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[931/0957] II. mittelhochd. conjugation. für gitet, bitet, tritet (ſ. 410.), welches ich wiederum auf die III. ſg. praeſ. ſtarker und erſter ſchwacher be- ſchränke, mithin weder ſat für ſatet ſatiat) noch jët (evellitis) f. jëtet, noch ſtrit (pugnaſtis) f ſtritet zugebe. — Bei ausſtoßung des ſtummen e in der conjug. ſehen wir drei triebfedern wirken, bald die natur der wurzel _, bald die der flexionsconſonanz. bald ein nachgefühl urſprüng- licher verſchiedenheit des flexionsvocals. Während nach I, r, ohne rückſicht auf letzteren grund alle e aus- fallen, nach d alle haften, erfährt nach andern conſ. das e ſyncope, in ſo weit es auf einem alth. i, keine, wenn es auf a, u, ê, î beruhte. Manches ſchwankende werden künftige forſchungen näher beſtimmen. — 2) das unſtumme, tonloſe e darf nicht wegfallen, gleichviel welche wurzelconſonanten vorhergehen, oder welche flexionsconſ. folgen, z. b. mâlen pingere) mâ- leſt, mâlet; gebâren, gebâreſt, gebâret; mêren, mêreſt, mêret; vallen, velleſt, vellet; vuoren, vuoret; muolen, muolet; hâlen, hâlet etc.; wichtige ausnahmen ergibt das praet. ſchw. conj. — 3) flexionsconſonanten. α) nicht die reinmittelh. ſprache, wohl aber die thüringiſche mundart (ſ. 387.) ſchneidet häufig dem infinitiv ſein n ab (niemahls der I. pl. praeſ. oder praet., noch der III. pl. praet.) ſo daß er bald auf tonloſes, bald auf ſtummes e, zuweilen, wenn auch letzteres abfällt, auf bloße wurzel ausgeht. Das thüringiſche volk mag ſchon damahls, wie noch heute [Reinwald idiot. vorr. p. X. Schmeller §. 586.916.], alle inf. ohne n geſprocnen haben; dichter brauchen ſie nur im reim und neben der gewöhnlichen form auf -en; außerhalb des reims letztere. Der wartb. krieg und Heinr. v. mîſen vaterunſer hat viel ſolcher ge- ſtumpften inf. vgl. M. S. 2, 13b bevil, 14a ſpil; miſc. 1, 116. meine, 119. var, 121. beite, ſtê, 122. ſtê, be- richte, ſî, 124. ſëhe, 125. ſchalle, 126. gê, valle, 127. brëche, kieſe, 128. ſchicke, 129. gewinne, erſpar, man (monere, welches alſo für mane ſteht, nicht wie die ſ. 929. bemerkte gleiche form für manen) 135. ſî, wîche, 136. wende und in vaterunſer verſchiedentlich: verſtê, geſì, muo (vexare ſt. muon) geſchî (evenire) zî (tra- here) blîche, bediute, triute, ſteine, lërne etc. immer in beweiſenden reimen. Unter den minneſängern: Kr. v. hamle 1, 46b ſì, gê; Kriſtan v. lupin 2, 16b meine, 17a ſî, 17b tuo, wende, gelinge, meine; Hetzbolt v. wîƷen ſê 2, 18a kaffe, geſchaffe, bevël, gebueƷe, 18b twinge, N n n 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/957
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 931. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/957>, abgerufen am 22.11.2024.