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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
(merkwürdig das kurze o in gejagot:got fragm. 21a).
Seltner ei im praet conj.; ein beleg aus Flore 15c ist
vorhin ang führt worden, erein:lebetein; (lonist st. lo-
nost:kron'ist M. S. 1, 53b klingt) hierher gehören aber
(nach Lachmanns treffender wahrnehmung, ausw.
XVIII.) gunde:bunde:kunde (Ben. 67.). ein älteres
gundi, bundi bedeutend. Dergl stumpfe reime haften
länger in der volkspoesie; so in den Nib. uote:guote
(6049. 4584.) uoten:guoten (53.) [alth. uotaun:guo-
taun] und hänfiger hagene:jagene:degene:gademe
(1337. 3733. 6053. 6917. 7173. 7885. 8525. 9357. etc.)
Nur tonlos finde ich diese silben nicht, gerade tiefto-
nig; spuren einer frühern, der sprache ausgegangenen
lebendigkeit der endungen. Der betonte gen. pl. hei-
ligon reimt noch auf lon Maria 54. -- Diese beispiele
mögen hier hinreichen. Allmählig schwindet der tief-
ton und dann verwandelt sich der laut in ein farblo-
ses e. höchstens bleibt i. Der reim zieht aus der en-
dung in die wurzel und jene tieftonigen wörter von
drei silben, die vorher klingend reimen, taugen nun-
mehr nur zu reichen reimen oder zu gar keinen; jene
tieftonigen stumpfen werden zu gewöhnlichen klingen-
den. Statt jenes suochunde:wunde reimt nunmehr
suochende:fluochende; st. jenes tausunt:stunt nunmehr
tausent:hausent (troj 127b); st. heiligen:ligen, cristaene:
waene. menigein:sein, üppeic:weic, minnist:list, ger-
nost:trost, samnot:segenot:not, verserot:rot, nieman:
dan etc. späterhin heiligen:meiligen, cristen:fristen,
menige:senige, üppic:lüppic, frühtic:zühtic, begin-
nest:minnest (Georg 52b) gernest:ernest, samnet:ver-
damnet, gesegenet:beregenet, verseret:keret, irdisch:
wirdisch schmiede 1003, früher wohl irdisc:fisc) nie-
men:riemen (Parc. 9b M. S. 2, 80a). Jede einzelne hat
hier ihre besondere geschichte, nur die analogie des
gangs ist ihnen gemeinschaftlich. Einiges zeigt sich
auch mundartisch dort früher, hier später, z. b. der
ältere Hartmann reimt trehten:vehten; der jüngere
Conrad alterthumlicher trehtein:mein. Jenen volks-
mäßigen reim bunde:kunde etc. mieden alle künstli-
chen meister, es galt ihnen nur ein klingendes bunde:
kunde; während ihre werke schon mehr gelesen wur-
den und der hochton der wurzel die nebentöne
schwächte, muste in den ausschließlich lebendigem
gesange bestimmten volksgedichten das aushalten der
melodie dem stumpfen reime günstig seyn. Die ge-
I. mittelhochdeutſche vocale.
(merkwürdig das kurze o in gejagòt:got fragm. 21a).
Seltner î im praet conj.; ein beleg aus Flore 15c iſt
vorhin ang führt worden, êrîn:lëbetîn; (lôniſt ſt. lô-
nôſt:krôn’iſt M. S. 1, 53b klingt) hierher gehören aber
(nach Lachmanns treffender wahrnehmung, ausw.
XVIII.) gundè:bundè:kundè (Ben. 67.). ein älteres
gundì, bundì bedeutend. Dergl ſtumpfe reime haften
länger in der volkspoeſie; ſo in den Nib. uotè:guotè
(6049. 4584.) uotèn:guotèn (53.) [alth. uotûn:guo-
tûn] und hänfiger hagenè:jagenè:dëgenè:gademè
(1337. 3733. 6053. 6917. 7173. 7885. 8525. 9357. etc.)
Nur tonlos finde ich dieſe ſilben nicht, gerade tiefto-
nig; ſpuren einer frühern, der ſprache ausgegangenen
lebendigkeit der endungen. Der betonte gen. pl. hei-
ligôn reimt noch auf lôn Maria 54. — Dieſe beiſpiele
mögen hier hinreichen. Allmählig ſchwindet der tief-
ton und dann verwandelt ſich der laut in ein farblo-
ſes e. höchſtens bleibt i. Der reim zieht aus der en-
dung in die wurzel und jene tieftonigen wörter von
drei ſilben, die vorher klingend reimen, taugen nun-
mehr nur zu reichen reimen oder zu gar keinen; jene
tieftonigen ſtumpfen werden zu gewöhnlichen klingen-
den. Statt jenes ſuochùnde:wunde reimt nunmehr
ſuochende:fluochende; ſt. jenes tûſùnt:ſtunt nunmehr
tûſent:hûſent (troj 127b); ſt. heilìgen:ligen, criſtæne:
wæne. menigîn:ſîn, üppîc:wîc, minnìſt:liſt, gër-
nôſt:trôſt, ſamnôt:ſëgenôt:nôt, verſêrôt:rôt, niemàn:
dan etc. ſpäterhin heiligen:meiligen, criſten:friſten,
menige:ſenige, üppic:lüppic, frühtic:zühtic, begin-
neſt:minneſt (Georg 52b) gërneſt:ërneſt, ſamnet:ver-
damnet, geſëgenet:berëgenet, verſêret:kêret, irdiſch:
wirdiſch ſchmiede 1003, früher wohl irdìſc:fiſc) nie-
men:riemen (Parc. 9b M. S. 2, 80a). Jede einzelne hat
hier ihre beſondere geſchichte, nur die analogie des
gangs iſt ihnen gemeinſchaftlich. Einiges zeigt ſich
auch mundartiſch dort früher, hier ſpäter, z. b. der
ältere Hartmann reimt trëhten:vëhten; der jüngere
Conrad alterthumlicher trëhtîn:mîn. Jenen volks-
mäßigen reim bundè:kundè etc. mieden alle künſtli-
chen meiſter, es galt ihnen nur ein klingendes bunde:
kunde; während ihre werke ſchon mehr geleſen wur-
den und der hochton der wurzel die nebentöne
ſchwächte, muſte in den ausſchließlich lebendigem
geſange beſtimmten volksgedichten das aushalten der
melodie dem ſtumpfen reime günſtig ſeyn. Die ge-
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[370/0396] I. mittelhochdeutſche vocale. (merkwürdig das kurze o in gejagòt:got fragm. 21a). Seltner î im praet conj.; ein beleg aus Flore 15c iſt vorhin ang führt worden, êrîn:lëbetîn; (lôniſt ſt. lô- nôſt:krôn’iſt M. S. 1, 53b klingt) hierher gehören aber (nach Lachmanns treffender wahrnehmung, ausw. XVIII.) gundè:bundè:kundè (Ben. 67.). ein älteres gundì, bundì bedeutend. Dergl ſtumpfe reime haften länger in der volkspoeſie; ſo in den Nib. uotè:guotè (6049. 4584.) uotèn:guotèn (53.) [alth. uotûn:guo- tûn] und hänfiger hagenè:jagenè:dëgenè:gademè (1337. 3733. 6053. 6917. 7173. 7885. 8525. 9357. etc.) Nur tonlos finde ich dieſe ſilben nicht, gerade tiefto- nig; ſpuren einer frühern, der ſprache ausgegangenen lebendigkeit der endungen. Der betonte gen. pl. hei- ligôn reimt noch auf lôn Maria 54. — Dieſe beiſpiele mögen hier hinreichen. Allmählig ſchwindet der tief- ton und dann verwandelt ſich der laut in ein farblo- ſes e. höchſtens bleibt i. Der reim zieht aus der en- dung in die wurzel und jene tieftonigen wörter von drei ſilben, die vorher klingend reimen, taugen nun- mehr nur zu reichen reimen oder zu gar keinen; jene tieftonigen ſtumpfen werden zu gewöhnlichen klingen- den. Statt jenes ſuochùnde:wunde reimt nunmehr ſuochende:fluochende; ſt. jenes tûſùnt:ſtunt nunmehr tûſent:hûſent (troj 127b); ſt. heilìgen:ligen, criſtæne: wæne. menigîn:ſîn, üppîc:wîc, minnìſt:liſt, gër- nôſt:trôſt, ſamnôt:ſëgenôt:nôt, verſêrôt:rôt, niemàn: dan etc. ſpäterhin heiligen:meiligen, criſten:friſten, menige:ſenige, üppic:lüppic, frühtic:zühtic, begin- neſt:minneſt (Georg 52b) gërneſt:ërneſt, ſamnet:ver- damnet, geſëgenet:berëgenet, verſêret:kêret, irdiſch: wirdiſch ſchmiede 1003, früher wohl irdìſc:fiſc) nie- men:riemen (Parc. 9b M. S. 2, 80a). Jede einzelne hat hier ihre beſondere geſchichte, nur die analogie des gangs iſt ihnen gemeinſchaftlich. Einiges zeigt ſich auch mundartiſch dort früher, hier ſpäter, z. b. der ältere Hartmann reimt trëhten:vëhten; der jüngere Conrad alterthumlicher trëhtîn:mîn. Jenen volks- mäßigen reim bundè:kundè etc. mieden alle künſtli- chen meiſter, es galt ihnen nur ein klingendes bunde: kunde; während ihre werke ſchon mehr geleſen wur- den und der hochton der wurzel die nebentöne ſchwächte, muſte in den ausſchließlich lebendigem geſange beſtimmten volksgedichten das aushalten der melodie dem ſtumpfen reime günſtig ſeyn. Die ge-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/396>, abgerufen am 20.05.2024.