(II) ei (mit dem runischen namen eis glacies). die- ser doppelvocal macht keinen anstand, entspricht be- stimmt dem goth. ei und schwankt in keinen verwandten laut über *). Außer den endungen beispiele in der star- ken conjugation; hier noch einige andere: bei (praep.) brei (puls) blei (plumbum) drei (tres) frei (liber) sei (sit) sei (illa bei N.) peia (apis zweisilbig) chleia (furfur zweisilbig) leib (corpus) weib (femina) leid (potus) bleid (laetus) neid (invidia) reifo (pruina) peiga (acervus) leih (caro) heiha (sponsa) weih (sacer) reihhi (regnum) eila (festinatio) meila (milliare) zeila (linea) hueila (tempus) feila (lima) reim (numerus) keimo (germen) mein. dein. sein. suein (sus) peina (cruciatus) feira (festum) eis (glacies) hreis (virgultum) eisarn (ferrum) speisa (cibus) weiso (dux) zeit (tempus) weit (amplus) heiu (familia, zweisilbig) eiwa (taxus) hueiß(albus) fleiß (solertia)etc. Ohne die beachtung des unterschieds zwischen einfachem und doppeltem i wird man viele formen und wurzeln vermengen, z. b. pei (praep.) K. 27b pi-(partikel) reitan (inf.) giritan (part.) wißan (scire) weißan (imputare) lid (membrum) leid (potus) wis (esto) weisi (sapiens) und eben so genau muß man vom ei den andern doppellaut ei tren- nen, vgl. leim (gluten) leim (argilla), hneigan (cadere) hneigan (flectere), suein (sus) suein (puer, famulus), weißan (imputare) weißan (praebere) hueiß (albus) hueißi (triticum) weih (sacer) weih (mollis) etc. -- Historisch wichtig ist die wahrnehmung, daß ei zuweilen auf ein älteres i zurückführt (vgl. oben s. 88. über ja und ein älteres ja), namentlich auch hier in einsilbigen wörtern, oder da wo das i die wurzelsilbe schließt. So entspricht pei (praep.) dem goth. bi (nicht bei) hat sich aber in der vorpartikel pi- kurz erhalten. Die betonung der wur- zel ließ allmählig die kürze des vocals überhören und wandelte ihn endlich in einen gedehnten. Ferner mag in frei, sei, peia, chleia vorher ein kurzes i gewesen seyn und vermuthlich ist in der vollen form fri-jer, fri-ger, pi-ja, pi-a gesprochen worden, daher alth. neben peia auch pina (nicht peina); eila (festinatio) steht in den mons. gl. und sonst illa (? ilja) geschrieben und illan könnte
*) Auch im latein. das ei älter, das ei später (Schneider p. 62-67. 70. 71.) vgl. des Ptolemaeus aleison neben Tacitus aleiso. -- Ob einige mundarten, etwa die altbairische, noch ei statt ei zeigen? unten beim ei. Aus dem ei erklärt sich der zuweilen eintretende übergang in i leichter, z. b. win- zuril (vinitor) aus wein.
I. althochdeutſche vocale.
(II) î (mit dem runiſchen namen îs glacies). die- ſer doppelvocal macht keinen anſtand, entſpricht be- ſtimmt dem goth. ei und ſchwankt in keinen verwandten laut über *). Außer den endungen beiſpiele in der ſtar- ken conjugation; hier noch einige andere: bî (praep.) brî (puls) blî (plumbum) drî (tres) frî (liber) ſî (ſit) ſî (illa bei N.) pîa (apis zweiſilbig) chlîa (furfur zweiſilbig) lîb (corpus) wîb (femina) lîd (potus) blîd (laetus) nîd (invidia) rîfo (pruina) pîga (acervus) lîh (caro) hîha (ſponſa) wîh (ſacer) rîhhi (regnum) îla (feſtinatio) mîla (milliare) zîla (linea) huîla (tempus) fîla (lima) rîm (numerus) kîmo (germen) mîn. dîn. ſîn. ſuîn (ſus) pîna (cruciatus) fîra (feſtum) îs (glacies) hrîs (virgultum) îſarn (ferrum) ſpîſa (cibus) wîſo (dux) zît (tempus) wît (amplus) hîu (familia, zweiſilbig) îwa (taxus) huîƷ(albus) flîƷ (ſolertia)etc. Ohne die beachtung des unterſchieds zwiſchen einfachem und doppeltem i wird man viele formen und wurzeln vermengen, z. b. pî (praep.) K. 27b pi-(partikel) rîtan (inf.) giritan (part.) wiӡan (ſcire) wîӡan (imputare) lid (membrum) lîd (potus) wis (eſto) wîſi (ſapiens) und eben ſo genau muß man vom î den andern doppellaut ei tren- nen, vgl. lîm (gluten) leim (argilla), hnîgan (cadere) hneigan (flectere), ſuîn (ſus) ſuein (puer, famulus), wîƷan (imputare) weiƷan (praebere) huîƷ (albus) hueiƷi (triticum) wîh (ſacer) weih (mollis) etc. — Hiſtoriſch wichtig iſt die wahrnehmung, daß î zuweilen auf ein älteres i zurückführt (vgl. oben ſ. 88. über jâ und ein älteres ja), namentlich auch hier in einſilbigen wörtern, oder da wo das i die wurzelſilbe ſchließt. So entſpricht pî (praep.) dem goth. bi (nicht bei) hat ſich aber in der vorpartikel pi- kurz erhalten. Die betonung der wur- zel ließ allmählig die kürze des vocals überhören und wandelte ihn endlich in einen gedehnten. Ferner mag in frî, ſî, pîa, chlîa vorher ein kurzes i geweſen ſeyn und vermuthlich iſt in der vollen form fri-jêr, fri-gêr, pi-ja, pi-a geſprochen worden, daher alth. neben pîa auch pina (nicht pîna); îla (feſtinatio) ſteht in den monſ. gl. und ſonſt illa (? ilja) geſchrieben und illan könnte
*) Auch im latein. das ei älter, das î ſpäter (Schneider p. 62-67. 70. 71.) vgl. des Ptolemaeus ἀλεισον neben Tacitus alîſo. — Ob einige mundarten, etwa die altbairiſche, noch ei ſtatt î zeigen? unten beim ei. Aus dem î erklärt ſich der zuweilen eintretende übergang in i leichter, z. b. win- zuril (vinitor) aus wîn.
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I. althochdeutſche vocale.
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ſer doppelvocal macht keinen anſtand, entſpricht be-
ſtimmt dem goth. ei und ſchwankt in keinen verwandten
laut über *). Außer den endungen beiſpiele in der ſtar-
ken conjugation; hier noch einige andere: bî (praep.)
brî (puls) blî (plumbum) drî (tres) frî (liber) ſî (ſit) ſî
(illa bei N.) pîa (apis zweiſilbig) chlîa (furfur zweiſilbig)
lîb (corpus) wîb (femina) lîd (potus) blîd (laetus) nîd
(invidia) rîfo (pruina) pîga (acervus) lîh (caro) hîha (ſponſa)
wîh (ſacer) rîhhi (regnum) îla (feſtinatio) mîla (milliare)
zîla (linea) huîla (tempus) fîla (lima) rîm (numerus)
kîmo (germen) mîn. dîn. ſîn. ſuîn (ſus) pîna (cruciatus)
fîra (feſtum) îs (glacies) hrîs (virgultum) îſarn (ferrum)
ſpîſa (cibus) wîſo (dux) zît (tempus) wît (amplus) hîu
(familia, zweiſilbig) îwa (taxus) huîƷ(albus) flîƷ (ſolertia)etc.
Ohne die beachtung des unterſchieds zwiſchen einfachem
und doppeltem i wird man viele formen und wurzeln
vermengen, z. b. pî (praep.) K. 27b pi-(partikel) rîtan
(inf.) giritan (part.) wiӡan (ſcire) wîӡan (imputare) lid
(membrum) lîd (potus) wis (eſto) wîſi (ſapiens) und eben
ſo genau muß man vom î den andern doppellaut ei tren-
nen, vgl. lîm (gluten) leim (argilla), hnîgan (cadere)
hneigan (flectere), ſuîn (ſus) ſuein (puer, famulus),
wîƷan (imputare) weiƷan (praebere) huîƷ (albus) hueiƷi
(triticum) wîh (ſacer) weih (mollis) etc. — Hiſtoriſch
wichtig iſt die wahrnehmung, daß î zuweilen auf ein
älteres i zurückführt (vgl. oben ſ. 88. über jâ und ein
älteres ja), namentlich auch hier in einſilbigen wörtern,
oder da wo das i die wurzelſilbe ſchließt. So entſpricht
pî (praep.) dem goth. bi (nicht bei) hat ſich aber in der
vorpartikel pi- kurz erhalten. Die betonung der wur-
zel ließ allmählig die kürze des vocals überhören und
wandelte ihn endlich in einen gedehnten. Ferner mag
in frî, ſî, pîa, chlîa vorher ein kurzes i geweſen ſeyn
und vermuthlich iſt in der vollen form fri-jêr, fri-gêr,
pi-ja, pi-a geſprochen worden, daher alth. neben pîa
auch pina (nicht pîna); îla (feſtinatio) ſteht in den monſ.
gl. und ſonſt illa (? ilja) geſchrieben und illan könnte
*) Auch im latein. das ei älter, das î ſpäter (Schneider
p. 62-67. 70. 71.) vgl. des Ptolemaeus ἀλεισον neben Tacitus
alîſo. — Ob einige mundarten, etwa die altbairiſche, noch
ei ſtatt î zeigen? unten beim ei. Aus dem î erklärt ſich
der zuweilen eintretende übergang in i leichter, z. b. win-
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/119>, abgerufen am 22.11.2024.
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