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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
mende) slaune (woher unser neuh. schleunig) aus dem
alth. sliumo; in diesen wurzeln wird man kein alth.
au treffen. Gleich unorganisch macht liuhten (lucere) das
praet. lauhte (alth. liuhta st. liuhtita); bei dauhte (videba-
tur) zweifle ich, ob im alth. dauhta (wie s. 197. steht)
oder duhta stattfinde? Denn daß ein ursprüngliches kur-
zes u galt, weist das altn. thotti (und nicht thautti) frü-
her gewiß thotti. Aber wie des nord. tt. zeigt sich auch
hier wieder die einwirkung des ht auf den vorausgehen-
den vocal und das auht st. iuht oder uht vergleicht sich
dem s. 334. beobachteten eht, aht st. eht, aht. Die verwand-
lung des iu in au ereignet sich ohne dazwischenkunft des b.
in den praet. raute, daute von riuten (exstirpare) diuten
(explanare) vielleicht nach analogie von triuten (amare)
liuten (läuten), praet. traute, laute *), wo der rückumlaut
gerecht scheint, weil die wurzeln traut, laut haben. --
2) au entspringt aus uo in den auelauten hau, vlau, drau,
vgl. oben s. 98. Für schuoch (calceus) finde ich weder
schuo noch schau, hingegen kuo (vacca) nicht kau noch
kuoch. Neben nau kommt (wie im alth.) bei einigen
dichtern nuo vor, im reim: zuo: fruo (Parc. 23a 70c
Wilh. 2, 14a 20b Georg 22a 41b Trist. 1a 39c 89a etc. selt-
ner dau auf ein uo reimend, vgl. zuo: dau (Parc. 89a 179b
Wilh. 2, 67b Trist. 27a); bei andern, z. b. Conrat, Hart-
mann etc. keins von beiden, sondern nau stets auf dau
gereimt (Iw. 29c troj. 40c 41a) wohl aber du'n: sun
(troj. 36c 49a) wie bei Wolfr. häufig sun: tuon; vgl. un-
ten die reime uo: u. Bei diesem schwanken wird man
reime wie auf: ruof: schuof (Ernst 8b 37a 44a) wenn nicht
rein, doch erträglich finden.

(AE) ae, umlaut des a, wonach sich die belege von
selbst ergeben; hier einige beispiele: waege (utilis) traege
(tardus) waehe (pulcher) zaehe (tenax) spaehe (sapiens)
naehe (propinquus) haele (lubricus) aenic (orbatus) selt-
saeue (rarus) volmaene (plenilunium) gevaere (dolosus)
schaere (forfex) jaeric (annosus) saete, naete, waete gen.
von nat, sat, wat, truhsaeße, risenmaeße, raeße (acrimo-
nia) u. a. m. Fremde wörter können begreislich dieses
ae nicht zeigen, außer solche, die so in deutsche form
umgegoßen sind, daß ihr a umlautsfähigkeit erlangt.

*) Laute (inorepuit) von liuten, aber luote (rugivit) von
luejen; braute von briuten (matr. inire) aber bruote von
brueten (ovis incubare).

I. mittelhochdeutſche vocale.
mende) ſlûne (woher unſer neuh. ſchleunig) aus dem
alth. ſliumo; in dieſen wurzeln wird man kein alth.
û treffen. Gleich unorganiſch macht liuhten (lucere) das
praet. lûhte (alth. liuhta ſt. liuhtita); bei dûhte (videba-
tur) zweifle ich, ob im alth. dûhta (wie ſ. 197. ſteht)
oder duhta ſtattfinde? Denn daß ein urſprüngliches kur-
zes u galt, weiſt das altn. þôtti (und nicht þûtti) frü-
her gewiß þotti. Aber wie des nord. tt. zeigt ſich auch
hier wieder die einwirkung des ht auf den vorausgehen-
den vocal und das ûht ſt. iuht oder uht vergleicht ſich
dem ſ. 334. beobachteten ëht, âht ſt. eht, aht. Die verwand-
lung des iu in û ereignet ſich ohne dazwiſchenkunft des b.
in den praet. rûte, dûte von riuten (exſtirpare) diuten
(explanare) vielleicht nach analogie von triuten (amare)
liuten (läuten), praet. trûte, lûte *), wo der rückumlaut
gerecht ſcheint, weil die wurzeln trût, lût haben. —
2) û entſpringt aus uo in den auelauten hû, vlû, drû,
vgl. oben ſ. 98. Für ſchuoch (calceus) finde ich weder
ſchuo noch ſchû, hingegen kuo (vacca) nicht kû noch
kuoch. Neben nû kommt (wie im alth.) bei einigen
dichtern nuo vor, im reim: zuo: fruo (Parc. 23a 70c
Wilh. 2, 14a 20b Georg 22a 41b Triſt. 1a 39c 89a etc. ſelt-
ner auf ein uo reimend, vgl. zuo: dû (Parc. 89a 179b
Wilh. 2, 67b Triſt. 27a); bei andern, z. b. Conrat, Hart-
mann etc. keins von beiden, ſondern nû ſtets auf dû
gereimt (Iw. 29c troj. 40c 41a) wohl aber du’n: ſun
(troj. 36c 49a) wie bei Wolfr. häufig ſun: tuon; vgl. un-
ten die reime uo: u. Bei dieſem ſchwanken wird man
reime wie ûf: ruof: ſchuof (Ernſt 8b 37a 44a) wenn nicht
rein, doch erträglich finden.

(AE) æ, umlaut des â, wonach ſich die belege von
ſelbſt ergeben; hier einige beiſpiele: wæge (utilis) træge
(tardus) wæhe (pulcher) zæhe (tenax) ſpæhe (ſapiens)
næhe (propinquus) hæle (lubricus) ænic (orbatus) ſëlt-
ſæue (rarus) volmæne (plenilunium) gevære (doloſus)
ſchære (forfex) jæric (annoſus) ſæte, næte, wæte gen.
von nât, ſât, wât, truhſæƷe, riſenmæƷe, ræƷe (acrimo-
nia) u. a. m. Fremde wörter können begreiſlich dieſes
æ nicht zeigen, außer ſolche, die ſo in deutſche form
umgegoßen ſind, daß ihr â umlautsfähigkeit erlangt.

*) Lûte (inorepuit) von liuten, aber luote (rugivit) von
luejen; brûte von briuten (matr. inire) aber bruote von
brueten (ovis incubare).
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[348/0374] I. mittelhochdeutſche vocale. mende) ſlûne (woher unſer neuh. ſchleunig) aus dem alth. ſliumo; in dieſen wurzeln wird man kein alth. û treffen. Gleich unorganiſch macht liuhten (lucere) das praet. lûhte (alth. liuhta ſt. liuhtita); bei dûhte (videba- tur) zweifle ich, ob im alth. dûhta (wie ſ. 197. ſteht) oder duhta ſtattfinde? Denn daß ein urſprüngliches kur- zes u galt, weiſt das altn. þôtti (und nicht þûtti) frü- her gewiß þotti. Aber wie des nord. tt. zeigt ſich auch hier wieder die einwirkung des ht auf den vorausgehen- den vocal und das ûht ſt. iuht oder uht vergleicht ſich dem ſ. 334. beobachteten ëht, âht ſt. eht, aht. Die verwand- lung des iu in û ereignet ſich ohne dazwiſchenkunft des b. in den praet. rûte, dûte von riuten (exſtirpare) diuten (explanare) vielleicht nach analogie von triuten (amare) liuten (läuten), praet. trûte, lûte *), wo der rückumlaut gerecht ſcheint, weil die wurzeln trût, lût haben. — 2) û entſpringt aus uo in den auelauten hû, vlû, drû, vgl. oben ſ. 98. Für ſchuoch (calceus) finde ich weder ſchuo noch ſchû, hingegen kuo (vacca) nicht kû noch kuoch. Neben nû kommt (wie im alth.) bei einigen dichtern nuo vor, im reim: zuo: fruo (Parc. 23a 70c Wilh. 2, 14a 20b Georg 22a 41b Triſt. 1a 39c 89a etc. ſelt- ner dû auf ein uo reimend, vgl. zuo: dû (Parc. 89a 179b Wilh. 2, 67b Triſt. 27a); bei andern, z. b. Conrat, Hart- mann etc. keins von beiden, ſondern nû ſtets auf dû gereimt (Iw. 29c troj. 40c 41a) wohl aber du’n: ſun (troj. 36c 49a) wie bei Wolfr. häufig ſun: tuon; vgl. un- ten die reime uo: u. Bei dieſem ſchwanken wird man reime wie ûf: ruof: ſchuof (Ernſt 8b 37a 44a) wenn nicht rein, doch erträglich finden. (AE) æ, umlaut des â, wonach ſich die belege von ſelbſt ergeben; hier einige beiſpiele: wæge (utilis) træge (tardus) wæhe (pulcher) zæhe (tenax) ſpæhe (ſapiens) næhe (propinquus) hæle (lubricus) ænic (orbatus) ſëlt- ſæue (rarus) volmæne (plenilunium) gevære (doloſus) ſchære (forfex) jæric (annoſus) ſæte, næte, wæte gen. von nât, ſât, wât, truhſæƷe, riſenmæƷe, ræƷe (acrimo- nia) u. a. m. Fremde wörter können begreiſlich dieſes æ nicht zeigen, außer ſolche, die ſo in deutſche form umgegoßen ſind, daß ihr â umlautsfähigkeit erlangt. *) Lûte (inorepuit) von liuten, aber luote (rugivit) von luejen; brûte von briuten (matr. inire) aber bruote von brueten (ovis incubare).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/374>, abgerufen am 18.05.2024.