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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Mängel der nationalen Kindererziehung

Platt zu erklären sein, wo es, wie im Englischen (me) für beide Formen nur
e i n e gibt .(mi). Bekannt ist, daß auch der alte Wrangel, der aus Rügen stammte,
nicht damit fertig wurde. Diese Sonderbarkeit ist also keineswegs etwa nur auf
Berlin beschränkt, oder ein Ausfluß dieses "Wasserkopfes". Wäre es nur auf
Pommern beschränkt, so würde man auch nicht so viel darüber spotten. Über¬
dies wird ein gebildeter Berliner diese Verwechslung nie begehen, wenn er nicht
absichtlich Dialekt spricht, wozu nun einmal diese Umdrehung gehört. Logische
"Unfähigkeit" ist für ihn also daraus nicht abzuleiten.

d) Der Buchstabe g ist selbst in der "Theatersprache" nicht eindeutig in
Bezug auf den Laut, den er ausdrückt. Dieselbe schreibt vor: "Könich"
König, und dies ist auch im Süden fast überall üblich (auch "wenich"). Der
Schwabe spricht sogar mundartlich "Könichin", und stets: Herzoch, Jacht
(-- Jagd), wogegen ihm die norddeutsche "Macht" Magd) höchst lächerlich vor¬
kommt. Im Fränkischen wird das g sogar zu sah: Morsche (oder Morje) -^Mor¬
gen; heilisch -- heilig. Und sonst ist es bei Millionen von Germanen (Nord¬
deutschen, Holländern, Schweden) kein g-Laut, sondern ein weiches es (Sachsen:
geadelt gegen? allgemein: Burns --- Burg; vgl. das uralte angelsächsische Lied
von der Schlacht bei Brunnenburch); oder hartes es (Westfalen: ahnt -- gut;
Holland: Chelderen Geldern; Chott Gott); oder es ist j (Schweden: Jefle
Gefle; rheinisch: jeck --- geel; und durch fast ganz Norddeutschland weiter östlich:
jetan, gejen, oder schließlich jejen; und janz -- ganz). Hätte Luther nicht,
dein oberdeutschen Laut entsprechend, g geschrieben, als er das Neuhoch¬
deutsche schuf, sondern dem Norddeutschen hier den Vorzug gegeben,
so würde die deutsche Schriftsprache von j wimmeln. Und noch eines: im Angel¬
sächsischen hat man für diesen weichen Laut vor e, i und y sogar ein besonderes
Zeichen eingeführt; denn in dieser uralten Sprache wurde das "g" vor den ge¬
nannten Vokalen eben auch wie das deutsche j gesprochen. Es handelt sich
hierbei also um keine "Angewohnheit" des "dummen" Berliners,
sondern um uraltes Sprachgut, also um die vou anderen Deutschen
so eifersüchtig behütete "kulturelle Eigenart", deren sicherster Aus¬
druck die Mundart ist. Auch der norddeutsche hat eben die seinige! Die
Torheit liegt ans feiten derjenigen, die ihn darum verspotte", nicht auf feiten
dessen, der seine alten Laute noch spricht. Das Mundartliche besteht eben über¬
all mit darin, daß, auch im Hochdeutschen der einzelnen deutschen Sprach¬
gebiete, solch altes, ererbtes Stammesgut sich geltend macht.

c) Der Süden hat viel weniger Ohr für Fremdsprachen als der Norden und
ist in der Nachahmung vieler Laute -- Konsonanten wie Vokale -- viel umge¬
wandter. Auch in der Betonung des Französischen entwickelt der Süddeutsche
bekanntlich gar keine Geschicklichkeit. Besonders auffallend ist auch sein Mangel
an feinerem Gefühl in bezug auf die in der Schule Württembergs übliche böse Aus¬
sprache der klassischen Wörter, worin ein se vorkommt, von est (-- ist) bis
Aristoteles und Ästhetik, oder die Aussprache "Schäckschbier" für Shakespeare, die
in Südwestdeutschland Gemeingut geworden ist. Das sind Angewohn¬
heiten, die kein großes Gefühl für die Grazie fremder Sprachen verraten.
Aber das arg, eng und ong des "Berliners" hat einen triftigen Grund. ES
geht zweifellos auf die französische Mundart zurück, welche die Huge -


Mängel der nationalen Kindererziehung

Platt zu erklären sein, wo es, wie im Englischen (me) für beide Formen nur
e i n e gibt .(mi). Bekannt ist, daß auch der alte Wrangel, der aus Rügen stammte,
nicht damit fertig wurde. Diese Sonderbarkeit ist also keineswegs etwa nur auf
Berlin beschränkt, oder ein Ausfluß dieses „Wasserkopfes". Wäre es nur auf
Pommern beschränkt, so würde man auch nicht so viel darüber spotten. Über¬
dies wird ein gebildeter Berliner diese Verwechslung nie begehen, wenn er nicht
absichtlich Dialekt spricht, wozu nun einmal diese Umdrehung gehört. Logische
„Unfähigkeit" ist für ihn also daraus nicht abzuleiten.

d) Der Buchstabe g ist selbst in der „Theatersprache" nicht eindeutig in
Bezug auf den Laut, den er ausdrückt. Dieselbe schreibt vor: „Könich"
König, und dies ist auch im Süden fast überall üblich (auch „wenich"). Der
Schwabe spricht sogar mundartlich „Könichin", und stets: Herzoch, Jacht
(-- Jagd), wogegen ihm die norddeutsche „Macht" Magd) höchst lächerlich vor¬
kommt. Im Fränkischen wird das g sogar zu sah: Morsche (oder Morje) -^Mor¬
gen; heilisch — heilig. Und sonst ist es bei Millionen von Germanen (Nord¬
deutschen, Holländern, Schweden) kein g-Laut, sondern ein weiches es (Sachsen:
geadelt gegen? allgemein: Burns --- Burg; vgl. das uralte angelsächsische Lied
von der Schlacht bei Brunnenburch); oder hartes es (Westfalen: ahnt — gut;
Holland: Chelderen Geldern; Chott Gott); oder es ist j (Schweden: Jefle
Gefle; rheinisch: jeck --- geel; und durch fast ganz Norddeutschland weiter östlich:
jetan, gejen, oder schließlich jejen; und janz — ganz). Hätte Luther nicht,
dein oberdeutschen Laut entsprechend, g geschrieben, als er das Neuhoch¬
deutsche schuf, sondern dem Norddeutschen hier den Vorzug gegeben,
so würde die deutsche Schriftsprache von j wimmeln. Und noch eines: im Angel¬
sächsischen hat man für diesen weichen Laut vor e, i und y sogar ein besonderes
Zeichen eingeführt; denn in dieser uralten Sprache wurde das „g" vor den ge¬
nannten Vokalen eben auch wie das deutsche j gesprochen. Es handelt sich
hierbei also um keine „Angewohnheit" des „dummen" Berliners,
sondern um uraltes Sprachgut, also um die vou anderen Deutschen
so eifersüchtig behütete „kulturelle Eigenart", deren sicherster Aus¬
druck die Mundart ist. Auch der norddeutsche hat eben die seinige! Die
Torheit liegt ans feiten derjenigen, die ihn darum verspotte«, nicht auf feiten
dessen, der seine alten Laute noch spricht. Das Mundartliche besteht eben über¬
all mit darin, daß, auch im Hochdeutschen der einzelnen deutschen Sprach¬
gebiete, solch altes, ererbtes Stammesgut sich geltend macht.

c) Der Süden hat viel weniger Ohr für Fremdsprachen als der Norden und
ist in der Nachahmung vieler Laute — Konsonanten wie Vokale — viel umge¬
wandter. Auch in der Betonung des Französischen entwickelt der Süddeutsche
bekanntlich gar keine Geschicklichkeit. Besonders auffallend ist auch sein Mangel
an feinerem Gefühl in bezug auf die in der Schule Württembergs übliche böse Aus¬
sprache der klassischen Wörter, worin ein se vorkommt, von est (-- ist) bis
Aristoteles und Ästhetik, oder die Aussprache „Schäckschbier" für Shakespeare, die
in Südwestdeutschland Gemeingut geworden ist. Das sind Angewohn¬
heiten, die kein großes Gefühl für die Grazie fremder Sprachen verraten.
Aber das arg, eng und ong des „Berliners" hat einen triftigen Grund. ES
geht zweifellos auf die französische Mundart zurück, welche die Huge -


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[0381] Mängel der nationalen Kindererziehung Platt zu erklären sein, wo es, wie im Englischen (me) für beide Formen nur e i n e gibt .(mi). Bekannt ist, daß auch der alte Wrangel, der aus Rügen stammte, nicht damit fertig wurde. Diese Sonderbarkeit ist also keineswegs etwa nur auf Berlin beschränkt, oder ein Ausfluß dieses „Wasserkopfes". Wäre es nur auf Pommern beschränkt, so würde man auch nicht so viel darüber spotten. Über¬ dies wird ein gebildeter Berliner diese Verwechslung nie begehen, wenn er nicht absichtlich Dialekt spricht, wozu nun einmal diese Umdrehung gehört. Logische „Unfähigkeit" ist für ihn also daraus nicht abzuleiten. d) Der Buchstabe g ist selbst in der „Theatersprache" nicht eindeutig in Bezug auf den Laut, den er ausdrückt. Dieselbe schreibt vor: „Könich" König, und dies ist auch im Süden fast überall üblich (auch „wenich"). Der Schwabe spricht sogar mundartlich „Könichin", und stets: Herzoch, Jacht (-- Jagd), wogegen ihm die norddeutsche „Macht" Magd) höchst lächerlich vor¬ kommt. Im Fränkischen wird das g sogar zu sah: Morsche (oder Morje) -^Mor¬ gen; heilisch — heilig. Und sonst ist es bei Millionen von Germanen (Nord¬ deutschen, Holländern, Schweden) kein g-Laut, sondern ein weiches es (Sachsen: geadelt gegen? allgemein: Burns --- Burg; vgl. das uralte angelsächsische Lied von der Schlacht bei Brunnenburch); oder hartes es (Westfalen: ahnt — gut; Holland: Chelderen Geldern; Chott Gott); oder es ist j (Schweden: Jefle Gefle; rheinisch: jeck --- geel; und durch fast ganz Norddeutschland weiter östlich: jetan, gejen, oder schließlich jejen; und janz — ganz). Hätte Luther nicht, dein oberdeutschen Laut entsprechend, g geschrieben, als er das Neuhoch¬ deutsche schuf, sondern dem Norddeutschen hier den Vorzug gegeben, so würde die deutsche Schriftsprache von j wimmeln. Und noch eines: im Angel¬ sächsischen hat man für diesen weichen Laut vor e, i und y sogar ein besonderes Zeichen eingeführt; denn in dieser uralten Sprache wurde das „g" vor den ge¬ nannten Vokalen eben auch wie das deutsche j gesprochen. Es handelt sich hierbei also um keine „Angewohnheit" des „dummen" Berliners, sondern um uraltes Sprachgut, also um die vou anderen Deutschen so eifersüchtig behütete „kulturelle Eigenart", deren sicherster Aus¬ druck die Mundart ist. Auch der norddeutsche hat eben die seinige! Die Torheit liegt ans feiten derjenigen, die ihn darum verspotte«, nicht auf feiten dessen, der seine alten Laute noch spricht. Das Mundartliche besteht eben über¬ all mit darin, daß, auch im Hochdeutschen der einzelnen deutschen Sprach¬ gebiete, solch altes, ererbtes Stammesgut sich geltend macht. c) Der Süden hat viel weniger Ohr für Fremdsprachen als der Norden und ist in der Nachahmung vieler Laute — Konsonanten wie Vokale — viel umge¬ wandter. Auch in der Betonung des Französischen entwickelt der Süddeutsche bekanntlich gar keine Geschicklichkeit. Besonders auffallend ist auch sein Mangel an feinerem Gefühl in bezug auf die in der Schule Württembergs übliche böse Aus¬ sprache der klassischen Wörter, worin ein se vorkommt, von est (-- ist) bis Aristoteles und Ästhetik, oder die Aussprache „Schäckschbier" für Shakespeare, die in Südwestdeutschland Gemeingut geworden ist. Das sind Angewohn¬ heiten, die kein großes Gefühl für die Grazie fremder Sprachen verraten. Aber das arg, eng und ong des „Berliners" hat einen triftigen Grund. ES geht zweifellos auf die französische Mundart zurück, welche die Huge -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/381>, abgerufen am 23.12.2024.