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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
reime. Der deutlichste fall ist zuvörderst die verbindung
ng und nk, welche, ungeachtet die bedingung des um-
lauts eintritt, gewöhnlich kein ü vor sich haben, beweis
die reime sprunge:gelunge (Flore 44b) junge:swunge
(Ben. 230.) twunge:wandelunge (Barl. 251.) junge:twunge,
beßerunge:swunge (M. S. 2, 133b 238a. b.) sprungen:
den jungen (Wigam. 7a) jungen (verjüngen): entsprun-
gen, gelungen (M. S. 1, 59a 178b) zungen:tungen (ster-
corare Wilh. 3, 259b) zungen:sungen (Wilh. 3, 458a)
dunke:trunke (M. S. 2, 170b). Theils erinnert dieses
unge st. ünge an das vorhin beim a bemerkte ange st.
enge im praes. starker conj. (denn anderwärts steht frei-
lich enge) theils an das nord. aung, aunk f. ung, unk;
wenn auch hier der umlaut gar nicht mitwirkt, viel-
mehr yngi st. yngi ebenfalls erfolgt, so läßt sich doch
der einfluß des nasalen ng, nk auf den vorausgehenden
vocal nicht leicht verkennen. Außer diesen verbindun-
gen stehet u statt ü in folgenden reimen: fluge:truge
(Parc. 84b) zugen:mugen (Am. 5c Flore 25b Trist. 14b)
schulden:vergulden (M. S. 2, 20b) dulden:übergulden
(troj. 134a) umbe:stumbe (Iw. 17b) drunde:gunde, funde
(Parc. 17a Karl 35a) munde:kunde (Trist. 33b) stunde:
kunde (Georg 3b) funde, wunde (a. Heinr. 197a 204a 207b)
stunden:unden (Ernst 21a) sunne:brunne (Flore 32b M. S.
1, 204a) nunne:gewunne (Flore 41a) sunne:kunne (M. S.
2, 142b) etc. Schwerlich ist an falschen reim aus reimar-
muth, noch an vermischung des u und ü, wie vorhin
des e und e zu denken; es sind überreste des alten un-
umlautenden u. Einmahl zeigen sie sich nur vor liq.
und med. (nicht vor ten. und asp.) dann zumeist in
dem conj. starker conj. d. h. man wird leichter brunne
(arderet) truge (falleret) kunne (sciret) für brünne, trüge,
künne; nicht leicht kunne (genus) unde (fluctus) dunne
(tenuis) für künne, ünde, dünne treffen. Freilich einige
ausnahmen geben schon die obigen belege. Dagegen ist
die unumlautende form nicht mehr allein herrschend.
selbst nicht vor ng. nk., sondern es gibt überall auch
die umlautende daneben, ja diese besteht als regel, jene
muß ausnahmsweise durch den reim bewiesen, sodann
für einzelne dichter und wörter durchgeführt werden.
Bisweilen, wenn weder der reim ein n statt ü beweist,
noch der gebrauch für u oder ü entscheidet, mag es
zweifelhaft seyn, welches von beiden angemeßener ist.
Einzelne wörter schwanken bei dem nämlichen dichter,
z. b. Wolfram reimt Parc. 7c umbe (alth. umbi): der

Y

I. mittelhochdeutſche vocale.
reime. Der deutlichſte fall iſt zuvörderſt die verbindung
ng und nk, welche, ungeachtet die bedingung des um-
lauts eintritt, gewöhnlich kein ü vor ſich haben, beweis
die reime ſprunge:gelunge (Flore 44b) junge:ſwunge
(Ben. 230.) twunge:wandelunge (Barl. 251.) junge:twunge,
beƷƷerunge:ſwunge (M. S. 2, 133b 238a. b.) ſprungen:
den jungen (Wigam. 7a) jungen (verjüngen): entſprun-
gen, gelungen (M. S. 1, 59a 178b) zungen:tungen (ſter-
corare Wilh. 3, 259b) zungen:ſungen (Wilh. 3, 458a)
dunke:trunke (M. S. 2, 170b). Theils erinnert dieſes
unge ſt. ünge an das vorhin beim a bemerkte ange ſt.
enge im praeſ. ſtarker conj. (denn anderwärts ſteht frei-
lich enge) theils an das nord. ûng, ûnk f. ung, unk;
wenn auch hier der umlaut gar nicht mitwirkt, viel-
mehr ŷngi ſt. yngi ebenfalls erfolgt, ſo läßt ſich doch
der einfluß des naſalen ng, nk auf den vorausgehenden
vocal nicht leicht verkennen. Außer dieſen verbindun-
gen ſtehet u ſtatt ü in folgenden reimen: fluge:truge
(Parc. 84b) zugen:mugen (Am. 5c Flore 25b Triſt. 14b)
ſchulden:vergulden (M. S. 2, 20b) dulden:übergulden
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(Parc. 17a Karl 35a) munde:kunde (Triſt. 33b) ſtunde:
kunde (Georg 3b) funde, wunde (a. Heinr. 197a 204a 207b)
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1, 204a) nunne:gewunne (Flore 41a) ſunne:kunne (M. S.
2, 142b) etc. Schwerlich iſt an falſchen reim aus reimar-
muth, noch an vermiſchung des u und ü, wie vorhin
des e und ë zu denken; es ſind überreſte des alten un-
umlautenden u. Einmahl zeigen ſie ſich nur vor liq.
und med. (nicht vor ten. und aſp.) dann zumeiſt in
dem conj. ſtarker conj. d. h. man wird leichter brunne
(arderet) truge (falleret) kunne (ſciret) für brünne, trüge,
künne; nicht leicht kunne (genus) unde (fluctus) dunne
(tenuis) für künne, ünde, dünne treffen. Freilich einige
ausnahmen geben ſchon die obigen belege. Dagegen iſt
die unumlautende form nicht mehr allein herrſchend.
ſelbſt nicht vor ng. nk., ſondern es gibt überall auch
die umlautende daneben, ja dieſe beſteht als regel, jene
muß ausnahmsweiſe durch den reim bewieſen, ſodann
für einzelne dichter und wörter durchgeführt werden.
Bisweilen, wenn weder der reim ein n ſtatt ü beweiſt,
noch der gebrauch für u oder ü entſcheidet, mag es
zweifelhaft ſeyn, welches von beiden angemeßener iſt.
Einzelne wörter ſchwanken bei dem nämlichen dichter,
z. b. Wolfram reimt Parc. 7c umbe (alth. umbi): der

Y
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[337/0363] I. mittelhochdeutſche vocale. reime. Der deutlichſte fall iſt zuvörderſt die verbindung ng und nk, welche, ungeachtet die bedingung des um- lauts eintritt, gewöhnlich kein ü vor ſich haben, beweis die reime ſprunge:gelunge (Flore 44b) junge:ſwunge (Ben. 230.) twunge:wandelunge (Barl. 251.) junge:twunge, beƷƷerunge:ſwunge (M. S. 2, 133b 238a. b.) ſprungen: den jungen (Wigam. 7a) jungen (verjüngen): entſprun- gen, gelungen (M. S. 1, 59a 178b) zungen:tungen (ſter- corare Wilh. 3, 259b) zungen:ſungen (Wilh. 3, 458a) dunke:trunke (M. S. 2, 170b). Theils erinnert dieſes unge ſt. ünge an das vorhin beim a bemerkte ange ſt. enge im praeſ. ſtarker conj. (denn anderwärts ſteht frei- lich enge) theils an das nord. ûng, ûnk f. ung, unk; wenn auch hier der umlaut gar nicht mitwirkt, viel- mehr ŷngi ſt. yngi ebenfalls erfolgt, ſo läßt ſich doch der einfluß des naſalen ng, nk auf den vorausgehenden vocal nicht leicht verkennen. Außer dieſen verbindun- gen ſtehet u ſtatt ü in folgenden reimen: fluge:truge (Parc. 84b) zugen:mugen (Am. 5c Flore 25b Triſt. 14b) ſchulden:vergulden (M. S. 2, 20b) dulden:übergulden (troj. 134a) umbe:ſtumbe (Iw. 17b) drunde:gunde, funde (Parc. 17a Karl 35a) munde:kunde (Triſt. 33b) ſtunde: kunde (Georg 3b) funde, wunde (a. Heinr. 197a 204a 207b) ſtunden:unden (Ernſt 21a) ſunne:brunne (Flore 32b M. S. 1, 204a) nunne:gewunne (Flore 41a) ſunne:kunne (M. S. 2, 142b) etc. Schwerlich iſt an falſchen reim aus reimar- muth, noch an vermiſchung des u und ü, wie vorhin des e und ë zu denken; es ſind überreſte des alten un- umlautenden u. Einmahl zeigen ſie ſich nur vor liq. und med. (nicht vor ten. und aſp.) dann zumeiſt in dem conj. ſtarker conj. d. h. man wird leichter brunne (arderet) truge (falleret) kunne (ſciret) für brünne, trüge, künne; nicht leicht kunne (genus) unde (fluctus) dunne (tenuis) für künne, ünde, dünne treffen. Freilich einige ausnahmen geben ſchon die obigen belege. Dagegen iſt die unumlautende form nicht mehr allein herrſchend. ſelbſt nicht vor ng. nk., ſondern es gibt überall auch die umlautende daneben, ja dieſe beſteht als regel, jene muß ausnahmsweiſe durch den reim bewieſen, ſodann für einzelne dichter und wörter durchgeführt werden. Bisweilen, wenn weder der reim ein n ſtatt ü beweiſt, noch der gebrauch für u oder ü entſcheidet, mag es zweifelhaft ſeyn, welches von beiden angemeßener iſt. Einzelne wörter ſchwanken bei dem nämlichen dichter, z. b. Wolfram reimt Parc. 7c umbe (alth. umbi): der Y

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/363>, abgerufen am 17.05.2024.