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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
tumbe, mithin kann es nicht ümbe heißen; Parc. 58a
Trist. 116b troj. 73a 147c. chrümbe (flexuositas) wo ümbe
behauptet werden muß. weil alle solche fem. umlauten.
Durch den neuh. sprachgebrauch wird man sich nicht
irren laßen, der z. b. um, urkunde etc., kein üm, ur-
künde weist; mehr, doch nicht immer, hilft die wahr-
nehmung des (im mittelh. ausgefallenen) alten ablei-
tungs-i zurecht, die erkannten mittelh. umlaute kön-
nen aber selbst der wortbildungslehre wichtig werden.
So setzen ünde, sünde (gerte) ein undja, sundja (gardja)
voraus, wofür schon die meisten alth. quellen unda,
sunta (gerta) haben. Die unumlautenden subst. brunne,
sunne, wunde weisen auf das ältere brunno, sunna,
wunta. -- Von der vermengung des u mit uo hernach
bei letzterem.

(OE) ö, einfacher, ungedehnter laut, umlaut des
kurzen o (wie e des a) und mit dem oe (umlaut des o)
nicht zu mischen; die hss. (nicht die reime) verwechseln
beide, drücken auch wohl das ö gar nicht aus, sondern
laßen o. Eigentlich kommt dieses ö (außer dem diphth.
öu, umlaute des ou) selten vor, deshalb, weil im falle
des umlauts der ableitung gemeinlich das alte u aus-
bricht, folglich dessen umlaut ü eintritt, wie ich vor-
hin gezeigt habe. Es bleibt auf die conjunctive törste *),
dörfte, möhte, töhte, wörhte, vörhte (die vier letzten
reimen nur untereinander, nicht mit indicativen und
das beweist eben den wirklichen umlaut) nächstdem auf
einige ableitungen beschränkt, als: götinne, töhterlin,
stöllelein, löckel: töckel (M. S. 1, 67a) hövischen (courtoi-
ser) götelint (Nib.) chöne-magen (Nib. 3010. 3067.); in
einigen dieser wörter wäre auch ü statt ö denkbar, wie
sich alth. gutinna und mittelh. hübischen findet. Die
pluralumlaute töhter, göte, röcke, böcke, stöcke, flöcke,
welche hin und wieder geschrieben stehen, sind nur in
soweit tadelhaft, als hier eine organische pluralendung
a und nicht ei waltete; nimmt man aber übergang in
eine andere decl. an, so scheint auch der umlaut gerecht
(die untersuchung gehört in die flexionslehre). -- Mis-
bräuchlich setzen doch meist spätere hss. (des 14. 15. jahrh.)
zuweilen ö für e, als öpfel, frömde, schöpfaere, mössinc
(im s. galler Parc. statt messinc, gl. jun. 290. blas. 48a an-

*) Karl 16a 19a 93a 116b türste, türsten: fürste, fürsten, einen
ind. turste voraussetzend; das subst. getürste: fürste Wilh.
1, 58a.

I. mittelhochdeutſche vocale.
tumbe, mithin kann es nicht ümbe heißen; Parc. 58a
Triſt. 116b troj. 73a 147c. chrümbe (flexuoſitas) wo ümbe
behauptet werden muß. weil alle ſolche fem. umlauten.
Durch den neuh. ſprachgebrauch wird man ſich nicht
irren laßen, der z. b. um, urkunde etc., kein üm, ur-
künde weiſt; mehr, doch nicht immer, hilft die wahr-
nehmung des (im mittelh. ausgefallenen) alten ablei-
tungs-i zurecht, die erkannten mittelh. umlaute kön-
nen aber ſelbſt der wortbildungslehre wichtig werden.
So ſetzen ünde, ſünde (gerte) ein undja, ſundja (gardja)
voraus, wofür ſchon die meiſten alth. quellen unda,
ſunta (gerta) haben. Die unumlautenden ſubſt. brunne,
ſunne, wunde weiſen auf das ältere brunno, ſunna,
wunta. — Von der vermengung des u mit uo hernach
bei letzterem.

(OE) ö, einfacher, ungedehnter laut, umlaut des
kurzen o (wie e des a) und mit dem œ (umlaut des ô)
nicht zu miſchen; die hſſ. (nicht die reime) verwechſeln
beide, drücken auch wohl das ö gar nicht aus, ſondern
laßen o. Eigentlich kommt dieſes ö (außer dem diphth.
öu, umlaute des ou) ſelten vor, deshalb, weil im falle
des umlauts der ableitung gemeinlich das alte u aus-
bricht, folglich deſſen umlaut ü eintritt, wie ich vor-
hin gezeigt habe. Es bleibt auf die conjunctive törſte *),
dörfte, möhte, töhte, wörhte, vörhte (die vier letzten
reimen nur untereinander, nicht mit indicativen und
das beweiſt eben den wirklichen umlaut) nächſtdem auf
einige ableitungen beſchränkt, als: götinne, töhterlìn,
ſtöllelîn, löckel: töckel (M. S. 1, 67a) höviſchen (courtoi-
ſer) götelint (Nib.) chöne-mâgen (Nib. 3010. 3067.); in
einigen dieſer wörter wäre auch ü ſtatt ö denkbar, wie
ſich alth. gutinna und mittelh. hübiſchen findet. Die
pluralumlaute töhter, göte, röcke, böcke, ſtöcke, flöcke,
welche hin und wieder geſchrieben ſtehen, ſind nur in
ſoweit tadelhaft, als hier eine organiſche pluralendung
â und nicht î waltete; nimmt man aber übergang in
eine andere decl. an, ſo ſcheint auch der umlaut gerecht
(die unterſuchung gehört in die flexionslehre). — Mis-
bräuchlich ſetzen doch meiſt ſpätere hſſ. (des 14. 15. jahrh.)
zuweilen ö für ë, als öpfel, frömde, ſchöpfære, möſſinc
(im ſ. galler Parc. ſtatt meſſinc, gl. jun. 290. blaſ. 48a an-

*) Karl 16a 19a 93a 116b türſte, türſten: fürſte, fürſten, einen
ind. turſte vorausſetzend; das ſubſt. getürſte: fürſte Wilh.
1, 58a.
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[338/0364] I. mittelhochdeutſche vocale. tumbe, mithin kann es nicht ümbe heißen; Parc. 58a Triſt. 116b troj. 73a 147c. chrümbe (flexuoſitas) wo ümbe behauptet werden muß. weil alle ſolche fem. umlauten. Durch den neuh. ſprachgebrauch wird man ſich nicht irren laßen, der z. b. um, urkunde etc., kein üm, ur- künde weiſt; mehr, doch nicht immer, hilft die wahr- nehmung des (im mittelh. ausgefallenen) alten ablei- tungs-i zurecht, die erkannten mittelh. umlaute kön- nen aber ſelbſt der wortbildungslehre wichtig werden. So ſetzen ünde, ſünde (gerte) ein undja, ſundja (gardja) voraus, wofür ſchon die meiſten alth. quellen unda, ſunta (gerta) haben. Die unumlautenden ſubſt. brunne, ſunne, wunde weiſen auf das ältere brunno, ſunna, wunta. — Von der vermengung des u mit uo hernach bei letzterem. (OE) ö, einfacher, ungedehnter laut, umlaut des kurzen o (wie e des a) und mit dem œ (umlaut des ô) nicht zu miſchen; die hſſ. (nicht die reime) verwechſeln beide, drücken auch wohl das ö gar nicht aus, ſondern laßen o. Eigentlich kommt dieſes ö (außer dem diphth. öu, umlaute des ou) ſelten vor, deshalb, weil im falle des umlauts der ableitung gemeinlich das alte u aus- bricht, folglich deſſen umlaut ü eintritt, wie ich vor- hin gezeigt habe. Es bleibt auf die conjunctive törſte *), dörfte, möhte, töhte, wörhte, vörhte (die vier letzten reimen nur untereinander, nicht mit indicativen und das beweiſt eben den wirklichen umlaut) nächſtdem auf einige ableitungen beſchränkt, als: götinne, töhterlìn, ſtöllelîn, löckel: töckel (M. S. 1, 67a) höviſchen (courtoi- ſer) götelint (Nib.) chöne-mâgen (Nib. 3010. 3067.); in einigen dieſer wörter wäre auch ü ſtatt ö denkbar, wie ſich alth. gutinna und mittelh. hübiſchen findet. Die pluralumlaute töhter, göte, röcke, böcke, ſtöcke, flöcke, welche hin und wieder geſchrieben ſtehen, ſind nur in ſoweit tadelhaft, als hier eine organiſche pluralendung â und nicht î waltete; nimmt man aber übergang in eine andere decl. an, ſo ſcheint auch der umlaut gerecht (die unterſuchung gehört in die flexionslehre). — Mis- bräuchlich ſetzen doch meiſt ſpätere hſſ. (des 14. 15. jahrh.) zuweilen ö für ë, als öpfel, frömde, ſchöpfære, möſſinc (im ſ. galler Parc. ſtatt meſſinc, gl. jun. 290. blaſ. 48a an- *) Karl 16a 19a 93a 116b türſte, türſten: fürſte, fürſten, einen ind. turſte vorausſetzend; das ſubſt. getürſte: fürſte Wilh. 1, 58a.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/364>, abgerufen am 17.05.2024.