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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allgemeine vergleichung der conjugation.
mit vilhu, pirku gleich stehen; allein später herrschen
auch vilhe, birge und das erlöschen des vocals scheint
nur nach m und n eher begonnen zu haben, als nach
l und r.) theils das unstatthafte eines vocals zwischen
den gem. ll, mm, nn, rr in derselben conj. (allein
vielleicht entspringen mm und nn aus m und n?
nach bemerkung 7.; rr aus rs, wirru, dirru aus goth.
vairsa, thairsa und für wirsu, dirsu wäre wirisu, dirisu
denkbar; ll kann sich auf mancherlei wegen ent-
wickeln, vgl. s. 123. und von den n° 333 -- 343 genann-
ten ll ist kein einziges gothisch). Hält man sich an
die annahme a[ - 1 Zeichen fehlt] so wäre als grundsatz aufzustellen:
der ablaut erzeigt sich auch an wurzeln, denen bil-
dungstriebe zugetreten sind und erfährt dann gewisse
modification, gleichviel ob der bildungsvoc. bleibe
oder wegfalle. Die modification bezieht sich auf den
pl. praet., statt des e der wurzeln -il, -im, -in,
-air (stelun, nemun, berun) geben die bildungen
-ilp, -imp, -ins, -airp, -airg etc. dem pl. den ab-
laut des part. (hulpun, baurgun; alth. hulufun, hul-
fun, purukun, purkun und nicht helpun, bergun,
alth. halufun, parukun). helpun, bergun, halsun,
parkun widerstritte dem s. 54. aufgestellten sprachge-
setz; halufun, parukun zwar nicht, sind jedoch nir-
gends nachzuweisen. Noch fragt es sich nach den
einfachen stämmen solcher ableitungen: hört bair-
g -an zu bair -an? fordert krim -p -an ein krim -an?
sin -g -an ein sin -an (vgl. can -ere)? setzt jedwedes
abgeleitete verbum starker conj. eine starkformige wurzel
voraus? ohne zweifel, wiewohl die einfache wurzel
ausgestorben seyn kann. Merkwürdig, wenn vairthan
(alth. weridan, weradan?) genau zus. hienge mit vi-
san, wesan und aus visthan, wesadan entspränge? die
goth. passive -ad wage ich, weil d von th absteht,
nicht zu vergleichen, inzwischen ist das lat. fieri
offenbares passivum zu fuo, fui. Das alth. ser (vul-
nus, dolor) scheint mit soraka (cura, dolor) verwandt,
lautete nun ser goth. sais (oben s. 91.), so würde
saizgan durch die verwandlung in sairgan und den ab-
laut saurg das subst. saurga (alth. soraka) erklären. Weist
das alth. sporo (calcar) die einfache wurzel zu n° 432,
so bestätigt sich das schwache n (gen. sporin) als bil-
dungs- (nicht flexions-) mittel (s. 817).
9) wenn mit allmähliger unterdrückung der conso-
nanzen in den sechs ersten conjug. unorganische diph-
II. allgemeine vergleichung der conjugation.
mit vilhu, pirku gleich ſtehen; allein ſpäter herrſchen
auch vilhe, birge und das erlöſchen des vocals ſcheint
nur nach m und n eher begonnen zu haben, als nach
l und r.) theils das unſtatthafte eines vocals zwiſchen
den gem. ll, mm, nn, rr in derſelben conj. (allein
vielleicht entſpringen mm und nn aus m und n?
nach bemerkung 7.; rr aus rs, wirru, dirru aus goth.
vaírſa, þaírſa und für wirſu, dirſu wäre wiriſu, diriſu
denkbar; ll kann ſich auf mancherlei wegen ent-
wickeln, vgl. ſ. 123. und von den n° 333 — 343 genann-
ten ll iſt kein einziges gothiſch). Hält man ſich an
die annahme α[ – 1 Zeichen fehlt] ſo wäre als grundſatz aufzuſtellen:
der ablaut erzeigt ſich auch an wurzeln, denen bil-
dungstriebe zugetreten ſind und erfährt dann gewiſſe
modification, gleichviel ob der bildungsvoc. bleibe
oder wegfalle. Die modification bezieht ſich auf den
pl. praet., ſtatt des ê der wurzeln -il, -im, -in,
-aír (ſtêlun, nêmun, bêrun) geben die bildungen
-ilp, -imp, -ins, -aírp, -aírg etc. dem pl. den ab-
laut des part. (hulpun, baúrgun; alth. hulufun, hul-
fun, purukun, purkun und nicht hêlpun, bêrgun,
alth. hâlufun, pârukun). hêlpun, bêrgun, hâlſun,
pârkun widerſtritte dem ſ. 54. aufgeſtellten ſprachge-
ſetz; hâlufun, pârukun zwar nicht, ſind jedoch nir-
gends nachzuweiſen. Noch fragt es ſich nach den
einfachen ſtämmen ſolcher ableitungen: hört baír-
g -an zu baír -an? fordert krim -p -an ein krim -an?
ſin -g -an ein ſin -an (vgl. can -ere)? ſetzt jedwedes
abgeleitete verbum ſtarker conj. eine ſtarkformige wurzel
voraus? ohne zweifel, wiewohl die einfache wurzel
ausgeſtorben ſeyn kann. Merkwürdig, wenn vairþan
(alth. wëridan, wëradan?) genau zuſ. hienge mit vi-
ſan, wëſan und aus viſþan, wëſadan entſpränge? die
goth. paſſive -ad wage ich, weil d von þ abſteht,
nicht zu vergleichen, inzwiſchen iſt das lat. fieri
offenbares paſſivum zu fuo, fui. Das alth. ſêr (vul-
nus, dolor) ſcheint mit ſoraka (cura, dolor) verwandt,
lautete nun ſêr goth. ſáis (oben ſ. 91.), ſo würde
ſáizgan durch die verwandlung in ſaírgan und den ab-
laut ſaúrg das ſubſt. ſaúrga (alth. ſoraka) erklären. Weiſt
das alth. ſporo (calcar) die einfache wurzel zu n° 432,
ſo beſtätigt ſich das ſchwache n (gen. ſporin) als bil-
dungs- (nicht flexions-) mittel (ſ. 817).
9) wenn mit allmähliger unterdrückung der conſo-
nanzen in den ſechs erſten conjug. unorganiſche diph-
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[1038/1064] II. allgemeine vergleichung der conjugation. mit vilhu, pirku gleich ſtehen; allein ſpäter herrſchen auch vilhe, birge und das erlöſchen des vocals ſcheint nur nach m und n eher begonnen zu haben, als nach l und r.) theils das unſtatthafte eines vocals zwiſchen den gem. ll, mm, nn, rr in derſelben conj. (allein vielleicht entſpringen mm und nn aus m und n? nach bemerkung 7.; rr aus rs, wirru, dirru aus goth. vaírſa, þaírſa und für wirſu, dirſu wäre wiriſu, diriſu denkbar; ll kann ſich auf mancherlei wegen ent- wickeln, vgl. ſ. 123. und von den n° 333 — 343 genann- ten ll iſt kein einziges gothiſch). Hält man ſich an die annahme α_ ſo wäre als grundſatz aufzuſtellen: der ablaut erzeigt ſich auch an wurzeln, denen bil- dungstriebe zugetreten ſind und erfährt dann gewiſſe modification, gleichviel ob der bildungsvoc. bleibe oder wegfalle. Die modification bezieht ſich auf den pl. praet., ſtatt des ê der wurzeln -il, -im, -in, -aír (ſtêlun, nêmun, bêrun) geben die bildungen -ilp, -imp, -ins, -aírp, -aírg etc. dem pl. den ab- laut des part. (hulpun, baúrgun; alth. hulufun, hul- fun, purukun, purkun und nicht hêlpun, bêrgun, alth. hâlufun, pârukun). hêlpun, bêrgun, hâlſun, pârkun widerſtritte dem ſ. 54. aufgeſtellten ſprachge- ſetz; hâlufun, pârukun zwar nicht, ſind jedoch nir- gends nachzuweiſen. Noch fragt es ſich nach den einfachen ſtämmen ſolcher ableitungen: hört baír- g -an zu baír -an? fordert krim -p -an ein krim -an? ſin -g -an ein ſin -an (vgl. can -ere)? ſetzt jedwedes abgeleitete verbum ſtarker conj. eine ſtarkformige wurzel voraus? ohne zweifel, wiewohl die einfache wurzel ausgeſtorben ſeyn kann. Merkwürdig, wenn vairþan (alth. wëridan, wëradan?) genau zuſ. hienge mit vi- ſan, wëſan und aus viſþan, wëſadan entſpränge? die goth. paſſive -ad wage ich, weil d von þ abſteht, nicht zu vergleichen, inzwiſchen iſt das lat. fieri offenbares paſſivum zu fuo, fui. Das alth. ſêr (vul- nus, dolor) ſcheint mit ſoraka (cura, dolor) verwandt, lautete nun ſêr goth. ſáis (oben ſ. 91.), ſo würde ſáizgan durch die verwandlung in ſaírgan und den ab- laut ſaúrg das ſubſt. ſaúrga (alth. ſoraka) erklären. Weiſt das alth. ſporo (calcar) die einfache wurzel zu n° 432, ſo beſtätigt ſich das ſchwache n (gen. ſporin) als bil- dungs- (nicht flexions-) mittel (ſ. 817). 9) wenn mit allmähliger unterdrückung der conſo- nanzen in den ſechs erſten conjug. unorganiſche diph-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 1038. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1064>, abgerufen am 22.11.2024.