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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
erzeigen verschieden, vorhin s. 350.) und urliuge aus
urlöuge, urlauge entspringend (s. 353.). Beiderlei um-
laute iu und öu (nord. y und ey) laufen auch im an-
gels. y zusammen.

(UA) ua fehlt, daher es auch in fremden wörtern
nie diphthongisch. sondern zweisilbig zu nehmen vgl.
raual:kurnewal; rauale:male (Trist. 37b 38b).

(UO) uo, in den hss. gewöhnlich (mit übergeschrieb-
nem o) u, dem ich doch die alth. schreibung vorziehe,
weil man den raum über den buchstaben beßer zu an-
dern zwecken verwendet; aus gleichem grunde setze
ich ie, iu, oe, ue, ou, wo die hss. meistens auch
überschreiben; ae billigt ein jeder. Das überschreiben
ist dem uo zumahl schädlich geworden, da es alte, gute
hss. mit dem übergeschriebnen ou verwechseln (vgl. im
alten Tit. mouter, mouse etc. f. muoter, muose) ein uner-
träglicher misbrauch, denn uo und ou berühren sich im
hochd. nirgends, nicht einmahl in reimausnahmen (geruo-
wen, zerbluowen Nib. 3589. falsche lesart st. gerouwen,
zerblouwen, desgl. truowen Nib. 232. 640. f. trouwen). --
Der diphth. uo entspricht dem alth. außer daß er in ue um-
lautet Beispiele ergibt zumahl der ablaut, hier genügen fol-
gende wenige: fluoch (maledictio) tuoch (pannus) suoche
(inquisitio) bruoder (frater) ruoder (remus) luoder (esca
piscator) fuoder (vehes) muoder (vestis) ruofen (clamare)
wuofen (ejulare) kuofe (dolium) gefuoge (apte) luogen
(aspicere) luoc (spelunca) kruoc (urceus) erbe-phuoc
(? Trist. 122a) pfluoc (aratrum) pfuol (palus) knole (fri-
gide) muome (amita) huon (gallina) uop (mos) muor
(palus) ruor (Frisch 2, 135b) snuor (nurus) buost? buoste?
(lorum) huoste (tussis) buosen (sinus) gruose (semen)
muoter (mater) fuoter (pabulum) fruot (sapiens) luot
(? Parc. 161c Georg 15a) gruoß (salutatio) ruoß (fuligo)
etc. Die auslaute sind: zuo (praep) fruo (mane) tuo
(faciat); zuweilen auch: kuo (vacca) nuo (jam) duo (tu)
duo (tum) druo (? fructus, folliculi frugum Georg 41b)
ruo (quies Wigam. 5a). -- Bemerkungen 1) von berüh-
rung des uo mit o und au oben bei letztern. 2) Wolf-
ram reimt stuont, stuonden:kunt, funt, wunt, funden,
gebunden (Parc. 44a 57a 85b 93a 101a 108a 111c 114b
143c Wilh. 2, 40b 88a 94a) tuont:kunt (Wilh. 2, 43b);
nie dergleichen bei Hartmann, Gotfried, Conrad etc.
selbst andere, sonst minder streng gereimte gedichte mei-
den es, namentlich Nibel. Georg und Wigal; alle bin-

I. mittelhochdeutſche vocale.
erzeigen verſchieden, vorhin ſ. 350.) und urliuge aus
urlöuge, urlauge entſpringend (ſ. 353.). Beiderlei um-
laute iu und öu (nord. ŷ und ey) laufen auch im an-
gelſ. ŷ zuſammen.

(UA) ua fehlt, daher es auch in fremden wörtern
nie diphthongiſch. ſondern zweiſilbig zu nehmen vgl.
rûâl:kurnewâl; rûâle:mâle (Triſt. 37b 38b).

(UO) uo, in den hſſ. gewöhnlich (mit übergeſchrieb-
nem o) ů, dem ich doch die alth. ſchreibung vorziehe,
weil man den raum über den buchſtaben beßer zu an-
dern zwecken verwendet; aus gleichem grunde ſetze
ich ie, iu, œ, ue, ou, wo die hſſ. meiſtens auch
überſchreiben; æ billigt ein jeder. Das überſchreiben
iſt dem uo zumahl ſchädlich geworden, da es alte, gute
hſſ. mit dem übergeſchriebnen ou verwechſeln (vgl. im
alten Tit. mouter, mouſe etc. f. muoter, muoſe) ein uner-
träglicher misbrauch, denn uo und ou berühren ſich im
hochd. nirgends, nicht einmahl in reimausnahmen (geruo-
wen, zerbluowen Nib. 3589. falſche lesart ſt. gerouwen,
zerblouwen, desgl. truowen Nib. 232. 640. f. trouwen). —
Der diphth. uo entſpricht dem alth. außer daß er in ue um-
lautet Beiſpiele ergibt zumahl der ablaut, hier genügen fol-
gende wenige: fluoch (maledictio) tuoch (pannus) ſuoche
(inquiſitio) bruoder (frater) ruoder (remus) luoder (eſca
piſcator) fuoder (vehes) muoder (veſtis) ruofen (clamare)
wuofen (ejulare) kuofe (dolium) gefuoge (apte) luogen
(aſpicere) luoc (ſpelunca) kruoc (urceus) erbe-phuoc
(? Triſt. 122a) pfluoc (aratrum) pfuol (palus) knole (fri-
gide) muome (amita) huon (gallina) uop (mos) muor
(palus) ruor (Friſch 2, 135b) ſnuor (nurus) buoſt? buoſte?
(lorum) huoſte (tuſſis) buoſen (ſinus) gruoſe (ſemen)
muoter (mater) fuoter (pabulum) fruot (ſapiens) luot
(? Parc. 161c Georg 15a) gruoƷ (ſalutatio) ruoƷ (fuligo)
etc. Die auslaute ſind: zuo (praep) fruo (mane) tuo
(faciat); zuweilen auch: kuo (vacca) nuo (jam) duo (tu)
duo (tum) druo (? fructus, folliculi frugum Georg 41b)
ruo (quies Wigam. 5a). — Bemerkungen 1) von berüh-
rung des uo mit ô und û oben bei letztern. 2) Wolf-
ram reimt ſtuont, ſtuonden:kunt, funt, wunt, funden,
gebunden (Parc. 44a 57a 85b 93a 101a 108a 111c 114b
143c Wilh. 2, 40b 88a 94a) tuont:kunt (Wilh. 2, 43b);
nie dergleichen bei Hartmann, Gotfried, Conrad etc.
ſelbſt andere, ſonſt minder ſtreng gereimte gedichte mei-
den es, namentlich Nibel. Georg und Wigal; alle bin-

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[358/0384] I. mittelhochdeutſche vocale. erzeigen verſchieden, vorhin ſ. 350.) und urliuge aus urlöuge, urlauge entſpringend (ſ. 353.). Beiderlei um- laute iu und öu (nord. ŷ und ey) laufen auch im an- gelſ. ŷ zuſammen. (UA) ua fehlt, daher es auch in fremden wörtern nie diphthongiſch. ſondern zweiſilbig zu nehmen vgl. rûâl:kurnewâl; rûâle:mâle (Triſt. 37b 38b). (UO) uo, in den hſſ. gewöhnlich (mit übergeſchrieb- nem o) ů, dem ich doch die alth. ſchreibung vorziehe, weil man den raum über den buchſtaben beßer zu an- dern zwecken verwendet; aus gleichem grunde ſetze ich ie, iu, œ, ue, ou, wo die hſſ. meiſtens auch überſchreiben; æ billigt ein jeder. Das überſchreiben iſt dem uo zumahl ſchädlich geworden, da es alte, gute hſſ. mit dem übergeſchriebnen ou verwechſeln (vgl. im alten Tit. mouter, mouſe etc. f. muoter, muoſe) ein uner- träglicher misbrauch, denn uo und ou berühren ſich im hochd. nirgends, nicht einmahl in reimausnahmen (geruo- wen, zerbluowen Nib. 3589. falſche lesart ſt. gerouwen, zerblouwen, desgl. truowen Nib. 232. 640. f. trouwen). — Der diphth. uo entſpricht dem alth. außer daß er in ue um- lautet Beiſpiele ergibt zumahl der ablaut, hier genügen fol- gende wenige: fluoch (maledictio) tuoch (pannus) ſuoche (inquiſitio) bruoder (frater) ruoder (remus) luoder (eſca piſcator) fuoder (vehes) muoder (veſtis) ruofen (clamare) wuofen (ejulare) kuofe (dolium) gefuoge (apte) luogen (aſpicere) luoc (ſpelunca) kruoc (urceus) erbe-phuoc (? Triſt. 122a) pfluoc (aratrum) pfuol (palus) knole (fri- gide) muome (amita) huon (gallina) uop (mos) muor (palus) ruor (Friſch 2, 135b) ſnuor (nurus) buoſt? buoſte? (lorum) huoſte (tuſſis) buoſen (ſinus) gruoſe (ſemen) muoter (mater) fuoter (pabulum) fruot (ſapiens) luot (? Parc. 161c Georg 15a) gruoƷ (ſalutatio) ruoƷ (fuligo) etc. Die auslaute ſind: zuo (praep) fruo (mane) tuo (faciat); zuweilen auch: kuo (vacca) nuo (jam) duo (tu) duo (tum) druo (? fructus, folliculi frugum Georg 41b) ruo (quies Wigam. 5a). — Bemerkungen 1) von berüh- rung des uo mit ô und û oben bei letztern. 2) Wolf- ram reimt ſtuont, ſtuonden:kunt, funt, wunt, funden, gebunden (Parc. 44a 57a 85b 93a 101a 108a 111c 114b 143c Wilh. 2, 40b 88a 94a) tuont:kunt (Wilh. 2, 43b); nie dergleichen bei Hartmann, Gotfried, Conrad etc. ſelbſt andere, ſonſt minder ſtreng gereimte gedichte mei- den es, namentlich Nibel. Georg und Wigal; alle bin-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/384>, abgerufen am 19.05.2024.