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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche vocale.
gesetzlos, sondern nach stufen. 1) wurzeln deren a bloß
ein einfacher consonant folgt, mögen höchstens noch im
7ten oder anfang des 8ten den vocal vor dem umlaut
geschützt haben, z. b. warjan (defendere) hari (exerci-
tus) halid (heros). Später hieß es werjen, heri, helid,
selida (mansio), sicher im 9ten nie anders. Ausnahme
machen etwa zusammensetzungen, wo sich oft das alte
(wie in eigennamen) befestigt; so hat man von peinamo,
sorasago den gen. peinamin, forasagin fortgeduldet, wäh-
rend vom einfachen namo bereits nemin galt; J. 406.
sogar alilendi (captivitas) wo sonst gerade das umge-
kehrte elilandi natürlicher scheinen müste. 2) ist hin-
gegen position in der wurzel, so hegt sie den reinen
laut länger, daher noch im 8. 9ten jahrh. arbi, mahtin,
angil, -scaffi, arni etc. nur allmählig immer seltner und
neben dem umlaut. Bei Isidor peinamin, angil, arbi;
bei Kero peinemin, engil; in gl. doc. noch paldida (au-
dacia) zurgangida (destructio), Otfr. und Tat. beldida,
flezzi, nezzi, Notker zegengeda. 3) über eine mitt-
lere silbe hin wirkt das i früher noch nicht den um-
laut in die wurzel, daher zaharei, starachist, garawit;
in solchen fällen behält selbst Notker, der es sonst fast
beständig *) umlautet, das alte a bei allendei (captivitas),
garewet, bis sich noch später auch hier der umlaut ein-
drängt, mittelh. gerwet. Je eher man sich an die con-
traction gewöhnte, desto leichter, daher schon alth.
sterchei (fortitudo). -- Die wahrnehmung dieses natürli-
chen, in dem buchstabenverhältniß begründeten stufen-
gangs scheint mir schon hinreichend die meinung abzu-
weisen, daß der umlaut des a in e jederzeit bestanden
habe, aber zuerst gar nicht **), dann ungenau, endlich
durchgängig im schreiben bezeichnet worden sey. War-
um schrieb man denn in der ungenauen zeit niemahls
hazi, halid, salida? oder in der ältesten niemahls selbi-
da, ermida? Und wirkte das i stets einen gesprochenen,

*) Scheinbare ausnahmen scamil (scabellum) 98, 5. scadil (no-
civus) 100, 2. gagen (contra) etc. die alte endung war a,
scamal, scadal, gagan und das i steht fehlerhaft für ton-
loses e.
**) Von dieser nichtschreibung eines vorhandenen umlauts,
die allerdings für sich hat, daß die schrift der veränder-
lichkeit der laute nicht auf dem fuße folgt und oft ganz
zurückbleibt (wie im englischen), fällt mir ein hierher
gehöriges beispiel ein. Die Franzosen schreiben pais, ayant
und sprechen peis, eyant.

I. althochdeutſche vocale.
geſetzlos, ſondern nach ſtufen. 1) wurzeln deren ā bloß
ein einfacher conſonant folgt, mögen höchſtens noch im
7ten oder anfang des 8ten den vocal vor dem umlaut
geſchützt haben, z. b. warjan (defendere) hari (exerci-
tus) halid (heros). Später hieß es werjen, heri, helid,
ſelida (manſio), ſicher im 9ten nie anders. Ausnahme
machen etwa zuſammenſetzungen, wo ſich oft das alte
(wie in eigennamen) befeſtigt; ſo hat man von pînamo,
ſoraſago den gen. pînamin, foraſagin fortgeduldet, wäh-
rend vom einfachen namo bereits nemin galt; J. 406.
ſogar alilendi (captivitas) wo ſonſt gerade das umge-
kehrte elilandi natürlicher ſcheinen müſte. 2) iſt hin-
gegen poſition in der wurzel, ſo hegt ſie den reinen
laut länger, daher noch im 8. 9ten jahrh. arbi, mahtin,
angil, -ſcaffi, arni etc. nur allmählig immer ſeltner und
neben dem umlaut. Bei Iſidor pînamin, angil, arbi;
bei Kero pînemin, engil; in gl. doc. noch paldida (au-
dacia) zurgangida (deſtructio), Otfr. und Tat. beldida,
flezzi, nezzi, Notker zegengeda. 3) über eine mitt-
lere ſilbe hin wirkt das i früher noch nicht den um-
laut in die wurzel, daher zaharî, ſtarachiſt, garawit;
in ſolchen fällen behält ſelbſt Notker, der es ſonſt faſt
beſtändig *) umlautet, das alte a bei allendî (captivitas),
garewet, bis ſich noch ſpäter auch hier der umlaut ein-
drängt, mittelh. gerwet. Je eher man ſich an die con-
traction gewöhnte, deſto leichter, daher ſchon alth.
ſterchî (fortitudo). — Die wahrnehmung dieſes natürli-
chen, in dem buchſtabenverhältniß begründeten ſtufen-
gangs ſcheint mir ſchon hinreichend die meinung abzu-
weiſen, daß der umlaut des a in e jederzeit beſtanden
habe, aber zuerſt gar nicht **), dann ungenau, endlich
durchgängig im ſchreiben bezeichnet worden ſey. War-
um ſchrieb man denn in der ungenauen zeit niemahls
hazi, halid, ſalida? oder in der älteſten niemahls ſelbi-
da, ermida? Und wirkte das i ſtets einen geſprochenen,

*) Scheinbare ausnahmen ſcamil (ſcabellum) 98, 5. ſcadil (no-
civus) 100, 2. gagen (contra) etc. die alte endung war a,
ſcamal, ſcadal, gagan und das i ſteht fehlerhaft für ton-
loſes e.
**) Von dieſer nichtſchreibung eines vorhandenen umlauts,
die allerdings für ſich hat, daß die ſchrift der veränder-
lichkeit der laute nicht auf dem fuße folgt und oft ganz
zurückbleibt (wie im engliſchen), fällt mir ein hierher
gehöriges beiſpiel ein. Die Franzoſen ſchreiben païs, ayant
und ſprechen peïs, eyant.
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[77/0103] I. althochdeutſche vocale. geſetzlos, ſondern nach ſtufen. 1) wurzeln deren ā bloß ein einfacher conſonant folgt, mögen höchſtens noch im 7ten oder anfang des 8ten den vocal vor dem umlaut geſchützt haben, z. b. warjan (defendere) hari (exerci- tus) halid (heros). Später hieß es werjen, heri, helid, ſelida (manſio), ſicher im 9ten nie anders. Ausnahme machen etwa zuſammenſetzungen, wo ſich oft das alte (wie in eigennamen) befeſtigt; ſo hat man von pînamo, ſoraſago den gen. pînamin, foraſagin fortgeduldet, wäh- rend vom einfachen namo bereits nemin galt; J. 406. ſogar alilendi (captivitas) wo ſonſt gerade das umge- kehrte elilandi natürlicher ſcheinen müſte. 2) iſt hin- gegen poſition in der wurzel, ſo hegt ſie den reinen laut länger, daher noch im 8. 9ten jahrh. arbi, mahtin, angil, -ſcaffi, arni etc. nur allmählig immer ſeltner und neben dem umlaut. Bei Iſidor pînamin, angil, arbi; bei Kero pînemin, engil; in gl. doc. noch paldida (au- dacia) zurgangida (deſtructio), Otfr. und Tat. beldida, flezzi, nezzi, Notker zegengeda. 3) über eine mitt- lere ſilbe hin wirkt das i früher noch nicht den um- laut in die wurzel, daher zaharî, ſtarachiſt, garawit; in ſolchen fällen behält ſelbſt Notker, der es ſonſt faſt beſtändig *) umlautet, das alte a bei allendî (captivitas), garewet, bis ſich noch ſpäter auch hier der umlaut ein- drängt, mittelh. gerwet. Je eher man ſich an die con- traction gewöhnte, deſto leichter, daher ſchon alth. ſterchî (fortitudo). — Die wahrnehmung dieſes natürli- chen, in dem buchſtabenverhältniß begründeten ſtufen- gangs ſcheint mir ſchon hinreichend die meinung abzu- weiſen, daß der umlaut des a in e jederzeit beſtanden habe, aber zuerſt gar nicht **), dann ungenau, endlich durchgängig im ſchreiben bezeichnet worden ſey. War- um ſchrieb man denn in der ungenauen zeit niemahls hazi, halid, ſalida? oder in der älteſten niemahls ſelbi- da, ermida? Und wirkte das i ſtets einen geſprochenen, *) Scheinbare ausnahmen ſcamil (ſcabellum) 98, 5. ſcadil (no- civus) 100, 2. gagen (contra) etc. die alte endung war a, ſcamal, ſcadal, gagan und das i ſteht fehlerhaft für ton- loſes e. **) Von dieſer nichtſchreibung eines vorhandenen umlauts, die allerdings für ſich hat, daß die ſchrift der veränder- lichkeit der laute nicht auf dem fuße folgt und oft ganz zurückbleibt (wie im engliſchen), fällt mir ein hierher gehöriges beiſpiel ein. Die Franzoſen ſchreiben païs, ayant und ſprechen peïs, eyant.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/103>, abgerufen am 06.05.2024.