Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. althochdeutsche vocale.
wenn auch ungeschriebenen umlaut bei dem a, so müste
das nämliche für andere vocale behauptet werden, de-
ren umlaut später in schrift und aussprache vortritt.
Wäre dem aber so, warum sollte man sich nicht auch,
wenigstens zuweilen, damit abgegeben haben, ihn in
der schrift auszudrücken? Alth. quellen weisen jedoch
kein beispiel vom umlaut des a in ae, des o in oe, des
o in ö, des u in ü, wohl aber beginnt der des au in
iu mit dem 10. jahrh. schwankend. Auch scheint es
mir von jeher der hochdeutschen schreibung eigen ge-
wesen. sich treu und soweit die mittel reichen, nach
der aussprache zu richten.

(E) e, zerfällt in zwei ganz verschiedene laute, die
sich in der aussprache zwar ähnlich sind und gewiß
in der heutigen mehr vermischen, als in der älteren;
noch im 13. jahrh. reimen genaue dichter wörter mit
beiderlei e nicht aufeinander. Ihre verschiedenheit geht
aber auch deutlich aus ihrem ursprung hervor. Gleich-
wohl werden sie niemahls von einander ausgezeichnet,
sondern in allen alt- und mittelh. hss. mit dem nämli-
chen buchstab geschrieben. Ich war lange unschlüßig,
welche schickliche bezeichnung einzuführen sey und
trete mit dem, was ich jetzo vorschlage *) gern zurück,

*) Erst hatte ich das litth. einpunctige e gewählt, zog aber
hernach das zweipunctige vor, das sich in den meisten
druckereien befindet. Lachmann setzt e für mein e und
e für mein e. Das e ist historisch und aus lat. hss die es
für ae schreiben, in alth. und nord. übergegangen, die es
denn gleich dem ae für e, zuweilen für e und e gebrauchen
(s. unten beim e, aus diesem schwanken und diesen aus-
nahmen wollte ich keine regel machen. Das e schien mir
beßer den dem i näheren laut zu bezeichnen und beßer
dem goth. ai, nord. ia (woneben auch e gilt) etc. zu ent-
sprechen. Nimmt man es an, so bleibt das gewohnte e
fürs umlautende a und kein e wird nöthig. -- Umgekehrt
möchte manchen das e für den umlaut, das e für den
aus i oder ai entspringenden laut gefallen, wodurch theils
die sich so analogen e und o (aus u und au entspringend) --
theils die umlautszeichen e, ö, ü auf eine reihe kämen.
Allein dann hätte man offenbar nicht e, sondern ä für den
umlaut schreiben müßen, was doch einsprache leidet. --
Nicht unbedeutend für die ansicht des e-lauts überhaupt
scheint, daß die alten runen ihu durchaus nicht bezeichnen,
weder e noch e, sondern beide mit a oder i ausdrücken.
Zwar die sächsischen geben später ein e-zeichen, wel-
ches sie ehu (equus) benennen; man kann es aus dem nord.

I. althochdeutſche vocale.
wenn auch ungeſchriebenen umlaut bei dem a, ſo müſte
das nämliche für andere vocale behauptet werden, de-
ren umlaut ſpäter in ſchrift und ausſprache vortritt.
Wäre dem aber ſo, warum ſollte man ſich nicht auch,
wenigſtens zuweilen, damit abgegeben haben, ihn in
der ſchrift auszudrücken? Alth. quellen weiſen jedoch
kein beiſpiel vom umlaut des â in æ, des ô in œ, des
o in ö, des u in ü, wohl aber beginnt der des û in
iu mit dem 10. jahrh. ſchwankend. Auch ſcheint es
mir von jeher der hochdeutſchen ſchreibung eigen ge-
weſen. ſich treu und ſoweit die mittel reichen, nach
der ausſprache zu richten.

(E) e, zerfällt in zwei ganz verſchiedene laute, die
ſich in der ausſprache zwar ähnlich ſind und gewiß
in der heutigen mehr vermiſchen, als in der älteren;
noch im 13. jahrh. reimen genaue dichter wörter mit
beiderlei e nicht aufeinander. Ihre verſchiedenheit geht
aber auch deutlich aus ihrem urſprung hervor. Gleich-
wohl werden ſie niemahls von einander ausgezeichnet,
ſondern in allen alt- und mittelh. hſſ. mit dem nämli-
chen buchſtab geſchrieben. Ich war lange unſchlüßig,
welche ſchickliche bezeichnung einzuführen ſey und
trete mit dem, was ich jetzo vorſchlage *) gern zurück,

*) Erſt hatte ich das litth. einpunctige e gewählt, zog aber
hernach das zweipunctige vor, das ſich in den meiſten
druckereien befindet. Lachmann ſetzt ę für mein e und
e für mein ë. Das ę iſt hiſtoriſch und aus lat. hſſ die es
für ae ſchreiben, in alth. und nord. übergegangen, die es
denn gleich dem æ für ê, zuweilen für ë und e gebrauchen
(ſ. unten beim ê, aus dieſem ſchwanken und dieſen aus-
nahmen wollte ich keine regel machen. Das ë ſchien mir
beßer den dem i näheren laut zu bezeichnen und beßer
dem goth. aí, nord. ia (woneben auch ë gilt) etc. zu ent-
ſprechen. Nimmt man es an, ſo bleibt das gewohnte e
fürs umlautende a und kein ę wird nöthig. — Umgekehrt
möchte manchen das ë für den umlaut, das e für den
aus i oder entſpringenden laut gefallen, wodurch theils
die ſich ſo analogen e und o (aus u und aú entſpringend) —
theils die umlautszeichen ë, ö, ü auf eine reihe kämen.
Allein dann hätte man offenbar nicht ë, ſondern ä für den
umlaut ſchreiben müßen, was doch einſprache leidet. —
Nicht unbedeutend für die anſicht des e-lauts überhaupt
ſcheint, daß die alten runen ihu durchaus nicht bezeichnen,
weder e noch ë, ſondern beide mit a oder i ausdrücken.
Zwar die ſächſiſchen geben ſpäter ein e-zeichen, wel-
ches ſie ehu (equus) benennen; man kann es aus dem nord.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0104" n="78"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">althochdeut&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
wenn auch unge&#x017F;chriebenen umlaut bei dem a, &#x017F;o mü&#x017F;te<lb/>
das nämliche für andere vocale behauptet werden, de-<lb/>
ren umlaut &#x017F;päter in &#x017F;chrift und aus&#x017F;prache vortritt.<lb/>
Wäre dem aber &#x017F;o, warum &#x017F;ollte man &#x017F;ich nicht auch,<lb/>
wenig&#x017F;tens zuweilen, damit abgegeben haben, ihn in<lb/>
der &#x017F;chrift auszudrücken? Alth. quellen wei&#x017F;en jedoch<lb/>
kein bei&#x017F;piel vom umlaut des â in æ, des ô in &#x0153;, des<lb/>
o in ö, des u in ü, wohl aber beginnt der des <hi rendition="#i">û</hi> in<lb/><hi rendition="#i">iu</hi> mit dem 10. jahrh. &#x017F;chwankend. Auch &#x017F;cheint es<lb/>
mir von jeher der hochdeut&#x017F;chen &#x017F;chreibung eigen ge-<lb/>
we&#x017F;en. &#x017F;ich treu und &#x017F;oweit die mittel reichen, nach<lb/>
der aus&#x017F;prache zu richten.</p><lb/>
            <p>(E) e, zerfällt in zwei ganz ver&#x017F;chiedene laute, die<lb/>
&#x017F;ich in der aus&#x017F;prache zwar ähnlich &#x017F;ind und gewiß<lb/>
in der heutigen mehr vermi&#x017F;chen, als in der älteren;<lb/>
noch im 13. jahrh. reimen genaue dichter wörter mit<lb/>
beiderlei e nicht aufeinander. Ihre ver&#x017F;chiedenheit geht<lb/>
aber auch deutlich aus ihrem ur&#x017F;prung hervor. Gleich-<lb/>
wohl werden &#x017F;ie niemahls von einander ausgezeichnet,<lb/>
&#x017F;ondern in allen alt- und mittelh. h&#x017F;&#x017F;. mit dem nämli-<lb/>
chen buch&#x017F;tab ge&#x017F;chrieben. Ich war lange un&#x017F;chlüßig,<lb/>
welche &#x017F;chickliche bezeichnung einzuführen &#x017F;ey und<lb/>
trete mit dem, was ich jetzo vor&#x017F;chlage <note xml:id="note-0104" next="#note-0105" place="foot" n="*)">Er&#x017F;t hatte ich das litth. einpunctige e gewählt, zog aber<lb/>
hernach das zweipunctige vor, das &#x017F;ich in den mei&#x017F;ten<lb/>
druckereien befindet. Lachmann &#x017F;etzt &#x0119; für mein e und<lb/>
e für mein ë. Das &#x0119; i&#x017F;t hi&#x017F;tori&#x017F;ch und aus lat. h&#x017F;&#x017F; die es<lb/>
für <hi rendition="#i">ae</hi> &#x017F;chreiben, in alth. und nord. übergegangen, die es<lb/>
denn gleich dem æ für ê, zuweilen für ë und e gebrauchen<lb/>
(&#x017F;. unten beim ê, aus die&#x017F;em &#x017F;chwanken und die&#x017F;en aus-<lb/>
nahmen wollte ich keine regel machen. Das ë &#x017F;chien mir<lb/>
beßer den dem i näheren laut zu bezeichnen und beßer<lb/>
dem goth. aí, nord. <hi rendition="#i">ia</hi> (woneben auch ë gilt) etc. zu ent-<lb/>
&#x017F;prechen. Nimmt man es an, &#x017F;o bleibt das gewohnte e<lb/>
fürs umlautende <hi rendition="#i">a</hi> und kein &#x0119; wird nöthig. &#x2014; Umgekehrt<lb/>
möchte manchen das ë für den umlaut, das e für den<lb/>
aus i oder <hi rendition="#i"></hi> ent&#x017F;pringenden laut gefallen, wodurch theils<lb/>
die &#x017F;ich &#x017F;o <choice><sic>analogeu</sic><corr>analogen</corr></choice> <hi rendition="#i">e</hi> und <hi rendition="#i">o</hi> (aus u und aú ent&#x017F;pringend) &#x2014;<lb/>
theils die umlautszeichen ë, ö, ü auf eine reihe kämen.<lb/>
Allein dann hätte man offenbar nicht ë, &#x017F;ondern ä für den<lb/>
umlaut &#x017F;chreiben müßen, was doch ein&#x017F;prache leidet. &#x2014;<lb/>
Nicht unbedeutend für die an&#x017F;icht des e-lauts überhaupt<lb/>
&#x017F;cheint, daß die alten runen ihu durchaus nicht bezeichnen,<lb/>
weder e noch ë, &#x017F;ondern beide mit a oder i ausdrücken.<lb/>
Zwar die &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen geben &#x017F;päter ein e-zeichen, wel-<lb/>
ches &#x017F;ie <hi rendition="#i">ehu</hi> (equus) benennen; man kann es aus dem nord.</note> gern zurück,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0104] I. althochdeutſche vocale. wenn auch ungeſchriebenen umlaut bei dem a, ſo müſte das nämliche für andere vocale behauptet werden, de- ren umlaut ſpäter in ſchrift und ausſprache vortritt. Wäre dem aber ſo, warum ſollte man ſich nicht auch, wenigſtens zuweilen, damit abgegeben haben, ihn in der ſchrift auszudrücken? Alth. quellen weiſen jedoch kein beiſpiel vom umlaut des â in æ, des ô in œ, des o in ö, des u in ü, wohl aber beginnt der des û in iu mit dem 10. jahrh. ſchwankend. Auch ſcheint es mir von jeher der hochdeutſchen ſchreibung eigen ge- weſen. ſich treu und ſoweit die mittel reichen, nach der ausſprache zu richten. (E) e, zerfällt in zwei ganz verſchiedene laute, die ſich in der ausſprache zwar ähnlich ſind und gewiß in der heutigen mehr vermiſchen, als in der älteren; noch im 13. jahrh. reimen genaue dichter wörter mit beiderlei e nicht aufeinander. Ihre verſchiedenheit geht aber auch deutlich aus ihrem urſprung hervor. Gleich- wohl werden ſie niemahls von einander ausgezeichnet, ſondern in allen alt- und mittelh. hſſ. mit dem nämli- chen buchſtab geſchrieben. Ich war lange unſchlüßig, welche ſchickliche bezeichnung einzuführen ſey und trete mit dem, was ich jetzo vorſchlage *) gern zurück, *) Erſt hatte ich das litth. einpunctige e gewählt, zog aber hernach das zweipunctige vor, das ſich in den meiſten druckereien befindet. Lachmann ſetzt ę für mein e und e für mein ë. Das ę iſt hiſtoriſch und aus lat. hſſ die es für ae ſchreiben, in alth. und nord. übergegangen, die es denn gleich dem æ für ê, zuweilen für ë und e gebrauchen (ſ. unten beim ê, aus dieſem ſchwanken und dieſen aus- nahmen wollte ich keine regel machen. Das ë ſchien mir beßer den dem i näheren laut zu bezeichnen und beßer dem goth. aí, nord. ia (woneben auch ë gilt) etc. zu ent- ſprechen. Nimmt man es an, ſo bleibt das gewohnte e fürs umlautende a und kein ę wird nöthig. — Umgekehrt möchte manchen das ë für den umlaut, das e für den aus i oder aí entſpringenden laut gefallen, wodurch theils die ſich ſo analogen e und o (aus u und aú entſpringend) — theils die umlautszeichen ë, ö, ü auf eine reihe kämen. Allein dann hätte man offenbar nicht ë, ſondern ä für den umlaut ſchreiben müßen, was doch einſprache leidet. — Nicht unbedeutend für die anſicht des e-lauts überhaupt ſcheint, daß die alten runen ihu durchaus nicht bezeichnen, weder e noch ë, ſondern beide mit a oder i ausdrücken. Zwar die ſächſiſchen geben ſpäter ein e-zeichen, wel- ches ſie ehu (equus) benennen; man kann es aus dem nord.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/104
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/104>, abgerufen am 06.05.2024.