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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. mittelhochd. conjugation.
pfende, 19a gesei, 19b twinge, bringe, getreibe; der dü-
rinc 20b ste. Dem sächs. und westphäl. dialect ist diese
apocope fremd, Veldeck oder Herb. zeigen keine spur. --
b) ausgebreiteter und schon mit einer alth. mundart
stimmend (s. 857. n° 4.) ist das vor dem t der 11. pl.
praes. und praet. ind. conj. und imp. eingefügte n, so
daß im praes. ind. II. III. pl. zus. fallend beide auf ent
flectieren, im praet. und conj. aber die II. ent von der
Ill. en absteht. Es scheint schweizerisch und tiefschwä-
bisch
, wie noch heutzutage (vgl. Schmeller §. 910. a.),
daher es entschieden bei Boner herrscht (sint, lant,
went, tuont, ratent etc. im reim 68, 29. sint: blint)
im Amur, bei Hadloub (194b lant, went, sehent) bei
Fleke (im reim Flore 28b abent: gabent; 55b verzigent:
ligent; lant: bestant); ausgebildetere dichter jener ge-
genden meiden das -nt und fügen sich reinmittelhoch-
deutschem -t, namentlich Rudolf und Hartm., doch
letztern beschleicht einmahl sein volksdialect in dem
reim vernement (percipiunt): nement (accipiatis) Iw. 16c,
wogegen sonst richtiger seit: zeit, tuot: gemuot Iw. 9b etc.
Schwäbische abschreiber trugen ihr -nt häufig ein,
z. b. M. S. 1, 4b raument, lant, welches der markg. v.
brandenburg sicher nicht gesprochen hat; in Walters
liedern müßen eine menge von sint, hant, sprechent,
tragent etc. in sit, habt, sprechet gebeßert werden, da
die reime für letztere beweisen (103a geruochet: ver-
fluochet; 115a 118a 120b seit: streit, zeit, neit; 125a maget:
traget), der copist setzte oft beiderlei form nebeneinan-
der, z. b. 118a seit und sint. Manche hss. zeigen -n für
nt, vgl. Trist. 14a. b. horen, kiesen, sehen (nirgends im
reim) Nib. 6420. 6608. lesen einige binden, reiten, an-
dere bindet, reitet; dieses -en scheint mehr der rhei-
nischen volkssprache eigen (Schmeller l. c.) vielleicht
war es Gotfr. geläufig, der es doch in keinen reim auf-
nimmt. -- g) etwas anderes ist, daß bei anlehnung des
pron
. wir das -n der I. pl. wegfällt, z. b. heiße-wir,
neme-wir etc. seltner bei angelehntem ir das -t der
II. pl. [mehr in der abhandlung der inclinationen]. --
d) II. sg. praes. und praet. conj. behält zuweilen das
ältere -s statt -st, vgl. reites: streites Parc. 37b, zelles, velles
misc. 1, 128; seltner das praes. ind. und praet. schwa-
cher form, vgl. gans, guns in der zweiten anomalie;
lides (passus es): vrides meisterg. 31a; bei Winli 2, 23a
nehme ich lieber den ungenauen reim leides: schei-
dest an, als scheides. Herb. reimt mehrmahls has, las

II. mittelhochd. conjugation.
pfende, 19a geſî, 19b twinge, bringe, getrîbe; der dü-
rinc 20b ſtê. Dem ſächſ. und weſtphäl. dialect iſt dieſe
apocope fremd, Veldeck oder Herb. zeigen keine ſpur. —
β) ausgebreiteter und ſchon mit einer alth. mundart
ſtimmend (ſ. 857. n° 4.) iſt das vor dem t der 11. pl.
praeſ. und praet. ind. conj. und imp. eingefügte n, ſo
daß im praeſ. ind. II. III. pl. zuſ. fallend beide auf ent
flectieren, im praet. und conj. aber die II. ent von der
Ill. en abſteht. Es ſcheint ſchweizeriſch und tiefſchwä-
biſch
, wie noch heutzutage (vgl. Schmeller §. 910. α.),
daher es entſchieden bei Boner herrſcht (ſint, lânt,
went, tuont, râtent etc. im reim 68, 29. ſint: blint)
im Amur, bei Hadloub (194b lânt, went, ſëhent) bei
Fleke (im reim Flore 28b âbent: gâbent; 55b verzigent:
ligent; lânt: beſtânt); ausgebildetere dichter jener ge-
genden meiden das -nt und fügen ſich reinmittelhoch-
deutſchem -t, namentlich Rudolf und Hartm., doch
letztern beſchleicht einmahl ſein volksdialect in dem
reim vernëment (percipiunt): nëment (accipiatis) Iw. 16c,
wogegen ſonſt richtiger ſît: zît, tuot: gemuot Iw. 9b etc.
Schwäbiſche abſchreiber trugen ihr -nt häufig ein,
z. b. M. S. 1, 4b rûment, lânt, welches der markg. v.
brandenburg ſicher nicht geſprochen hat; in Walters
liedern müßen eine menge von ſint, hânt, ſprëchent,
tragent etc. in ſìt, habt, ſprëchet gebeßert werden, da
die reime für letztere beweiſen (103a geruochet: ver-
fluochet; 115a 118a 120b ſît: ſtrît, zît, nît; 125a maget:
traget), der copiſt ſetzte oft beiderlei form nebeneinan-
der, z. b. 118a ſît und ſint. Manche hſſ. zeigen -n für
nt, vgl. Triſt. 14a. b. hôren, kieſen, ſëhen (nirgends im
reim) Nib. 6420. 6608. leſen einige binden, rîten, an-
dere bindet, rîtet; dieſes -en ſcheint mehr der rhei-
niſchen volksſprache eigen (Schmeller l. c.) vielleicht
war es Gotfr. geläufig, der es doch in keinen reim auf-
nimmt. — γ) etwas anderes iſt, daß bei anlehnung des
pron
. wir das -n der I. pl. wegfällt, z. b. heiƷe-wir,
nëme-wir etc. ſeltner bei angelehntem ir das -t der
II. pl. [mehr in der abhandlung der inclinationen]. —
δ) II. ſg. praeſ. und praet. conj. behält zuweilen das
ältere -s ſtatt -ſt, vgl. rîtes: ſtrîtes Parc. 37b, zelles, velles
miſc. 1, 128; ſeltner das praeſ. ind. und praet. ſchwa-
cher form, vgl. gans, guns in der zweiten anomalie;
lides (paſſus es): vrides meiſterg. 31a; bei Winli 2, 23a
nehme ich lieber den ungenauen reim leides: ſchei-
deſt an, als ſcheides. Herb. reimt mehrmahls hâs, lâs

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[932/0958] II. mittelhochd. conjugation. pfende, 19a geſî, 19b twinge, bringe, getrîbe; der dü- rinc 20b ſtê. Dem ſächſ. und weſtphäl. dialect iſt dieſe apocope fremd, Veldeck oder Herb. zeigen keine ſpur. — β) ausgebreiteter und ſchon mit einer alth. mundart ſtimmend (ſ. 857. n° 4.) iſt das vor dem t der 11. pl. praeſ. und praet. ind. conj. und imp. eingefügte n, ſo daß im praeſ. ind. II. III. pl. zuſ. fallend beide auf ent flectieren, im praet. und conj. aber die II. ent von der Ill. en abſteht. Es ſcheint ſchweizeriſch und tiefſchwä- biſch, wie noch heutzutage (vgl. Schmeller §. 910. α.), daher es entſchieden bei Boner herrſcht (ſint, lânt, went, tuont, râtent etc. im reim 68, 29. ſint: blint) im Amur, bei Hadloub (194b lânt, went, ſëhent) bei Fleke (im reim Flore 28b âbent: gâbent; 55b verzigent: ligent; lânt: beſtânt); ausgebildetere dichter jener ge- genden meiden das -nt und fügen ſich reinmittelhoch- deutſchem -t, namentlich Rudolf und Hartm., doch letztern beſchleicht einmahl ſein volksdialect in dem reim vernëment (percipiunt): nëment (accipiatis) Iw. 16c, wogegen ſonſt richtiger ſît: zît, tuot: gemuot Iw. 9b etc. Schwäbiſche abſchreiber trugen ihr -nt häufig ein, z. b. M. S. 1, 4b rûment, lânt, welches der markg. v. brandenburg ſicher nicht geſprochen hat; in Walters liedern müßen eine menge von ſint, hânt, ſprëchent, tragent etc. in ſìt, habt, ſprëchet gebeßert werden, da die reime für letztere beweiſen (103a geruochet: ver- fluochet; 115a 118a 120b ſît: ſtrît, zît, nît; 125a maget: traget), der copiſt ſetzte oft beiderlei form nebeneinan- der, z. b. 118a ſît und ſint. Manche hſſ. zeigen -n für nt, vgl. Triſt. 14a. b. hôren, kieſen, ſëhen (nirgends im reim) Nib. 6420. 6608. leſen einige binden, rîten, an- dere bindet, rîtet; dieſes -en ſcheint mehr der rhei- niſchen volksſprache eigen (Schmeller l. c.) vielleicht war es Gotfr. geläufig, der es doch in keinen reim auf- nimmt. — γ) etwas anderes iſt, daß bei anlehnung des pron. wir das -n der I. pl. wegfällt, z. b. heiƷe-wir, nëme-wir etc. ſeltner bei angelehntem ir das -t der II. pl. [mehr in der abhandlung der inclinationen]. — δ) II. ſg. praeſ. und praet. conj. behält zuweilen das ältere -s ſtatt -ſt, vgl. rîtes: ſtrîtes Parc. 37b, zelles, velles miſc. 1, 128; ſeltner das praeſ. ind. und praet. ſchwa- cher form, vgl. gans, guns in der zweiten anomalie; lides (paſſus es): vrides meiſterg. 31a; bei Winli 2, 23a nehme ich lieber den ungenauen reim leides: ſchei- deſt an, als ſcheides. Herb. reimt mehrmahls hâs, lâs

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/958>, abgerufen am 19.05.2024.