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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
anders hin. -- In fremden wörtern kann ou unbeschränkt
vor allen cons. stehn, also auch vor lingualen, ist jedoch
überhaupt selten, vgl. aßagouc, reichoude, herßeloude
(im Tit., im Parc. herßeloide?) bischof (aus piscouf muste
ich oben s. 94. ein daneben gültiges piscof folgern) hat
jetzt kurzes o und reimt auf hof (klage 145a Nib. 2645.
6045. Georg 34b). Selbst das deutsche ouch läßt sich
zuweilen in och kürzen (:doch, noch, Parc. 1a 139c)
[vgl. Lachm. rec. der Nib. 185.]

(OEU. OEI.) öu, öi, umlaut des vorhergehenden ou
und nicht triphthongisch; genau genommen sollte man
öü schreiben, wie im nord. ey (eü) den umlaut des au
bezeichnet; manche hss. gebrauchen öi, was an das
alth. oi statt ou (oben s. 109. note) und die vielen ver-
wechselungen des u mit dem i mahnt. Noch andere,
in denen eu steht, setzen ein au st. ou voraus und soll-
ten ebenfalls eü haben, um es von eu (= iu) zu un-
terscheiden. Der gemeinen aussprache sind diese spal-
tungen doch zu fein; ich werde mich überall der schrei-
bung öu bedienen. Beispiele: göu (pagus) höu (foenum)
st. göuwe, höuwe (goth gavi, havi) söugen (lactare)
töugen (mysterium, für töugene, alth. touganei) *), toup,
betöuben; loup, pl. löuber, erzöugen, öugen (demon-
strare) fröuwen (gaudere) stöuwen (obsistere) ströuwen
(spargere) dröuwen (minari) töuwen (mori) etc. **). Zu
merken 1) daß zuweilen der umlaut ausbleibt, vgl. er-
zougen (:lougen, ougen, tougen. Ben. 147.) 2) daß
wie au und ou sich auch zuweilen die umlaute iu und
öu vermengen, vgl. erziugen und erzöugen (beide von

*) Gewöhnlicher das gleichbedeutende neutr. tougen; am um-
laut erkennt man mehrere fem. z. b. töuse (alth. toufi)
neben dem masc. touf.
**) Ob sich in einzelnen wörtern der alte organische inlaut
ewe (oben s. 142.) erhielt, könnte die beachtung stumpfer
und klingender reime lehren. Iw. 40c 44a 46a 49a. b 50b,
klage 134c, wären die klingenden formen löuwe, dröuwe,
löuwen, gedröuwen, vröuwen etc. verwerflich. Der
stumpse reim fordert also entw. lewe, lewen (ftumpf wie
sehe, sehen) und nicht leuwe, leuwen, lewe, lewen) oder
die contraction leu, leun, dreu, dreun (so in jenen stel-
len Iw. giss. und Barl. 100.) und gleichgut reimend löu,
löun, dröun. Für dröu, fröu unbedenklich, (vgl. Wilh.
2, 27a) aber löu findet sich in alten hss. stets leu, lewe
und ich ziehe diese form vor, dasselbe gilt von kewe
(faux) welches M. S. 2, 166b offenbar stumpf reimt, ob-
wohi fehlerhaft auf ewen (st. ewen).

I. mittelhochdeutſche vocale.
anders hin. — In fremden wörtern kann ou unbeſchränkt
vor allen conſ. ſtehn, alſo auch vor lingualen, iſt jedoch
überhaupt ſelten, vgl. âƷagouc, rîchoude, hërƷeloude
(im Tit., im Parc. hërƷeloide?) biſchof (aus piſcouf muſte
ich oben ſ. 94. ein daneben gültiges piſcôf folgern) hat
jetzt kurzes o und reimt auf hof (klage 145a Nib. 2645.
6045. Georg 34b). Selbſt das deutſche ouch läßt ſich
zuweilen in och kürzen (:doch, noch, Parc. 1a 139c)
[vgl. Lachm. rec. der Nib. 185.]

(OEU. OEI.) öu, öi, umlaut des vorhergehenden ou
und nicht triphthongiſch; genau genommen ſollte man
öü ſchreiben, wie im nord. ey (eü) den umlaut des au
bezeichnet; manche hſſ. gebrauchen öi, was an das
alth. oi ſtatt ou (oben ſ. 109. note) und die vielen ver-
wechſelungen des u mit dem i mahnt. Noch andere,
in denen eu ſteht, ſetzen ein au ſt. ou voraus und ſoll-
ten ebenfalls eü haben, um es von ëu (= iu) zu un-
terſcheiden. Der gemeinen ausſprache ſind dieſe ſpal-
tungen doch zu fein; ich werde mich überall der ſchrei-
bung öu bedienen. Beiſpiele: göu (pagus) höu (foenum)
ſt. göuwe, höuwe (goth gavi, havi) ſöugen (lactare)
töugen (myſterium, für töugene, alth. touganî) *), toup,
betöuben; loup, pl. löuber, erzöugen, öugen (demon-
ſtrare) fröuwen (gaudere) ſtöuwen (obſiſtere) ſtröuwen
(ſpargere) dröuwen (minari) töuwen (mori) etc. **). Zu
merken 1) daß zuweilen der umlaut ausbleibt, vgl. er-
zougen (:lougen, ougen, tougen. Ben. 147.) 2) daß
wie û und ou ſich auch zuweilen die umlaute iu und
öu vermengen, vgl. erziugen und erzöugen (beide von

*) Gewöhnlicher das gleichbedeutende neutr. tougen; am um-
laut erkennt man mehrere fem. z. b. töuſe (alth. toufì)
neben dem maſc. touf.
**) Ob ſich in einzelnen wörtern der alte organiſche inlaut
ewe (oben ſ. 142.) erhielt, könnte die beachtung ſtumpfer
und klingender reime lehren. Iw. 40c 44a 46a 49a. b 50b,
klage 134c, wären die klingenden formen löuwe, dröuwe,
löuwen, gedröuwen, vröuwen etc. verwerflich. Der
ſtumpſe reim fordert alſo entw. lewe, lewen (ftumpf wie
ſëhe, ſëhen) und nicht leuwe, leuwen, lêwe, lêwen) oder
die contraction leu, leun, dreu, dreun (ſo in jenen ſtel-
len Iw. giſſ. und Barl. 100.) und gleichgut reimend löu,
löun, dröun. Für dröu, fröu unbedenklich, (vgl. Wilh.
2, 27a) aber löu findet ſich in alten hſſ. ſtets leu, lewe
und ich ziehe dieſe form vor, dasſelbe gilt von kewe
(faux) welches M. S. 2, 166b offenbar ſtumpf reimt, ob-
wohì fehlerhaft auf ewen (ſt. êwen).
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[357/0383] I. mittelhochdeutſche vocale. anders hin. — In fremden wörtern kann ou unbeſchränkt vor allen conſ. ſtehn, alſo auch vor lingualen, iſt jedoch überhaupt ſelten, vgl. âƷagouc, rîchoude, hërƷeloude (im Tit., im Parc. hërƷeloide?) biſchof (aus piſcouf muſte ich oben ſ. 94. ein daneben gültiges piſcôf folgern) hat jetzt kurzes o und reimt auf hof (klage 145a Nib. 2645. 6045. Georg 34b). Selbſt das deutſche ouch läßt ſich zuweilen in och kürzen (:doch, noch, Parc. 1a 139c) [vgl. Lachm. rec. der Nib. 185.] (OEU. OEI.) öu, öi, umlaut des vorhergehenden ou und nicht triphthongiſch; genau genommen ſollte man öü ſchreiben, wie im nord. ey (eü) den umlaut des au bezeichnet; manche hſſ. gebrauchen öi, was an das alth. oi ſtatt ou (oben ſ. 109. note) und die vielen ver- wechſelungen des u mit dem i mahnt. Noch andere, in denen eu ſteht, ſetzen ein au ſt. ou voraus und ſoll- ten ebenfalls eü haben, um es von ëu (= iu) zu un- terſcheiden. Der gemeinen ausſprache ſind dieſe ſpal- tungen doch zu fein; ich werde mich überall der ſchrei- bung öu bedienen. Beiſpiele: göu (pagus) höu (foenum) ſt. göuwe, höuwe (goth gavi, havi) ſöugen (lactare) töugen (myſterium, für töugene, alth. touganî) *), toup, betöuben; loup, pl. löuber, erzöugen, öugen (demon- ſtrare) fröuwen (gaudere) ſtöuwen (obſiſtere) ſtröuwen (ſpargere) dröuwen (minari) töuwen (mori) etc. **). Zu merken 1) daß zuweilen der umlaut ausbleibt, vgl. er- zougen (:lougen, ougen, tougen. Ben. 147.) 2) daß wie û und ou ſich auch zuweilen die umlaute iu und öu vermengen, vgl. erziugen und erzöugen (beide von *) Gewöhnlicher das gleichbedeutende neutr. tougen; am um- laut erkennt man mehrere fem. z. b. töuſe (alth. toufì) neben dem maſc. touf. **) Ob ſich in einzelnen wörtern der alte organiſche inlaut ewe (oben ſ. 142.) erhielt, könnte die beachtung ſtumpfer und klingender reime lehren. Iw. 40c 44a 46a 49a. b 50b, klage 134c, wären die klingenden formen löuwe, dröuwe, löuwen, gedröuwen, vröuwen etc. verwerflich. Der ſtumpſe reim fordert alſo entw. lewe, lewen (ftumpf wie ſëhe, ſëhen) und nicht leuwe, leuwen, lêwe, lêwen) oder die contraction leu, leun, dreu, dreun (ſo in jenen ſtel- len Iw. giſſ. und Barl. 100.) und gleichgut reimend löu, löun, dröun. Für dröu, fröu unbedenklich, (vgl. Wilh. 2, 27a) aber löu findet ſich in alten hſſ. ſtets leu, lewe und ich ziehe dieſe form vor, dasſelbe gilt von kewe (faux) welches M. S. 2, 166b offenbar ſtumpf reimt, ob- wohì fehlerhaft auf ewen (ſt. êwen).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/383>, abgerufen am 22.11.2024.