Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. althochdeutsche vocale.
dem goth. iddja verwandt seyn. (vgl. unten gemination
der liq.). Ganz offenbar wird das alte i in figidon (ze-
lari) gl. mons. 349. 365.) figida (periculum) 386 und figinda
(inimici, bei N. neben fianta) statt fijidon, fijandon
(odisse); ferner in higinnes-lust (delectatio carnis) N. 7, 10.
st. hijannes, heiannes?

(OO) o. Die nord. runen legen dem o nur ein zeichen
und einen namen bei, nämlich os (auch lat. os, oris);
die sächsischen haben zwei zeichen und zwei namen,
nämlich os und othel. Das zeichen des letztern hat of-
fenbar die gestalt des goth. o, folglich auch dessen be-
deutung, steht also dem alth. o nicht parallel, sondern
dem alth. uo (ua), wie schon der name othel zeigt, wel-
cher alth. uodal, uadal, uodil (patria) lautet. Unser
alth. o entspricht zumeist dem goth. au; ob es auf jene
erste sächs. rune ansprüche hat, wage ich nicht zu ent-
scheiden, bevor sich die form os in einer alth. quelle
oder ein goth. aus nachweisen läßt, was bisher noch
nicht der fall ist; bezweifeln kann man es sogar, weil
dem goth. au, alth. o das angels. ea gleich ist, mithin
der name eas, nicht os lauten sollte.

Das alth. o fordert folgende nähere bestimmung

1) wie schon e und o, wegen ihres ursprungs aus i (ai)
und u (au) unverkennbare ähnlichkeit zeigen, so ver-
gleicht sich auch dem e das o. Nämlich e entwickelte
sich aus ai (ei) bei folgendem h. s (r). v; in den übri-
gen fällen blieb ei; ähnlich entwickelt sich o aus dem
au bei folgendem h. s (r) und weiter d. t. ß. n; in
den andern fällen namentlich vor b. f. g. hh. m *)
bleibt au (ou) bestehn. Die entwickelung des o
scheint bloß etwas mehr vorgeschritten, als die des e.
Diesem au und o, ei und e entspricht noch meisten-
theils das neuhochd. au und oh, ei und eh.
2) beispiele des au (ou) werden hernach unter diesem
diphth. vorgelegt werden. Das o steht vor spiranten
und dentalen, also auch vor dem das frühere s er-
setzenden r, dann vor der liq. n, also nicht vor den
labialen p. b. f. den gutturalen k. g. hh. und den liqui-
den l. m. Es steht auch gleich dem e auslautend,
meiner meinung nach nur in: fro (dominus) fro (lae-
*) Fremde wörter ausgenommen, z. b. biscof (goth. aipiskau-
pus), wiewohl N. nach deutscher weise piscouf annimmt.

I. althochdeutſche vocale.
dem goth. ïddja verwandt ſeyn. (vgl. unten gemination
der liq.). Ganz offenbar wird das alte i in figidôn (ze-
lari) gl. monſ. 349. 365.) figida (periculum) 386 und figinda
(inimici, bei N. neben fìanta) ſtatt fijidôn, fijandôn
(odiſſe); ferner in higinnes-luſt (delectatio carnis) N. 7, 10.
ſt. hijannes, hîannes?

(OO) ô. Die nord. runen legen dem ô nur ein zeichen
und einen namen bei, nämlich ôs (auch lat. ôs, ôris);
die ſächſiſchen haben zwei zeichen und zwei namen,
nämlich ôs und ôþel. Das zeichen des letztern hat of-
fenbar die geſtalt des goth. ô, folglich auch deſſen be-
deutung, ſteht alſo dem alth. ô nicht parallel, ſondern
dem alth. uo (ua), wie ſchon der name ôþel zeigt, wel-
cher alth. uodal, uadal, uodil (patria) lautet. Unſer
alth. ô entſpricht zumeiſt dem goth. àu; ob es auf jene
erſte ſächſ. rune anſprüche hat, wage ich nicht zu ent-
ſcheiden, bevor ſich die form ôs in einer alth. quelle
oder ein goth. áus nachweiſen läßt, was bisher noch
nicht der fall iſt; bezweifeln kann man es ſogar, weil
dem goth. àu, alth. ô das angelſ. gleich iſt, mithin
der name eás, nicht ôs lauten ſollte.

Das alth. ô fordert folgende nähere beſtimmung

1) wie ſchon ë und o, wegen ihres urſprungs aus i (aí)
und u (aú) unverkennbare ähnlichkeit zeigen, ſo ver-
gleicht ſich auch dem ê das ô. Nämlich ê entwickelte
ſich aus ái (ei) bei folgendem h. ſ (r). v; in den übri-
gen fällen blieb ei; ähnlich entwickelt ſich ô aus dem
áu bei folgendem h. ſ (r) und weiter d. t. Ʒ. n; in
den andern fällen namentlich vor b. f. g. hh. m *)
bleibt au (ou) beſtehn. Die entwickelung des ô
ſcheint bloß etwas mehr vorgeſchritten, als die des ê.
Dieſem au und ô, ei und ê entſpricht noch meiſten-
theils das neuhochd. au und oh, ei und eh.
2) beiſpiele des au (ou) werden hernach unter dieſem
diphth. vorgelegt werden. Das ô ſteht vor ſpiranten
und dentalen, alſo auch vor dem das frühere ſ er-
ſetzenden r, dann vor der liq. n, alſo nicht vor den
labialen p. b. f. den gutturalen k. g. hh. und den liqui-
den l. m. Es ſteht auch gleich dem ê auslautend,
meiner meinung nach nur in: frô (dominus) frô (lae-
*) Fremde wörter ausgenommen, z. b. biſcôf (goth. aípiſkau-
pus), wiewohl N. nach deutſcher weiſe piſcouf annimmt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0120" n="94"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">althochdeut&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
dem goth. ïddja verwandt &#x017F;eyn. (vgl. unten gemination<lb/>
der liq.). Ganz offenbar wird das alte <hi rendition="#i">i</hi> in figidôn (ze-<lb/>
lari) gl. mon&#x017F;. 349. 365.) figida (periculum) 386 und figinda<lb/>
(inimici, bei N. neben fìanta) &#x017F;tatt fijidôn, fijandôn<lb/>
(odi&#x017F;&#x017F;e); ferner in higinnes-lu&#x017F;t (delectatio carnis) N. 7, 10.<lb/>
&#x017F;t. hijannes, hîannes?</p><lb/>
            <p>(OO) ô. Die nord. runen legen dem ô nur ein zeichen<lb/>
und einen namen bei, nämlich ôs (auch lat. ôs, ôris);<lb/>
die &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen haben zwei zeichen und zwei namen,<lb/>
nämlich ôs und ôþel. Das zeichen des letztern hat of-<lb/>
fenbar die ge&#x017F;talt des goth. ô, folglich auch de&#x017F;&#x017F;en be-<lb/>
deutung, &#x017F;teht al&#x017F;o dem alth. ô nicht parallel, &#x017F;ondern<lb/>
dem alth. <hi rendition="#i">uo</hi> (ua), wie &#x017F;chon der name ôþel zeigt, wel-<lb/>
cher alth. uodal, uadal, uodil (patria) lautet. Un&#x017F;er<lb/>
alth. ô ent&#x017F;pricht zumei&#x017F;t dem goth. <hi rendition="#i">àu</hi>; ob es auf jene<lb/>
er&#x017F;te &#x017F;äch&#x017F;. rune an&#x017F;prüche hat, wage ich nicht zu ent-<lb/>
&#x017F;cheiden, bevor &#x017F;ich die form <hi rendition="#i">ôs</hi> in einer alth. quelle<lb/>
oder ein goth. áus nachwei&#x017F;en läßt, was bisher noch<lb/>
nicht der fall i&#x017F;t; bezweifeln kann man es &#x017F;ogar, weil<lb/>
dem goth. <hi rendition="#i">àu</hi>, alth. <hi rendition="#i">ô</hi> das angel&#x017F;. <hi rendition="#i"></hi> gleich i&#x017F;t, mithin<lb/>
der name <hi rendition="#i">eás</hi>, nicht <hi rendition="#i">ôs</hi> lauten &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Das alth. ô fordert folgende nähere be&#x017F;timmung</p><lb/>
            <list>
              <item>1) wie &#x017F;chon ë und o, wegen ihres ur&#x017F;prungs aus i (aí)<lb/>
und <hi rendition="#i">u</hi> (aú) unverkennbare ähnlichkeit zeigen, &#x017F;o ver-<lb/>
gleicht &#x017F;ich auch dem ê das ô. Nämlich ê entwickelte<lb/>
&#x017F;ich aus ái (ei) bei folgendem h. &#x017F; (r). v; in den übri-<lb/>
gen fällen blieb ei; ähnlich entwickelt &#x017F;ich ô aus dem<lb/>
áu bei folgendem h. &#x017F; (r) und weiter d. t. &#x01B7;. n; in<lb/>
den andern fällen namentlich vor b. f. g. hh. m <note place="foot" n="*)">Fremde wörter ausgenommen, z. b. bi&#x017F;côf (goth. aípi&#x017F;kau-<lb/>
pus), wiewohl N. nach deut&#x017F;cher wei&#x017F;e pi&#x017F;couf annimmt.</note><lb/>
bleibt <hi rendition="#i">au</hi> (ou) be&#x017F;tehn. Die entwickelung des ô<lb/>
&#x017F;cheint bloß etwas mehr vorge&#x017F;chritten, als die des ê.<lb/>
Die&#x017F;em <hi rendition="#i">au</hi> und <hi rendition="#i">ô</hi>, ei und ê ent&#x017F;pricht noch mei&#x017F;ten-<lb/>
theils das neuhochd. au und oh, ei und eh.</item><lb/>
              <item>2) bei&#x017F;piele des <hi rendition="#i">au</hi> (ou) werden hernach unter die&#x017F;em<lb/>
diphth. vorgelegt werden. Das ô &#x017F;teht vor &#x017F;piranten<lb/>
und dentalen, al&#x017F;o auch vor dem das frühere &#x017F; er-<lb/>
&#x017F;etzenden r, dann vor der liq. n, al&#x017F;o nicht vor den<lb/>
labialen p. b. f. den gutturalen k. g. hh. und den liqui-<lb/>
den l. m. Es &#x017F;teht auch gleich dem ê auslautend,<lb/>
meiner meinung nach nur in: frô (dominus) frô (lae-<lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0120] I. althochdeutſche vocale. dem goth. ïddja verwandt ſeyn. (vgl. unten gemination der liq.). Ganz offenbar wird das alte i in figidôn (ze- lari) gl. monſ. 349. 365.) figida (periculum) 386 und figinda (inimici, bei N. neben fìanta) ſtatt fijidôn, fijandôn (odiſſe); ferner in higinnes-luſt (delectatio carnis) N. 7, 10. ſt. hijannes, hîannes? (OO) ô. Die nord. runen legen dem ô nur ein zeichen und einen namen bei, nämlich ôs (auch lat. ôs, ôris); die ſächſiſchen haben zwei zeichen und zwei namen, nämlich ôs und ôþel. Das zeichen des letztern hat of- fenbar die geſtalt des goth. ô, folglich auch deſſen be- deutung, ſteht alſo dem alth. ô nicht parallel, ſondern dem alth. uo (ua), wie ſchon der name ôþel zeigt, wel- cher alth. uodal, uadal, uodil (patria) lautet. Unſer alth. ô entſpricht zumeiſt dem goth. àu; ob es auf jene erſte ſächſ. rune anſprüche hat, wage ich nicht zu ent- ſcheiden, bevor ſich die form ôs in einer alth. quelle oder ein goth. áus nachweiſen läßt, was bisher noch nicht der fall iſt; bezweifeln kann man es ſogar, weil dem goth. àu, alth. ô das angelſ. eá gleich iſt, mithin der name eás, nicht ôs lauten ſollte. Das alth. ô fordert folgende nähere beſtimmung 1) wie ſchon ë und o, wegen ihres urſprungs aus i (aí) und u (aú) unverkennbare ähnlichkeit zeigen, ſo ver- gleicht ſich auch dem ê das ô. Nämlich ê entwickelte ſich aus ái (ei) bei folgendem h. ſ (r). v; in den übri- gen fällen blieb ei; ähnlich entwickelt ſich ô aus dem áu bei folgendem h. ſ (r) und weiter d. t. Ʒ. n; in den andern fällen namentlich vor b. f. g. hh. m *) bleibt au (ou) beſtehn. Die entwickelung des ô ſcheint bloß etwas mehr vorgeſchritten, als die des ê. Dieſem au und ô, ei und ê entſpricht noch meiſten- theils das neuhochd. au und oh, ei und eh. 2) beiſpiele des au (ou) werden hernach unter dieſem diphth. vorgelegt werden. Das ô ſteht vor ſpiranten und dentalen, alſo auch vor dem das frühere ſ er- ſetzenden r, dann vor der liq. n, alſo nicht vor den labialen p. b. f. den gutturalen k. g. hh. und den liqui- den l. m. Es ſteht auch gleich dem ê auslautend, meiner meinung nach nur in: frô (dominus) frô (lae- *) Fremde wörter ausgenommen, z. b. biſcôf (goth. aípiſkau- pus), wiewohl N. nach deutſcher weiſe piſcouf annimmt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/120
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/120>, abgerufen am 06.05.2024.