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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allgemeine vergleichung der conjugation.
thongen eia, ea, eiu, ia, iu, ie, e aus der alten redu-
plication entstanden sind (s. 103. 104. 108. 230. 837.
863. 917.); könnte man versucht werden, für das uo,
o
siebenter conj. eine gleiche erklärung zu gestatten.
Was die spätern sprachen in I -- IV. entwickelten,
zeigt es auch die goth. in VII.? Für eine parallele
zwischen ie und uo scheinen allerdings die übergänge
zu sprechen, vgl. iar, ier (aravit) neben vuor (ivit);
bluonden f. blienden (s. 941.); stiep. hief, wies f.
stoep, hoef, woes (s. 971.) und gerade in VII. ist, wie
in den reduplicierenden, dem pl. praet. der vocal des
sg. praet. zuständig (s. 838.). Bedenklich bleibt in-
zwischen die erklärung des uo, o an sich selbst
aus einer redupl., da es nicht wie ia aus eia, eia
deutlich wird und noch größeres gewicht hat der
einwand, daß die wortbildung kein subst. oder adj.
mit dem aus redupl. erwachsenen ie zulaße (denn das
erst neuhochd. wort hieb ist unorganisch) während eine
menge subst. und adj. den ablaut o uo (schon im goth.)
führen. Oder wiese dies nur auf eine viel früher erfolgte
verhärtung? sollte man nicht weiter gehen, allen und
jeden ablaut selbst der übrigen starken conj. aus an-
fänglicher reduplication leiten? Die wahrscheinliche
unursprünglichkeit langer vocale ist oben s. 331. be-
rührt worden und wenn das part. praet. itans, lisans
gleich haldans den voc. des praes. führt (s. 1008), so
darf auch etum, lesum mit haihaldum verglichen wer-
den. Welche ursache scheidet aber den pl. etum, le-
sum vom sg. at, las, während zu jenem pl. der sg.
haihald stimmt? vielleicht dieselbe, welche auch in
schwacher form den pl. nasidedum, salbodedum län-
ger schützt, den sg. nasida, salboda früher kürzt;
wie nasida f. nasidida (?) stünde folglich at, las f. et,
les? ließe sich ein s. 844. und s. 914 vorschnell ver-
worfenes goth. fret (= et) altn. at (schwed. at, dän.
aad) nicht berücksichtigen? erschiene, wozu die
spätere sprache auf ganz anderm wege wiedergelangt,
die gleichheit des ablauts im sg. und pl. (s. 986.) als
das ursprüngliche? Ich häufe hier mehr fragen und
zweifel, als ich jetzt schon beantworten und lösen
kann; doch scheint mir im voraus gewis, daß das
wesen des deutschen ablauts nicht in dem hohlen klang
zu suchen ist; diese verschiedenheit der vocale muß aus
einer anfänglichen, sinnlich-bedeutsameren wortflexion
entspringen, sey sie nun der redupl. ähnlich oder nicht.

II. allgemeine vergleichung der conjugation.
thongen îa, ëa, îu, ia, iu, ie, ê aus der alten redu-
plication entſtanden ſind (ſ. 103. 104. 108. 230. 837.
863. 917.); könnte man verſucht werden, für das uo,
ô
ſiebenter conj. eine gleiche erklärung zu geſtatten.
Was die ſpätern ſprachen in I — IV. entwickelten,
zeigt es auch die goth. in VII.? Für eine parallele
zwiſchen ie und uo ſcheinen allerdings die übergänge
zu ſprechen, vgl. iar, ier (aravit) neben vuor (ivit);
bluonden f. blienden (ſ. 941.); ſtiep. hief, wies f.
ſtoep, hoef, woes (ſ. 971.) und gerade in VII. iſt, wie
in den reduplicierenden, dem pl. praet. der vocal des
ſg. praet. zuſtändig (ſ. 838.). Bedenklich bleibt in-
zwiſchen die erklärung des uo, ô an ſich ſelbſt
aus einer redupl., da es nicht wie ia aus îa, eia
deutlich wird und noch größeres gewicht hat der
einwand, daß die wortbildung kein ſubſt. oder adj.
mit dem aus redupl. erwachſenen ie zulaße (denn das
erſt neuhochd. wort hieb iſt unorganiſch) während eine
menge ſubſt. und adj. den ablaut ô uo (ſchon im goth.)
führen. Oder wieſe dies nur auf eine viel früher erfolgte
verhärtung? ſollte man nicht weiter gehen, allen und
jeden ablaut ſelbſt der übrigen ſtarken conj. aus an-
fänglicher reduplication leiten? Die wahrſcheinliche
unurſprünglichkeit langer vocale iſt oben ſ. 331. be-
rührt worden und wenn das part. praet. ïtans, liſans
gleich haldans den voc. des praeſ. führt (ſ. 1008), ſo
darf auch êtum, lêſum mit haihaldum verglichen wer-
den. Welche urſache ſcheidet aber den pl. êtum, lê-
ſum vom ſg. at, las, während zu jenem pl. der ſg.
háihald ſtimmt? vielleicht dieſelbe, welche auch in
ſchwacher form den pl. naſidêdum, ſalbôdêdum län-
ger ſchützt, den ſg. naſida, ſalbôda früher kürzt;
wie naſida f. naſidida (?) ſtünde folglich at, las f. êt,
lês? ließe ſich ein ſ. 844. und ſ. 914 vorſchnell ver-
worfenes goth. frêt (= êt) altn. ât (ſchwed. åt, dän.
aad) nicht berückſichtigen? erſchiene, wozu die
ſpätere ſprache auf ganz anderm wege wiedergelangt,
die gleichheit des ablauts im ſg. und pl. (ſ. 986.) als
das urſprüngliche? Ich häufe hier mehr fragen und
zweifel, als ich jetzt ſchon beantworten und löſen
kann; doch ſcheint mir im voraus gewis, daß das
weſen des deutſchen ablauts nicht in dem hohlen klang
zu ſuchen iſt; dieſe verſchiedenheit der vocale muß aus
einer anfänglichen, ſinnlich-bedeutſameren wortflexion
entſpringen, ſey ſie nun der redupl. ähnlich oder nicht.

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[1039/1065] II. allgemeine vergleichung der conjugation. thongen îa, ëa, îu, ia, iu, ie, ê aus der alten redu- plication entſtanden ſind (ſ. 103. 104. 108. 230. 837. 863. 917.); könnte man verſucht werden, für das uo, ô ſiebenter conj. eine gleiche erklärung zu geſtatten. Was die ſpätern ſprachen in I — IV. entwickelten, zeigt es auch die goth. in VII.? Für eine parallele zwiſchen ie und uo ſcheinen allerdings die übergänge zu ſprechen, vgl. iar, ier (aravit) neben vuor (ivit); bluonden f. blienden (ſ. 941.); ſtiep. hief, wies f. ſtoep, hoef, woes (ſ. 971.) und gerade in VII. iſt, wie in den reduplicierenden, dem pl. praet. der vocal des ſg. praet. zuſtändig (ſ. 838.). Bedenklich bleibt in- zwiſchen die erklärung des uo, ô an ſich ſelbſt aus einer redupl., da es nicht wie ia aus îa, eia deutlich wird und noch größeres gewicht hat der einwand, daß die wortbildung kein ſubſt. oder adj. mit dem aus redupl. erwachſenen ie zulaße (denn das erſt neuhochd. wort hieb iſt unorganiſch) während eine menge ſubſt. und adj. den ablaut ô uo (ſchon im goth.) führen. Oder wieſe dies nur auf eine viel früher erfolgte verhärtung? ſollte man nicht weiter gehen, allen und jeden ablaut ſelbſt der übrigen ſtarken conj. aus an- fänglicher reduplication leiten? Die wahrſcheinliche unurſprünglichkeit langer vocale iſt oben ſ. 331. be- rührt worden und wenn das part. praet. ïtans, liſans gleich haldans den voc. des praeſ. führt (ſ. 1008), ſo darf auch êtum, lêſum mit haihaldum verglichen wer- den. Welche urſache ſcheidet aber den pl. êtum, lê- ſum vom ſg. at, las, während zu jenem pl. der ſg. háihald ſtimmt? vielleicht dieſelbe, welche auch in ſchwacher form den pl. naſidêdum, ſalbôdêdum län- ger ſchützt, den ſg. naſida, ſalbôda früher kürzt; wie naſida f. naſidida (?) ſtünde folglich at, las f. êt, lês? ließe ſich ein ſ. 844. und ſ. 914 vorſchnell ver- worfenes goth. frêt (= êt) altn. ât (ſchwed. åt, dän. aad) nicht berückſichtigen? erſchiene, wozu die ſpätere ſprache auf ganz anderm wege wiedergelangt, die gleichheit des ablauts im ſg. und pl. (ſ. 986.) als das urſprüngliche? Ich häufe hier mehr fragen und zweifel, als ich jetzt ſchon beantworten und löſen kann; doch ſcheint mir im voraus gewis, daß das weſen des deutſchen ablauts nicht in dem hohlen klang zu ſuchen iſt; dieſe verſchiedenheit der vocale muß aus einer anfänglichen, ſinnlich-bedeutſameren wortflexion entſpringen, ſey ſie nun der redupl. ähnlich oder nicht.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 1039. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1065>, abgerufen am 17.05.2024.