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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allgemeine vergleichung der conjugation.
das schwache gremen, gremte (freilich neben grem-
men, gramte, oben s. 874) weist doch auf gremen,
gram zurück.
8) es ist s. 839 gesagt worden, daß die starke form
nicht nothwendig wurzeln befaße, sondern auch ab-
leitungen befaßen könne. Diese untersuchung greift
in das innerste der wortbildungslehre und darf hier
nur angerührt werden. Gesetzt, daß jede wahre d. h.
einfache wurzel, mit einfacher consonanz schließe, so
erscheinen die verba erster und zwölfter conj. sämmt-
lich als ableitungen. Practisch mag man jedoch auch
zusammengesetzte wurzeln annehmen, d. h. deren
ableitungsmittel sich mit der wurzel selbst verwachsen
hat und nicht weiter klar zu lösen ist. In wilde
(ferus) hund (canis) vermögen wir die fortbildung der
wurzel nicht nachzuweisen, wohl theoretisch wil -d -e,
hun -d (vgl. can -is) zu ahnen; die verhärtung bilde
(imago) erklärt sich uns aber historisch aus pil -ad -i.
Nun scheint es zwar, als wenn in solchen zus. ge-
setzten wurzeln möglichkeit des ablauts eben durch
die verhärtung der bildung erst bedingt werde; allein
dieser ansicht stehen alth. formen entgegen. Die alth.
mundart (auch die alts. vgl. s. 209.) hegt den bildungs-
vocal überhaupt getreuer, als die gothische, sie ge-
währt z. b. noch wasan, mordar, wo letztere vepn,
maurthr sagt; sie setzt aber auch st. des goth. filha.
falh, fulhun; bairga, barg, baurgun; hvairba, hvarb,
hvaurbans hinundwieder und assimilierend: vilihu,
valah, vuluhun; piriku, parac, purukun; huiripu,
huarap, huorpaner, in entsprechenden subst. miluh
(lac) perac (mons) puruc (urbs) veheta (pugna) etc. Also
nach l, r und h pflegt der bildungsvocal zu haften, kaum
nach m und n, ein vinidu, vanad st. vindu, vand
wäre so unerhört, als hunad f. hund (doch vgl. hanaf,
senef, neuh. hanf, senf). Die formen perac, parac,
puruc stehen aber gleich den goth. bairgs, barg,
baurgs im ablautsverhältnis und es erwachsen zweier-
lei annahmen: a). entw. die individualität des ab-
lauts in conj. XII. wird durch den haftenden bil-
dungsvoc. nicht gehindert oder b). der alth. dialect
schiebt nach falscher analogie einen ungehörigen bil-
dungsvoc. zwischen. Für letzteres spräche theils die
unerweislichkeit des bild. vocals nach m und n (kein
limifu, lamaf, siniku, sanac, da doch limfu, sinku
II. allgemeine vergleichung der conjugation.
das ſchwache gremen, gremte (freilich neben grem-
men, gramte, oben ſ. 874) weiſt doch auf grëmen,
gram zurück.
8) es iſt ſ. 839 geſagt worden, daß die ſtarke form
nicht nothwendig wurzeln befaße, ſondern auch ab-
leitungen befaßen könne. Dieſe unterſuchung greift
in das innerſte der wortbildungslehre und darf hier
nur angerührt werden. Geſetzt, daß jede wahre d. h.
einfache wurzel, mit einfacher conſonanz ſchließe, ſo
erſcheinen die verba erſter und zwölfter conj. ſämmt-
lich als ableitungen. Practiſch mag man jedoch auch
zuſammengeſetzte wurzeln annehmen, d. h. deren
ableitungsmittel ſich mit der wurzel ſelbſt verwachſen
hat und nicht weiter klar zu löſen iſt. In wilde
(ferus) hund (canis) vermögen wir die fortbildung der
wurzel nicht nachzuweiſen, wohl theoretiſch wil -d -e,
hun -d (vgl. can -is) zu ahnen; die verhärtung bilde
(imago) erklärt ſich uns aber hiſtoriſch aus pil -ad -i.
Nun ſcheint es zwar, als wenn in ſolchen zuſ. ge-
ſetzten wurzeln möglichkeit des ablauts eben durch
die verhärtung der bildung erſt bedingt werde; allein
dieſer anſicht ſtehen alth. formen entgegen. Die alth.
mundart (auch die altſ. vgl. ſ. 209.) hegt den bildungs-
vocal überhaupt getreuer, als die gothiſche, ſie ge-
währt z. b. noch wâſan, mordar, wo letztere vêpn,
maúrþr ſagt; ſie ſetzt aber auch ſt. des goth. filha.
falh, fulhun; baírga, barg, baúrgun; hvaírba, hvarb,
hvaúrbans hinundwieder und aſſimilierend: vilihu,
valah, vuluhun; piriku, parac, purukun; huiripu,
huarap, huorpanêr, in entſprechenden ſubſt. miluh
(lac) përac (mons) puruc (urbs) vëheta (pugna) etc. Alſo
nach l, r und h pflegt der bildungsvocal zu haften, kaum
nach m und n, ein vinidu, vanad ſt. vindu, vand
wäre ſo unerhört, als hunad f. hund (doch vgl. hanaf,
ſënef, neuh. hanf, ſenf). Die formen përac, parac,
puruc ſtehen aber gleich den goth. baírgs, barg,
baúrgs im ablautsverhältnis und es érwachſen zweier-
lei annahmen: α). entw. die individualität des ab-
lauts in conj. XII. wird durch den haftenden bil-
dungsvoc. nicht gehindert oder β). der alth. dialect
ſchiebt nach falſcher analogie einen ungehörigen bil-
dungsvoc. zwiſchen. Für letzteres ſpräche theils die
unerweiſlichkeit des bild. vocals nach m und n (kein
limifu, lamaf, ſiniku, ſanac, da doch limfu, ſinku
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[1037/1063] II. allgemeine vergleichung der conjugation. das ſchwache gremen, gremte (freilich neben grem- men, gramte, oben ſ. 874) weiſt doch auf grëmen, gram zurück. 8) es iſt ſ. 839 geſagt worden, daß die ſtarke form nicht nothwendig wurzeln befaße, ſondern auch ab- leitungen befaßen könne. Dieſe unterſuchung greift in das innerſte der wortbildungslehre und darf hier nur angerührt werden. Geſetzt, daß jede wahre d. h. einfache wurzel, mit einfacher conſonanz ſchließe, ſo erſcheinen die verba erſter und zwölfter conj. ſämmt- lich als ableitungen. Practiſch mag man jedoch auch zuſammengeſetzte wurzeln annehmen, d. h. deren ableitungsmittel ſich mit der wurzel ſelbſt verwachſen hat und nicht weiter klar zu löſen iſt. In wilde (ferus) hund (canis) vermögen wir die fortbildung der wurzel nicht nachzuweiſen, wohl theoretiſch wil -d -e, hun -d (vgl. can -is) zu ahnen; die verhärtung bilde (imago) erklärt ſich uns aber hiſtoriſch aus pil -ad -i. Nun ſcheint es zwar, als wenn in ſolchen zuſ. ge- ſetzten wurzeln möglichkeit des ablauts eben durch die verhärtung der bildung erſt bedingt werde; allein dieſer anſicht ſtehen alth. formen entgegen. Die alth. mundart (auch die altſ. vgl. ſ. 209.) hegt den bildungs- vocal überhaupt getreuer, als die gothiſche, ſie ge- währt z. b. noch wâſan, mordar, wo letztere vêpn, maúrþr ſagt; ſie ſetzt aber auch ſt. des goth. filha. falh, fulhun; baírga, barg, baúrgun; hvaírba, hvarb, hvaúrbans hinundwieder und aſſimilierend: vilihu, valah, vuluhun; piriku, parac, purukun; huiripu, huarap, huorpanêr, in entſprechenden ſubſt. miluh (lac) përac (mons) puruc (urbs) vëheta (pugna) etc. Alſo nach l, r und h pflegt der bildungsvocal zu haften, kaum nach m und n, ein vinidu, vanad ſt. vindu, vand wäre ſo unerhört, als hunad f. hund (doch vgl. hanaf, ſënef, neuh. hanf, ſenf). Die formen përac, parac, puruc ſtehen aber gleich den goth. baírgs, barg, baúrgs im ablautsverhältnis und es érwachſen zweier- lei annahmen: α). entw. die individualität des ab- lauts in conj. XII. wird durch den haftenden bil- dungsvoc. nicht gehindert oder β). der alth. dialect ſchiebt nach falſcher analogie einen ungehörigen bil- dungsvoc. zwiſchen. Für letzteres ſpräche theils die unerweiſlichkeit des bild. vocals nach m und n (kein limifu, lamaf, ſiniku, ſanac, da doch limfu, ſinku

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 1037. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1063>, abgerufen am 17.05.2024.